Mehr Flüchtlinge über Belarus - Seehofer will stärkere Zusammenarbeit mit Polen und EU

Die Zahl der Flüchtlinge, die über Belarus und Polen nach Brandenburg kommen, steigt. Bundesinnenminister Horst Seehofer will nun den Grenzschutz stärken. Zwei Städte fordern Hilfe und geordnete Strukturen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will über eine verstärkte Zusammenarbeit mit Polen und der EU gegen die Weiterreise von über Belarus kommenden Flüchtlingen nach Deutschland vorgehen. Polen solle "jede Unterstützung angeboten werden, den Außengrenzschutz im Rahmen des geltenden Rechts effizient umzusetzen", heißt es in einem Bericht Seehofers zur Sitzung des Bundeskabinetts am Mittwoch.
Die Schließung der Grenze nach Polen lehne er aber ab, sagte Seehofer am Mittwoch im Rahmen der Bundespressekonferenz. Der CSU-Minister betonte, dass er gemeinsame Grenzkontrollen von deutschen und polnischen Polizeibeamten auf polnischem Gebiet bevorzuge. Dies wäre laut langjährigem Polizeiabkommen auch möglich. So sollen laut Seehofer Straftaten aufgedeckt und Schleuser dingfest gemacht werden.
Es seien auch schon acht Hunderschaften der Polizei an die Grenze verlegt worden. "Wir sind bereit, noch mehr zu tun", so Seehofer weiter. Das Vorgehen sei mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Innenminister Michael Stübgen (CDU) abgesprochen.
Zahl der Migranten steigt auch in Brandenburg
Mit der EU will Seehofer weitere Länder in Nahost und Afrika dazu bringen, Flüge mit Flüchtlingen nach Belarus einzustellen.
"An der deutsch-polnischen Grenze wurden im Zuge intensivierter Binnengrenzfahndungsmaßnahmen bereits über 5.700 Flüchtlinge und Migranten unter anderem mit Visa für und Einreisestempeln von Belarus festgestellt", heißt es nach AFP-Informationen in Seehofers Bericht. "Die Zahlen steigen stetig."
Derzeit warteten "circa 15.000 Migranten in Belarus auf eine Weiterreise nach Westen". Unter den Schutzsuchenden seien viele Menschen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und dem Iran. Zuletzt sind auch immer mehr Migranten in Brandenburg angekommen. Allein im Oktober werden insgesamt 3.500 Migranten erwartet. Diese Zahl nannte der Chef der Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt am Mittwoch.
Vorwürfe gegen belarussischen Machthaber
Die Bundesregierung und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika gezielt in die EU zu schleusen. Motiv ist demnach Vergeltung für europäische Sanktionen, die sich gegen Menschenrechtsverstöße in Belarus richten. Seehofer sprach am Mittwoch von einer "staatlich unterstützten Schleusertätigkeit." Die Migranten würden als "politische Waffe" eingesetzt. Der Kabinettsbericht fordert nun "ein entschlossenes Vorgehen gegen die Instrumentalisierung von Migration durch Belarus".
Mit europäischen Partnern habe Deutschland bereits erreicht, dass Flüge aus dem Irak eingestellt worden seien, führte Seehofer weiter aus. Es sei aber "festzustellen, dass das Regime in Belarus die Liste von Staaten, deren Staatsangehörige visumfrei einreisen können kontinuierlich erweitert". Genannt werden Iran, Pakistan, Südafrika, Ägypten und Jordanien. Zudem gebe es "verstärkt Flüge aus Dubai, Istanbul und Beirut".
Seehofer wandte sich laut Bericht deshalb in einem Schreiben an die EU-Kommission. Darin fordert er die Brüsseler Behörde den Angaben zufolge auf, "ihre diplomatischen Gespräche sowie Maßnahmen zur koordinierten Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten noch zu verstärken".
Noch keine Antwort von Kaminski
Auf Seehofers Vorschlag an seinen polnischen Kollegen vom Dienstag, gemeinsamen Streifen an der deutsch-polnischen Binnengrenze vorzunehmen, gibt es derweil noch keine Antwort. Nach dem AFP vorliegenden Schreiben an den polnischen Innenminister Mariusz Kaminski sollten bestehende gemeinsame Streifen "spürbar" verstärkt werden, aber "unterhalb der Schwelle einer vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen" bleiben.
Am Mittwochmorgen gab es in Brandenburg in der Nähe von Grenzübergängen bereits mehrere Einsätze der Bundes- und Landespolizei. Bei sogenannten "allgemeinen Verkehrskontrollen" waren die Beamten auf der Suche nach Flüchtlingen, die vor allem in den letzten Tagen mit Hilfe gut organisierter Schleuserbanden nach Deutschland kamen.
Frankfurt (Oder) und Guben fordern Hilfe
Zuvor hatten die Rathauschefs von Frankfurt (Oder) und Guben mehr Unterstützung durch die Bundesbehörden gefordert. Die Bundespolizei müsse deutlich verstärkt werden und kontinuierlichere Präsenz zeigen, um stichprobenartig Kontrollen durchzuführen, sagte der Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), René Wilke (Linke), der Deutschen Presseagentur am Mittwoch. "Das ist auch für die ankommenden Geflüchteten wichtig, so dass sie sofort in geordnete Strukturen kommen, die ihnen Perspektiven statt dauerhafter Illegalität bieten."
Gubens Bürgermeister Fred Mahro (CDU) äußerte Kritik: Für die Bevölkerung seiner Stadt im Landkreis Spree-Neiße sei die Situation absolut unbefriedigend. Guben hat um die 17.000 Einwohner. Unter der massiven Einreise leide auch das Sicherheitsgefühl der Bewohner. "Hier ist auf der Ebene der Bundespolizei mit Unterstützung der Landespolizei mit erhöhter Präsenz unverzüglich zu reagieren."
Er berichtete, dass er in Guben ein Aufgreifen von Einwanderern durch die Bundespolizei miterlebt habe. Diese Kinder und Erwachsenen hätten sich in einem schlechten physischen und psychischen Zustand befunden. "Hier gilt es also zunächst, humanitär zu handeln und eine Unterbringung sicherzustellen", forderte er.
Bundespolizei übernimmt Erstkontrolle
Laut Brandenburgs Innenminister Stübgen kommen täglich etwa 100 Menschen über die polnische Grenze ins Land. Er habe mit dem Bund bereits vereinbart, dass künftig die Bundespolizei die Erstkontrolle dieser Flüchtlinge übernimmt, sagte Stübgen am Dienstag im rbb.
Der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, dringt derweil auf die Einführung von temporären Grenzkontrollen zu Polen. Der brandenburgische CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen hat sich ebenfalls für mehr Kontrollen an der Grenze ausgesprochen. Koeppen sitzt für Uckermark und Barnim im Bundestag. Er sagte Antenne Brandenburg am Mittwochmorgen, die Grenze müsse angesichts steigender Flüchtlingszahlen geschützt werden, damit sich kein neuer Flüchtlingsdruck aufbaue. Man brauche keine neuen Flüchtlingsrouten und auch 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Deshalb seien Kontrollen nötig. Eine Grenzschließung lehnte Koeppen jedoch ab.
Die Forderung nach Grenzkontrollen hält Wilke für zu unkonkret. Wenn mit Grenzkontrollen gemeint sei, Aufbauten am Grenzübergang zu schaffen und die Kontrollen aller Grenzübertritte vorzunehmen, halte er das für falsch, sagte Wilke. Das würde viele Menschen Belastungen aussetzen. Auch Stübgen sieht temporäre Grenzkontrollen skeptisch.
Sendung: Brandenburg aktuell, 20.10.2021, 19:30 Uhr