Interview | Bundeswehrveteran Christian Szafran - "Nach 20 Jahren Einsatzdauer muss ein Abschluss gefunden werden"

Mi 13.10.21 | 06:29 Uhr
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Soldaten der Bundeswehr steigen in einen Militärtransport im Feldlager Masar-i-Scharif in Afghanistan (Bild: dpa/Bundeswehr/Torsten Kraatz)
Bild: dpa/Bundeswehr/Torsten Kraatz

Seinen 21. Geburtstag hat Christian Szafran auf einem Wachturm in Afghanistan verbracht. Dreimal war der Berliner als Bundeswehr-Soldat am Hindukush. Am Freitag nimmt er am Großen Zapfenstreich teil - zu dem er ursprünglich gar nicht eingeladen war.

rbb|24: Herr Szafran wie blicken Sie auf den Großen Zapfenstreich?

Christian Szafran: Grundsätzlich ein bisschen gemischt. Der Große Zapfenstreich hätte ja schon vor ein paar Wochen stattfinden sollen und musste verschoben werden. Ich hatte mich schon damals darauf gefreut. Ich denke, dass nach 20 Jahren Einsatzdauer jetzt einfach ein Abschluss gefunden werden muss – so dass für die Leute, die dort unten vor Ort waren, einfach auch mal Ruhe reinkommt.

Ich sehe es aber auch ein bisschen mit einem weinenden Auge, weil viele Leute, die ihren Dienst in Afghanistan getan haben, nicht am Großen Zapfenstreich teilnehmen können. Leute, die auch Gesundheit dagelassen haben. Beziehungen, Ehen sind da kaputtgegangen. Ich hoffe, dass es bei den Kameraden, die nicht daran teilnehmen können, so ankommt: dass die Feier stellvertretend auch für sie ist.

Zur Person

Christian Szafran (Bild: rbb/Sylvia Tiegs)
rbb/Sylvia Tiegs

Christian Szafran, 35 Jahre alt, war insgesamt acht Jahre bei der Bundeswehr und schied im Mannschaftsgrad eines Oberstabsgefreiten aus. Kürzlich ist er als Reservist wieder in die Bundeswehr eingetreten.

Er war dreimal im Auslandseinsatz, jedes Mal in Afghanistan. Dort war er vor allem in Kunduz, aber auch in Kabul stationiert.

Heute arbeitet er bei der Berufsfeuerwehr in Potsdam.

Sie selbst hatten keine Einladung. Sie haben eine überlassen bekommen. Ist das ein Teil des Problems?

Ja, genau. Ich war während meiner Bundeswehrzeit, auf gut Deutsch gesagt, ein kleines Licht. Ich war Mannschaftsdienstgrad, davon gibt es Tausende und Abertausende in der Bundeswehr. Natürlich können die nicht alle zu so einer Veranstaltung kommen, das ist mir klar. Aber ich bin dreimal in Afghanistan gewesen. Das ist in meiner Dienstgradgruppe [Oberstabsgefreiter, Anm. d. Red.] nicht gerade wenig. Es war auch eine äußerst intensive Zeit. Ich habe die Einladung zum Großen Zapfenstreich von einem vorgesetzten Dienstgrad überlassen bekommen. Der hat gemerkt, dass ich ein bisschen die Wertschätzung vermisst habe. Der hat sich dann - sozusagen - in die Bresche geschmissen.

Haben Sie Momente in Erinnerung, wo Sie gespürt haben: es wird nicht gewürdigt, was Sie als Soldat gemacht haben? Oder vielleicht sogar das Gegenteil?

Es gibt zwei Situationen in meiner Dienstzeit, die mich doch sehr geprägt haben. Das eine war eine Situation an einem U-Bahnhof: Ein Kamerad wurde dort mit einer abgebrochenen Flasche angegriffen und dabei auch verletzt - weil er in Uniform gefahren ist. Da war mir das erste Mal klar, dass die Soldaten - wahrscheinlich geschichtsbezogen - noch nicht so angekommen sind in der Mitte der Gesellschaft, wie es von der Politik ganz gerne mal dargestellt wird.

Das zweite Mal ist mir erst vor relativ kurzer Zeit bewusst geworden. Und zwar gibt es bei der Bundeswehr eine Auszeichnung für Veteranen. Das ist ein Ansteck-Pin für das Revers des Hemdkragens. Jeder, der bei der Bundeswehr war, kann das haben – egal, ob Auslandseinsatz oder nicht. Das Abzeichen wird auch nicht verliehen, sondern mit der Post zugeschickt. Ich habe von Berichten ehemaliger Kameraden gehört, bei denen dieses Abzeichen in einem total zerknickten Umschlag irgendwie in einem Briefkasten gelandet ist. Und da muss ich sagen – und ich benutze das Wort nicht gern - aber das ist wirklich unwürdig.

Auch ich habe momentan noch Situationen, wo ich im Restaurant lieber mit dem Rücken zur Wand sitze

Christian Szafran

Sie waren dreimal in Afghanistan. Was ist davon bei Ihnen zurückgeblieben, an positiven und an negativen Eindrücken?

Positiv für mich war auf jeden Fall diese uneingeschränkte Kameradschaft. Wir haben da unten Feiertage zusammen gefeiert, Hochzeiten – und auch Scheidungen. Es ist ein ganz anderer Zusammenhalt als der, den ich eventuell in irgendeinem Großraumbüro habe.

Negativ, natürlich: die Feuergefechte. Das muss man auch nicht schönreden. Es ist bekannt, dass es auch zu kriegerischen Handlungen kam. Wir sind ja auch in Gegenden gewesen, wo man uns feindlich gegenübergetreten ist. Wenn die Pioniere zum Beispiel Schulen gebaut haben, haben wir als Sicherungszug danebengestanden und aufgepasst, dass nichts passiert.

Sie sind schon lange wieder zurück aus Afghanistan, leben in Berlin-Spandau, arbeiten bei der Feuerwehr in Potsdam. Haben Sie manchmal Flashbacks? Oder sind Sie komplett in Ihrem Alltagsleben angekommen?

Natürlich ist das alles nicht spurlos an einem vorbeigegangen. Auch ich habe momentan noch Situationen, wo ich im Restaurant lieber mit dem Rücken zur Wand sitze und mir anschaue, wer alles in dieses Restaurant reinkommt. Allerdings ist es bei mir nicht so, dass ich dann absolut handlungsunfähig bin. Sie merken auch: Ich rede relativ offen darüber. Das war nicht immer so. Aber das ist zum Beispiel auch etwas, wo ich sage: da muss die Bundeswehr noch nachsteuern.

Es hat auch mit Wertschätzung zu tun; mit den Leuten, die auf Auslandseinsätzen wie in Afghanistan gewesen sind, das nachzuarbeiten. Zu sagen: Ihr wart in einem so intensiven Umfeld, ihr habt vielleicht auch gekämpft. Ihr müsst jetzt erstmal rausgenommen werden. Ihr geht jetzt zur Kur. Ich weiß, dass die Bundeswehr dahingehend schon viel macht und viel arbeitet – aber da könnte noch mehr passieren.

Was wünschen Sie sich von der zivilen Gesellschaft - von uns, von Ihren Mitmenschen?

Was ich mir persönlich wünschen würde – und ich denke, da spreche ich auch vielen Kameraden aus dem Herzen – ist, dass man uns einfach behandelt wie normale Menschen. Man macht als Soldat nicht nur seinen Job. Sondern man hat sich bewusst dafür entschieden. Man macht das auch gern für die Bürger. Da ist es doppelt schlimm für uns, wenn wir beschimpft, angespuckt, zur Seite gedrückt werden. Wir wollen nicht in den Himmel gehoben werden, sondern behandelt werden, wie man selbst auch behandelt werden möchte. Denn: nur weil wir eine Uniform anhaben, heißt das nicht, dass wir das Menschsein ablegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sylvia Tiegs, Inforadio.

Sendung: Inforadio, 13.10.2021

33 Kommentare

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  1. 33.

    Schön wie Sie mir das erklärt haben. Ernsthaft.
    Nun je nach Blickwinkel kann man die Sache zwischen der Volksrepublik und der Republik China auch anders interpretieren.
    Wir, also der Wertewesten, zeigen was wir so haben und die VRC macht das auch. Auch Deutschland möchte durch die Fregatte Bayern mit rasseln( mit Zwischenstopp auf einer besetzten Insel).
    Im ehemaligen Jugoslawien haben wir, in dem Fall Deutschland, durch die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens den Stein ins rollen gebracht. Beim Kosovokrieg waren wir auch vorne mit bei.
    Durch unsere Unterstützung von Gegnern der dortigen Regierungen nahmen wir das Entstehen des IS zumindest billigend in Kauf.

  2. 32.

    Ich muß Ihnen Armee erklären? Ernsthaft?
    Soldat-Unteroffizier-Offizier-General. General gibt Einsatzbefehl an Offizier, der an Unteroffizier und der an Soldat. Ausführung. Ist in jeder Armee auf dieser Welt so.Bei anderen Waffengattungen heißen die Ränge halt nur anders.
    Ich stimme Ihnen zu, das Gewalt eigentlich nie die Lösung ist. Nun ist die Welt aber weit weg vom allgemeinen Weltfrieden . Aktuell rasselt z.b. die VRC mit dem Säbel(mal wieder)gegen Taiwan.
    Haben WIR jetzt da was angezettelt?
    Haben WIR im ehm.Jugoslawien was angezettelt?
    Wer ist WIR?
    Sind Andere z.b.der IS dann die anderen WIR?

  3. 31.

    Aus der Geschichte sollte man lernen, Krieg hat noch keine Probleme gelöst.
    Erst stiften wir Unfrieden(teile und herrsche),im Anschluss wundern wir uns warum sich in anderen Ländern die Menschen den Schädel einschlagen. Dann kommen Waffen auch aus Deutschland zum Einsatz und am Ende werden Soldaten geschickt um Menschenrechte und Demokratie zu bringen. Am Ende des Tages stehen Flüchtlinge an den Grenzen Europas und keiner kann nachvollziehen wie es dazu kommen konnte. So oder in leicht abgewandelter Form läuft das immer ab.
    Und jetzt können Sie mir erklären wie eine Armee funktioniert!

  4. 30.

    Wenn durch einen Drohneneinsatz vermeintlich Terroristen eliminiert werden und es sich hinterher als Familie mit mehreren Kindern darstellt ist es dann leicht ein Bellizist zu sein? Ist das dann völkerrechtswidrig und bestialisch?
    Opfer sind meistens Zivilisten . Ich hoffe Sie wissen das.
    Oder denken Sie das die Einheimischen sich freuen wenn ihre Verwandten nicht mehr da sind? Das ist der Nährboden für neues Leid.

  5. 29.

    Raffen Sie es wirklich nicht oder sind Sie einfach nur bodenlos ignorant? Einen auf Pazifisten zu machen, ist immer sehr leicht. In der Realität ist es aber oftmals unmoralisch, zuzusehen und sich raushalten zu wollen, wenn anderswo Menschen bestialisch und völkerrechtswidrig abgeschlachtet werden. Schönes ruhiges Leben noch! (Und lassen Sie am besten den Fernseher und das Internet aus, Sie könnten mit unangenehmen Bildern der Realität konfrontiert werden!)

  6. 28.

    Nochmal die Frage gestellt an Sie.
    Wie eine Armee weltweit funktioniert ist Ihnen bekannt oder nicht? Bei einer Berufsarmee(aktuell auch die BW)unterschreibt man FREIWILLIG einen Vertrag und damit unterschreibt man FREIWILLIG auch den Einsatz im Ausland aktuell.
    Das Mandat für diesen Einsatz haben die gewählten Vertreter des Volkes in Mehrheit abgesegnet. Wenn Ihre gewählten Vertreter in der Minderheit waren, dann ist das so. Ob es Einem gefällt oder eben auch nicht.
    Und mit Ihrer Geschichtsstunde zum Thema“Balkankrieg“ wollen Sie jetzt was mitteilen? Und die Kartoffeln sollten bei dem letzten Krieg in Ex-Jugoslawien mal wieder Andere ausbuddeln……..naja.

  7. 27.

    Sie bringen sehr viele Dinge durcheinander.
    Die Balkan-Kriege fanden vor dem ersten Weltkrieg statt! Sicherlich meinten Sie die Jugoslawienkriege.
    Der Völkermord in Srebrenica wurde nicht verhindert. Oder haben Sie andere Informationen?
    Die Grünen haben damals einen Krieg mit verantwortet und ja die fanden das gut. Es ging um 1999.
    Ist Ihnen aufgefallen das innerhalb eines Jahrhunderts Belgrad dreimal von deutschen Truppen bombardiert wurde.
    Wie oft haben das die Serben mit uns gemacht? So einen Angriffskrieg finden Sie also gut?
    Und wo gibt es den internationalen Gerichtshof für Menschenrechte?

  8. 24.

    " Bis jetzt wurde auch noch kein Völkermord verhindert." Ach nein, dem Eingreifen in den Balkan-Krieg haben die Grünen damals aus einer kriegerischen Laune heraus zugestimmt, oder wie? Aus meiner Sicht eine der wenigen Entscheidungen, denen ich uneingeschränkt zustimme. Glauben Sie echt, die diversen Armeen, allen voran die serbische, hätten mit den Gräueltaten, den Kriegsverbrechen und den ethnischen Morden ohne Eingreifen von außen einfach so aufgehört? Die Kriegsverbrecherprozesse vor dem internationalen Gerichtshof für Menschenrechte werden und wurden jedenfalls nicht geführt, weil sich die Volksgruppen damals nur ein wenig gerangelt hätten. Manchmal ist militärisches Eingreifen leider alternativlos.

  9. 23.

    Nochmal. Wie eine Armee funktioniert ist Ihnen bekannt? Freiwilligkeit beim Einsatzbefehl steht da nicht unbedingt drin.

  10. 22.

    Wenn man weiß das etwas nicht richtig ist und die Mehrheit es trotzdem macht, dann heißt es noch lange nicht das alle das akzeptieren müssen.
    Ausbaden müssen diese Entscheidungen aber immer andere, Soldaten, Einheimische und auch Bürger dieses Landes. Bis jetzt wurde auch noch kein Völkermord verhindert.
    Die Menschen in Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien wollen zuallererst Frieden!
    Wir sollten aufhören uns in andere Länder einzumischen. Da sollten sich unsere Parlamentarier mal engagieren.
    Wir kommen nämlich immer mit der Moral und dann ist es schon zu spät.
    Sie wissen ganz genau das es auch in Zukunft Einsätze gibt, die vom Bundestag beschlossen werden. Ein Grund wird sich schon finden.

  11. 20.

    Ich weiß schon was ein Bündnis ist und ich weiß ebenfalls das der Bündnisfall ausgerufen wurde.
    Die Abgeordneten hätten auch nein dazu sagen können, denn die größte Militärmacht aller Zeiten wäre doch in der Lage gewesen das alleine zu regeln. Oder steht die NATO über dem Bundestag?
    Einen Bündnisfall in dem Sinne gab es schon mal ein paar Jahre vorher. Das lief auch nicht so berauschend.
    Machen Sie alles was man ihnen sagt?

  12. 18.

    Ich glaube nicht, dass es in der Lage ist sie zu verstehen. Die Ultralinken in Boulettinien sind dermaßen neben der Spur, dass sie auch maßgeblich für das Auseinanderfallen ihrer Partei verantwortlich sind. Kluge Köpfe wie Wagenknecht, Lafontaine und Gysi ziehen sich nicht ohne Grund von diesem Chaotenhaufen zurück.

  13. 17.

    17,8 Milliarden für nichts, außer vielen Toten.

  14. 16.

    Selbstverständlich dürfen Sie Ihre Meinung sagen, auch und gerade zu den Auslandseinsätzen. Die aktuellen Einsätze sind nun aber mal mehrheitlich beschlossen worden, ob es einem gefällt oder nicht. Entsprechend sind unsere Soldaten auch im gesellschaftlichen Auftrag unterwegs und dafür gebührt ihnen unser Dank. Dass es zukünftig idealerweise keine solche Einsätze mehr geben sollte, steht auf einem anderen Blatt, ist aber moralisch eben auch nicht immer durchzuhalten. Wenn es darum geht, Völkermord zu verhindern, wie damals im Bosnienkrieg, dann ist es unredlich, sich zurückzulehnen und kund zu tun, man hätte damit ja nichts am Hut, würde sich ja einfach nur raushalten und die Anderen machen lassen. Es gibt eben Situationen, da kann und darf man sich nicht raushalten. Afghanistan war ein Sonderfall, da Deutschland hier dem NATO-Bündnisfall beigetreten ist, nachdem die USA angegriffen wurde und Bin-Laden sich in Afghanistan verkrochen hatte. Trotzdem ist vieles falsch gelaufen.

  15. 15.

    Sie sehen also das Problem.
    Ich als Kriegsgegner habe meine Stimme bei der Bundestagswahl abgegeben und dann darf ich meine Meinung nicht mehr sagen?

  16. 14.

    Den Beschluss haben sicherlich Politiker getroffen, aber die Soldaten sind bewusst und freiwillig nach Afghanistan gegangen. Oder wollen Sie den Soldaten etwas unterstellen ?

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