Interview | Bundeswehrveteran Christian Szafran - "Nach 20 Jahren Einsatzdauer muss ein Abschluss gefunden werden"

Seinen 21. Geburtstag hat Christian Szafran auf einem Wachturm in Afghanistan verbracht. Dreimal war der Berliner als Bundeswehr-Soldat am Hindukush. Am Freitag nimmt er am Großen Zapfenstreich teil - zu dem er ursprünglich gar nicht eingeladen war.
rbb|24: Herr Szafran wie blicken Sie auf den Großen Zapfenstreich?
Christian Szafran: Grundsätzlich ein bisschen gemischt. Der Große Zapfenstreich hätte ja schon vor ein paar Wochen stattfinden sollen und musste verschoben werden. Ich hatte mich schon damals darauf gefreut. Ich denke, dass nach 20 Jahren Einsatzdauer jetzt einfach ein Abschluss gefunden werden muss – so dass für die Leute, die dort unten vor Ort waren, einfach auch mal Ruhe reinkommt.
Ich sehe es aber auch ein bisschen mit einem weinenden Auge, weil viele Leute, die ihren Dienst in Afghanistan getan haben, nicht am Großen Zapfenstreich teilnehmen können. Leute, die auch Gesundheit dagelassen haben. Beziehungen, Ehen sind da kaputtgegangen. Ich hoffe, dass es bei den Kameraden, die nicht daran teilnehmen können, so ankommt: dass die Feier stellvertretend auch für sie ist.
Sie selbst hatten keine Einladung. Sie haben eine überlassen bekommen. Ist das ein Teil des Problems?
Ja, genau. Ich war während meiner Bundeswehrzeit, auf gut Deutsch gesagt, ein kleines Licht. Ich war Mannschaftsdienstgrad, davon gibt es Tausende und Abertausende in der Bundeswehr. Natürlich können die nicht alle zu so einer Veranstaltung kommen, das ist mir klar. Aber ich bin dreimal in Afghanistan gewesen. Das ist in meiner Dienstgradgruppe [Oberstabsgefreiter, Anm. d. Red.] nicht gerade wenig. Es war auch eine äußerst intensive Zeit. Ich habe die Einladung zum Großen Zapfenstreich von einem vorgesetzten Dienstgrad überlassen bekommen. Der hat gemerkt, dass ich ein bisschen die Wertschätzung vermisst habe. Der hat sich dann - sozusagen - in die Bresche geschmissen.
Haben Sie Momente in Erinnerung, wo Sie gespürt haben: es wird nicht gewürdigt, was Sie als Soldat gemacht haben? Oder vielleicht sogar das Gegenteil?
Es gibt zwei Situationen in meiner Dienstzeit, die mich doch sehr geprägt haben. Das eine war eine Situation an einem U-Bahnhof: Ein Kamerad wurde dort mit einer abgebrochenen Flasche angegriffen und dabei auch verletzt - weil er in Uniform gefahren ist. Da war mir das erste Mal klar, dass die Soldaten - wahrscheinlich geschichtsbezogen - noch nicht so angekommen sind in der Mitte der Gesellschaft, wie es von der Politik ganz gerne mal dargestellt wird.
Das zweite Mal ist mir erst vor relativ kurzer Zeit bewusst geworden. Und zwar gibt es bei der Bundeswehr eine Auszeichnung für Veteranen. Das ist ein Ansteck-Pin für das Revers des Hemdkragens. Jeder, der bei der Bundeswehr war, kann das haben – egal, ob Auslandseinsatz oder nicht. Das Abzeichen wird auch nicht verliehen, sondern mit der Post zugeschickt. Ich habe von Berichten ehemaliger Kameraden gehört, bei denen dieses Abzeichen in einem total zerknickten Umschlag irgendwie in einem Briefkasten gelandet ist. Und da muss ich sagen – und ich benutze das Wort nicht gern - aber das ist wirklich unwürdig.
Sie waren dreimal in Afghanistan. Was ist davon bei Ihnen zurückgeblieben, an positiven und an negativen Eindrücken?
Positiv für mich war auf jeden Fall diese uneingeschränkte Kameradschaft. Wir haben da unten Feiertage zusammen gefeiert, Hochzeiten – und auch Scheidungen. Es ist ein ganz anderer Zusammenhalt als der, den ich eventuell in irgendeinem Großraumbüro habe.
Negativ, natürlich: die Feuergefechte. Das muss man auch nicht schönreden. Es ist bekannt, dass es auch zu kriegerischen Handlungen kam. Wir sind ja auch in Gegenden gewesen, wo man uns feindlich gegenübergetreten ist. Wenn die Pioniere zum Beispiel Schulen gebaut haben, haben wir als Sicherungszug danebengestanden und aufgepasst, dass nichts passiert.
Sie sind schon lange wieder zurück aus Afghanistan, leben in Berlin-Spandau, arbeiten bei der Feuerwehr in Potsdam. Haben Sie manchmal Flashbacks? Oder sind Sie komplett in Ihrem Alltagsleben angekommen?
Natürlich ist das alles nicht spurlos an einem vorbeigegangen. Auch ich habe momentan noch Situationen, wo ich im Restaurant lieber mit dem Rücken zur Wand sitze und mir anschaue, wer alles in dieses Restaurant reinkommt. Allerdings ist es bei mir nicht so, dass ich dann absolut handlungsunfähig bin. Sie merken auch: Ich rede relativ offen darüber. Das war nicht immer so. Aber das ist zum Beispiel auch etwas, wo ich sage: da muss die Bundeswehr noch nachsteuern.
Es hat auch mit Wertschätzung zu tun; mit den Leuten, die auf Auslandseinsätzen wie in Afghanistan gewesen sind, das nachzuarbeiten. Zu sagen: Ihr wart in einem so intensiven Umfeld, ihr habt vielleicht auch gekämpft. Ihr müsst jetzt erstmal rausgenommen werden. Ihr geht jetzt zur Kur. Ich weiß, dass die Bundeswehr dahingehend schon viel macht und viel arbeitet – aber da könnte noch mehr passieren.
Was wünschen Sie sich von der zivilen Gesellschaft - von uns, von Ihren Mitmenschen?
Was ich mir persönlich wünschen würde – und ich denke, da spreche ich auch vielen Kameraden aus dem Herzen – ist, dass man uns einfach behandelt wie normale Menschen. Man macht als Soldat nicht nur seinen Job. Sondern man hat sich bewusst dafür entschieden. Man macht das auch gern für die Bürger. Da ist es doppelt schlimm für uns, wenn wir beschimpft, angespuckt, zur Seite gedrückt werden. Wir wollen nicht in den Himmel gehoben werden, sondern behandelt werden, wie man selbst auch behandelt werden möchte. Denn: nur weil wir eine Uniform anhaben, heißt das nicht, dass wir das Menschsein ablegen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sylvia Tiegs, Inforadio.
Sendung: Inforadio, 13.10.2021