Humboldt Universität Berlin - Rücktritt von HU-Präsidentin Kunst löst heftige Reaktionen aus

Aus Protest gegen das neue Hochschulgesetz gibt die Präsidentin der Berliner Humboldt-Uni, Sabine Kunst, ihr Amt auf. Das Vorhaben des Senats nannte sie in einer Erklärung "gut gemeint, aber schlecht gemacht".
Die Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität, Sabine Kunst, hat am Dienstag ihren Rücktritt angekündigt. In einem Statement auf der Webseite der Universität [hu-berlin.de] erklärte sie, ihr Amt aus Protest gegen das neue Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) zum Jahresende niederzulegen.
Die Weichenstellungen des Gesetzes halte sie "für gut gemeint, aber schlecht gemacht", begründete Kunst ihren Schritt. Die Änderungen gefährdeten die exzellente Weiterentwicklung und letztendlich den Wissenschaftsstandort Berlin.
Der scheidende rot-rot-grüne Senat will mit der Novelle des BerlHG mehr befristet beschäftigte wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Festanstellungen bringen. Konkret soll Paragraf 110 dafür sorgen, dass sich die Zahl der unbefristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter deutlich erhöht. Ungeklärt ist aber die Finanzierung.
Kunst spricht von einer "Nacht- und Nebelaktion"
Auch die aktuellen Strukturen seien nicht darauf ausgerichtet, kritisierte Kunst. Die Lösung der damit verbundenen Zielkonflikte werde eine Aufgabe der nächsten fünf bis zehn Jahre werden. Den Berliner Hochschulen werde damit die Flexibilität genommen, auf internationalem Niveau mitzuhalten.
Im Gespräch mit dem Radioprogramm rbb Kultur am Dienstagnachmittag kritisierte Kunst vor allem den Paragrafen 110. Dieser sei "in einer Nacht- und Nebelaktion ins Gesetz gekommen, ohne Rücksprache mit den Hochschulen." Es sei dabei nicht darauf geachtet worden, ob das politisch Gewollte so auch umgesetzt werden könne, so Kunst.
Besonders Festanstellungen von Post-Doktoranden überforderten derzeit die Gegebenheiten der Universitäten, der Handlungsspielraum werde zu stark beschnitten. "Um neue Strukturen zu entwickeln und gleichzeitig Exzellenzforschung machen zu können, dafür braucht man freie Stellen, man muss aussuchen können, wer kommt", betonte Kunst in dem Interview. Sabine Kunst ist seit Mai 2016 Präsidentin der Humboldt-Universität. Ihre zweite fünfjährige Amtszeit begann erst am 11. Mai dieses Jahres.
Auch TU- und FU-Präsidenten kritisieren das Hochschulgesetz
Der Präsident der Technischen Universität Berlin, Christian Thomsen, reagierte verständnisvoll auf den Rücktritt seiner Amtskollegin. Auch er forderte am Dienstag eine weitere Novelle des Berliner Hochschulgesetzes: "Das Land Berlin hat mit der Novelle der international viel beachteten Erfolgsgeschichte der Berliner Universitäten einen schmerzhaften Dämpfer verabreicht. Der Rücktritt von Sabine Kunst ist ein deutlicher Ausdruck dessen."
Das Ziel des Gesetzgebers, planbare und attraktive Lebens- und Karrierewege für hoch qualifizierte Nachwuchswissenschaftler zu schaffen, sei mit der jetzigen Formulierung des Gesetzes nicht realisierbar. "Deshalb fordere ich zeitnah konstruktive und offene Gespräche mit der Politik, bei denen die Hochschulen gleichberechtigt am Tisch sitzen, und wir gemeinsam über eine Novellierung der Novelle sprechen", sagte Thomsen.
FU-Präsident Günter Ziegler erklärte, er bedauere Kunsts Rückritt und teile ihre Bedenken gegen die Novelle. Deren Vorgaben seien "ohne sinnvolle Übergangsfristen" und angesichts der aktuell fehlenden Ausfinanzierung kaum zu stemmen. Hier brauche es mehr Flexibilität und eine Überarbeitung des Gesetzes.
Auch die Universität der Künste Berlin kritisiert das novellierte Hochschulgesetz. Vor dessen Verabschiedung habe man deutliche Kritik an Teilen der Inhalte geäußert, die leider nicht berücksichtigt wurden, sagte Norbert Palz, Präsident der Universität der Künste. Kunsts Rücktritt bedauere man sehr, so Palz.
Müller zeigt sich verwundert
Der Berliner Regierende Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) bedauerte die Rücktrittsankündigung. Kunst habe die Humboldt-Universität in vielen wichtigen Punkten vorangebracht und den Wissenschaftsstandort Berlin aktiv mitgestaltet, teilte der SPD-Politiker am Dienstag mit. "Wir nehmen den Rücktritt von Prof. Sabine Kunst mit Bedauern und Verwunderung zur Kenntnis."
Ihre Kritik am Hochschulgesetz wies Müller zurück: "Die Anforderungen des neuen Hochschulgesetzes mögen anspruchsvoll sein, aber sie sind wichtig für die langfristige Stärkung des Standorts und im konstruktiven Miteinander zwischen Hochschulen und Senat gut umsetzbar."
CDU: Schallende Ohrfeige für Rot-Rot-Grün
Der forschungspolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Adrian Grasse, nannte den Rücktritt von Kunst einen "Tiefschlag für den Wissenschaftsstandort Berlin". Er sei zugleich das Ergebnis der jüngsten wissenschaftspolitischen Fehlentscheidungen des rot-rot-grünen Senats. "Dass die Präsidentin einer Exzellenzuniversität ihr Amt niederlegt, weil sie die jüngste Novelle des Hochschulgesetzes nicht mittragen kann, ist eine schallende Ohrfeige für SPD, Linke und Grüne", erklärte Grasse.
Der FDP-Sprecher für Wissenschaft und Forschung, Stefan Förster, sieht in Kunst das "erste prominente Opfer der Novelle des Berliner Hochschulgesetzes". Ohne Notwendigkeit sei ein bewährtes und praktikables Hochschulgesetz in ein enges Korsett gezwängt worden, das statt Autonomie nun dirigistische Eingriffe in die Selbstverwaltung der Universitäten vornehme.
Martin Trefzer, wissenschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion, bezeichnete den Rücktritt von Kunst als eine "schwere Klatsche" für den scheidenden Wissenschaftssenator Michael Müller und seinen Staatssekretär Steffen Krach. "Beide haben die berechtigten Warnungen Kunsts und anderer Hochschulpräsidenten leichtfertig in den Wind geschlagen, um ihre mit heißer Nadel gestrickte Novelle des Hochschulgesetzes noch vor den Wahlen durchzupeitschen".
Sendung: rbb Kultur, 26.10.2021, 16:55 Uhr