Interview | Debatte um Berliner Hochschulgesetz - "Der Rücktritt von Sabine Kunst ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar"

HU-Präsidentin Sabine Kunst hat aus Protest gegen das Berliner Hochschulgesetz ihren Rücktritt erklärt. Für Reinhard Flogaus, Senatsmitglied der Humboldt-Uni, sind die Gründe nicht nachvollziehbar - zumal die Verhandlungen mit dem Senat noch laufen.
Die Präsidentin der Berliner Humboldt Universität, Sabine Kunst, hat am Dienstag ihren Rücktritt angekündigt - nur wenige Monate nach Beginn ihrer zweiten Amtszeit. Als Grund gab sie die vor kurzem beschlossenen Änderungen im Berliner Hochschulgesetz an. Vor allem kritisiert sie den dort verankerten Anspruch von wissenschaftlichen Mitarbeitern - wie Juniorprofessoren und Hochschuldozenten - auf eine unbefristete Beschäftigung.
rbb: Herr Flogaus, wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind an der Humboldt-Uni von der Neuregelung betroffen?
Reinhard Flogaus: Bei dem Konflikt, der hinter dem Rücktritt von Sabine Kunst steht, geht es hauptsächlich um die promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen - weniger um die Juniorprofessor:innen und Hochschuldozent:innen, von denen wir im Moment gar keine haben. Die etwa 220 wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen sind nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz zur Weiterqualifikation befristet beschäftigt.
Aber die Senatsverwaltung hat klargestellt, dass die Neuregelung des Gesetzes eben nicht für diese Bestandsverträge gilt und zwar auch nicht dann, wenn diese Verträge aus unterschiedlichen Gründen verlängert werden. Und die Neuregelung gilt auch nur für Promovierte, die zur Erlangung der Berufungsfähigkeit auf eine Professur befristet werden. Insofern könnte man sagen, zurzeit sind nur sehr wenige Personen unmittelbar von der Neuregelung betroffen.
Und gerade deshalb ist die Kurzfristigkeit und die Begründung des Rücktritts von Sabine Kunst für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Es laufen bereits Gespräche mit der Senatsverwaltung und den wissenschaftspolitischen Sprechern. Dort hat man inzwischen auch eingesehen, dass dieser eine Punkt noch Mängel und Unklarheiten aufweist und ist bereit zu helfen. Nach Bildung einer neuen Regierung, denke ich, wird das auch sicher zu einem Ergebnis führen. Warum Sabine Kunst jetzt, die doch für ihre Durchsetzungsfähigkeit, ihre Ausdauer und auch eben ihre sachlich-kühle Art bekannt ist, einfach so Knall auf Fall zurücktritt, ist mir ein Rätsel.
Wenn es also kaum Fälle gibt, für die das jetzt gelten würde, wäre keine große finanzielle Belastung für die Humboldt-Uni damit verbunden?
Im Moment überhaupt nicht. Die Humboldt-Uni ist dazu übergegangen, in Einzelfällen, wo Neueinstellungen hätten vorgenommen werden sollen, für die das neue Gesetz gelten würde, diese Einstellungen einfach zu sistieren und sie nicht durchzuführen. Das ist natürlich nicht schön, zumal wenn es irgendwelche Zusagen auch im Rahmen von Berufungsverhandlungen sind. Aber es gibt im Moment keinerlei zusätzliche Finanzbelastung. Mittelfristig wäre damit schon zu rechnen.
Es gibt eine Betrachtungsweise, die Sabine Kunst angeführt hat bei der Begründung ihres angekündigten Rückzugs: Wenn das so kommt, wie es in dem neuen Gesetz steht, würden durch die Festanstellungen Qualifizierungs- in Dauerpositionen umgewandelt werden. Dadurch würden sich die Qualifizierungsmöglichkeiten für die nächsten Generationen verringern. Ist da was dran?
Das hängt einfach davon ab, wie das Gesetz auch von Landesseite begleitet und finanziell hinterfüttert wird. Wenn perspektivisch mehr unbefristete Stellen im Mittelbau vorhanden sein sollen, kostet das auch mehr Geld. Es ist klar, dass die Unis nicht dauerhaft ihre Qualifikationsstellen, das heißt ihre befristeten Stellen für Promovierende und auch für Promovierte reduzieren können. Wir haben ja einen Auftrag, weiterhin den wissenschaftlichen Nachwuchs zu qualifizieren.
Meiner Meinung nach wäre es das Beste, einfach in den Hochschulverträgen künftig den Sondertatbestand 'Entfristung von Post-Docs' einzuführen. Die dafür zur Verfügung gestellten Finanzmittel sollten auch nur dafür eingesetzt werden dürfen. Das ist Sache der Hochschulvertragsverhandlungen. Es ist äußerst bedauerlich, dass Frau Kunst gerade jetzt die Humboldt Universität verlässt, wo die neuen Hochschulvertragsverhandlungen mit dem Land anlaufen. Gerade für diese Verhandlungen brauchen wir ein starkes und durchsetzungsfähiges Präsidium.
Nun reden wir über das Berliner Hochschulgesetz. Wie ist es in anderen Bundesländern geregelt?
Gute Frage. Mir ist nicht bekannt, dass es in anderen Bundesländern bisher solche gesetzliche Regelungen gibt, wie sie nun der novellierte Paragraf 110 des Berliner Gesetzes vorsieht. Berlin geht neue Wege und ich hoffe, auch mit einem guten Beispiel. Ich meine aber auch, dass der Automatismus der Entfristung von Promovierten, wie er nun im Absatz sechs vorgesehen ist, ein Problem darstellt. Die Universitäten müssen sich auch weiterhin die besten Köpfe aussuchen können und auch solche Leute, die von ihrem Forschungs- und Lehrgebiet her zu den Curricula und zu den Instituten passen.
Aber abgesehen davon, das muss ich ganz deutlich sagen, weil die Presse sehr negativ berichtet hat, ist der Mittelbau der HU sehr froh über die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG). Frau Kunst hat bei ihrem Rücktritt insgesamt auf die Änderungen des BerlHG verwiesen, und dass es die exzellente Weiterentwicklung behindern und den Wissenschaftsstandort Berlin gefährden würde. Davon kann meiner Meinung nach keine Rede sein. Wir sind froh, dass die Berliner Koalition das auf den letzten Metern noch hingekriegt hat.
Es sind zahlreiche Verbesserungen drin, nicht nur für den Mittelbau, sondern auch die Mitwirkungs-, Entscheidungs und Informationsrechte der Gremien sind gestärkt worden. Es gibt eine Promovierendenvertretung, die es bisher nicht gab und vieles andere mehr. Und ich freue mich, dass Herr Thomsen [Anmerkung der Redaktion: Christian Thomsen, Präsident der Technischen Universität Berlin] auch gesagt hat, er findet das Gesetz richtig und gut, und das könne auch so bleiben. Man müsse eben noch Feinjustierungen machen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Reinhard Flogaus führte Dietmar Ringel, Inforadio.
Der Text ist eine redigierte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: Inforadio, 27.10.2021, 15:25 Uhr