Geflüchteter Afghane erhebt Vorwürfe - "Sie haben uns auf sehr einschüchternde Weise bedrängt"

Nicht alle Afghanen, die von der Bundeswehr aus ihrer Heimat ausgeflogen wurden, sind anerkannte Ortskräfte. Das führt nach ihrer Ankunft in Deutschland zu Problemen, wie Videoaufnahmen zeigen. Einer der Betroffenen erhebt Vorwürfe. Von Oliver Soos und Markus Woller
Im August sind 266 der aus Kabul ausgeflogenen Flüchtlinge in Brandenburg aufgenommen worden. Nur 120 von ihnen sind als Ortskräfte anerkannt. Ein Video, dass Pro Asyl auf Twitter veröffentlicht hat [twitter.com], erweckt den Anschein, dass die Brandenburger Behörden die anderen Flüchtlinge in herkömmliche Asylverfahren drängen wollen. Nun gibt es weitere Details von Hamid* (*Name von der Redaktion geändert), einem Betroffenen aus dem Videoclip.
Hamid weist auf sein dreimonatiges Visum hin
Nach rbb-Informationen wurde das Video am 23. September in Eisenhüttenstadt aufgenommen, im Gebäudekomplex, in dem sich die Zentrale Ausländerbehörde Brandenburgs und die Zweigstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge befinden. Zu sehen ist eine Frau, die knapp 20 afghanische Flüchtlinge auffordert, Asylverfahren zu unterschreiben.
Einer der Flüchtlinge, Hamid, ergreift das Wort und sagt, dass sie alle dreimonatige Visa nach Paragraph 22 des Aufenthaltsgesetzes hätten. Es sind jene Visa, die den Geretteten bei der Evakuation Kabuls im August ausgestellt wurden. In Deutschland sollten sie umgewandelt werden in einen dreijährigen Aufenthaltsstatus mit sofortiger Arbeitserlaubnis. Doch das steht Hamid und den anderen im Videoclip offenbar nicht zu.

Asylverfahren oder Rauswurf aus der Unterkunft
Die Behördenmitarbeiterin sagt: "Ihr Paragraph 22 hat eine Bedingung und zwar den Paragraph 14 und der besagt, dass sie erst in Prüfung sind. Ich habe eine Liste vom Bundesamt. Sie sind nicht hundertprozentig als Ortskräfte anerkannt."
Hamid erzählt dem rbb, was bei ihm das Problem sei: "Ich war Berater des afghanischen Verteidigungsministers, also der gestürzten Regierung." Im Zuge dessen habe er mit dem deutschen Militär zusammengearbeitet, aber nicht für die deutschen Kräfte. Eine Ortskraft sei er in diesem Sinn also nicht. "Aber für die Taliban macht das keinen Unterschied", betont er. "Ich war in Gefahr und hatte gute Kontakte und Freunde in der deutschen Botschaft. Sie haben dafür gesorgt, dass ich am 17. August mit einem deutschen Militärflugzeug ausgeflogen wurde", erzählt Hamid.
"Sie dürfen 90 Tage bleiben. Wo, ist mir ehrlich gesagt egal. Aber nicht bei uns"
Nach seiner Ankunft in Deutschland sei ihm vermittelt worden, dass es keine Rolle spiele, ob er Ortskraft sei oder nicht. Doch in Eisenhüttenstadt sei dann Druck auf ihn und andere Afghanen ausgeübt worden, ein herkömmliches Asylverfahren zu beantragen. "Ich habe darum gebeten, mit einem Anwalt reden zu können oder die Papiere zu einem Anwalt bringen zu können. Doch die Antwort war: Wenn Sie nicht jetzt unterschreiben, müssen sie die Unterkunft verlassen." Anerkannte afghanische Ortskräfte können eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis bekommen. Sie bietet deutlich mehr Sicherheit und eine schnellere Integration als ein Asylverfahren.
"Sie haben uns auf sehr einschüchternde Weise bedrängt und holten den Sicherheitsdienst dazu", so Hamid. Hamid weigert sich, zu unterschreiben. Ein zweiter Videoclip zeigt, wie ihm ein weiterer Behördenmitarbeiter erklärt, dass er nun selbst sehen müsse, wo er bleibt. Denn in der Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt gäbe es keinen Platz für ihn und auch seine alte Unterkunft, die Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain, würde ihn nicht mehr unterbringen. "Sie dürfen 90 Tage bleiben. Wo, ist mir ehrlich gesagt egal. Aber nicht bei uns", sagt der Behördenmitarbeiter.
Linken-Politikerin Johlige: "Ich bin fassungslos"
Die Vizefraktionsvorsitzende der Brandenburger Linken, Andrea Johlige, hat Strafanzeige wegen Nötigung gegen Unbekannt gestellt. Das sei eine klare "Drohung mit Obdachlosigkeit" gewesen, sagte sie dem rbb. Zuvor hatte sie in einer Pressemitteilung erklärt: "Ich bin fassungslos. Den Ortskräften wurde im Sommer die humanitäre Aufnahme in Deutschland versprochen. Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, dass diese Menschen nun ins Asylsystem gedrängt werden sollen, was in vielen Fällen aufenthaltsrechtlich nachteilig für sie sein wird."
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weist auf Twitter die Vorwürfe zurück, Personen würden "zur Stellung eines Asylantrages gedrängt, genötigt oder gar gezwungen". Für die afghanischen Ortskräfte sei die Erteilung einer Humanitären Aufnahme nach Paragraph 22 des Aufhenthaltsgesetzes eingeleitet worden. Alle anderen Menschen seien auf die Möglichkeit hingewiesen worden, einen Asylantrag zu stellen. Auch die Rücknahme eines Asylantrags und eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraph 22 sei möglich.
Innenminister Stübgen: "Niemand soll bedroht werden"
Brandenburgs Innenminister Stübgen (CDU) kündigte an, den Vorfall aus dem Videoclip aufzuklären, denn niemand solle bedroht werden. Doch den Flüchtlingen müsse auch klargemacht werden, dass sie ab November voraussichtlich illegal in Deutschland seien, wenn sie nicht handelten. "Mittlerweile sind die Anträge von 120 der 266 Afghaninnen und Afghanen beschieden. Sie haben den Aufenthaltsstatus als Ortskraft. Bei den anderen ist es wahrscheinlich, dass sie diesen Status nicht bekommen. Jetzt bemüht sich die Zentrale Ausländerbehörde den Leuten mitzuteilen, dass es wichtig ist, einen Asylantrag zu stellen", sagt Stübgen.
Hamid erzählt, dass er sich einen Anwalt nehmen und für seinen Aufenthaltsstatus kämpfen will. Er sei mittlerweile bei Freunden in Hamburg untergekommen.
Sendung: Inforadio, 08.10.2021, 07:30 Uhr