Interview | Leiterin Haus der Wannsee-Konferenz - "Aktueller Antisemitismus ist immer auch verbunden mit der Geschichte der Schoah"

Di 09.11.21 | 18:33 Uhr
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Archivbild: Gedenkstaette Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin. Im Januar 1942 besprachen hier hochrangige Vertreter der der SS , der NSDAP und verschiedener Ministerien Details des Massenmords an den europaeschen Juden. (Quelle: dpa/W. Rothermel)
Audio: Inforadio | 09.11.2021 | Bild: dpa/W. Rothermel

Das Haus der Wannsee-Konferenz ist wichtiges Zeugnis des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung. Die Gedenkstättenleiterin spricht im Interview darüber, wo sich aktueller Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit der Schoah kreuzen.

Deborah Hartmann ist seit Dezember vergangenen Jahres Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. In dieser Berliner Villa wurde von führenden Nationalsozialisten im Januar 1942 die systematische Vernichtung der europäischen Juden beschlossen und organisiert.

rbb: Die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz war bis zum Juni geschlossen. Dann gab es im Juli antisemitische Vorfälle. Was ist da passiert?

Deborah Hartmann: Wir hatten mehrere kleine Vorfälle, einen davon haben wir dann auch öffentlich gemacht. Das waren anscheinend Besucherinnen und Besucher - so genau wissen wir das nicht -, die offenbar der Querdenker-Bewegung angehören oder zumindest nahestehen. Die haben bei uns Dinge im Haus verteilt und auch einen Gästebucheintrag hinterlassen.

Zum anderen wurden die Restriktionen der Corona-Pandemie gleichgesetzt mit den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen.

Hat Sie das erschreckt?

Wenn man die Dynamik der letzten Jahre verfolgt, dann ist das nicht verwunderlich. Erschreckend ist, dass es mittlerweile anscheinend so eine große Akzeptanz gibt, dass sich diese Leute trauen, in einer Gedenkstätte wie dem Haus der Wannsee-Konferenz ihre Flugblätter zu verteilen und dann anscheinend auch ganz selbstverständlich einen Eintrag im Gästebuch zu hinterlassen. Es spiegelt in gewisser Hinsicht auch die Gesellschaft wider, in der wir leben.

Antisemitismus gibt es auch heute noch. Wie bauen Sie das in Ihre Arbeit mit ein?

Das ist eine Fragestellung, an der wir im Moment arbeiten. Welche Verbindungen gibt es zwischen dem historischen Antisemitismus und aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus? Aktueller Antisemitismus ist natürlich immer auch verbunden mit der Geschichte der Schoah oder der Auseinandersetzung damit. Das sind Fragestellungen, an denen wir aktuell arbeiten. Wir versuchen auch, Anknüpfungspunkte zu finden, wie wir das in unseren Führungen, aber auch in den verschiedenen pädagogischen Angeboten, die die Gedenkstätte macht, sinnvoll einbauen können.

Wie können Sie das Wissen an Menschen vermitteln, die nicht die gleiche Sprache sprechen und vielleicht mit dem Wort "jüdisch sein" sofort den Staat Israel verbinden?

Ich glaube, da muss man einfach genau hinschauen. Was für ein Wissen wollen wir eigentlich vermitteln? Ist es tatsächlich so, dass junge Menschen oder auch Jugendliche, die vielleicht nicht den gleichen Hintergrund haben wie andere, weniger mit dieser Geschichte anfangen können oder weniger Wissen darüber haben? Ich glaube, das ist manchmal auch ein bisschen Diskursverschiebung: Auf die zu zeigen, denen wir vermeintlich unterstellen, weniger Wissen über diese Geschichte zu haben oder einen stärker verankerten Antisemitismus als wir selbst. An der Stelle muss man vorsichtig sein und aufpassen, das nicht von sich wegzuschieben und den Blick auf die anderen zu lenken.

Wie fühlen Sie sich in Berlin? Heißt die Stadt Sie willkommen?

Das ist nach zwei Monaten schwer zu beantworten. Zum Teil bin ich positiv überrascht gewesen. Ich hatte die Stadt nicht so freundlich in Erinnerung. Ich habe hier schon mal gelebt zwischen 2011 und 2014. Ich hatte Berlin schlechter in Erinnerung, als es mir jetzt vorkommt. Ich habe wenige schlechte Erfahrungen gemacht, wenn herausgekommen ist, dass ich aus Israel komme oder jüdisch bin. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob das damit zu tun hat, dass ich mich in einer bestimmten Blase befinde. Ich bin mir schon darüber im Klaren, in welcher Stadt ich bin. Und natürlich stellt sich für mich immer wieder die Frage: Spreche ich mit meinen Kindern auf der Straße jetzt Hebräisch? Oder mache ich das nicht?

Sie sind in Wien aufgewachsen, im Haus ihrer Urgroßeltern, die deportiert und ermordet wurden. Das Haus ist wieder zurückgegangen an die Familie.

Mein Großvater ist in den 50er-Jahren von Israel mit seiner Familie zurück nach Wien gegangen. Er hat sich sehr lange darum bemüht, dieses Haus zurückzubekommen.

In so einem Haus zu leben in einem Gebäude, das so eine Geschichte trägt, das prägt sicherlich. Nun arbeiten Sie in einem Haus, das zwar sehr schön ist und sehr schön liegt, aber eine furchtbare Geschichte mit sich trägt. Ist das nicht ein bisschen schwierig, mit dem Schatten dieser Vergangenheit zu leben, zu arbeiten?

Ich weiß nicht, welche Geschichte schwerer wiegt oder welches Haus schwerer wiegt. Das Haus, in dem ich in Wien aufgewachsen bin, ist auch sehr schön. Und gleichzeitig ist da natürlich diese Vorstellung, schon als Kind eigentlich in einem Haus zu leben, wo man weiß, da wurden die eigenen Urgroßeltern weggebracht, in Sammellager gesteckt und dann vom Bahnhof in Wien deportiert. Das ist schon eine Schreckensvorstellung, mit so einem Gedanken aufzuwachsen. Deshalb weiß ich gar nicht, was eigentlich schwerer wiegt - in so einem Haus wie dem Haus der Wannsee-Konferenz zu sein oder in dem Haus zu leben, das so nah an den Erfahrungen ist, die die Verfolgten, also die Ermordeten, gemacht haben.

Wir sind gerade dabei, ein Leitbild zu erarbeiten. Und das ist eine der Fragestellungen, die wir sehr intensiv diskutieren. Was ist eigentlich das Haus der Wannsee-Konferenz? Für manche ist es ein Täter-Ort. Für manche ist es aber auch sehr eng verbunden mit den Erfahrungen der Betroffenen. Je nachdem, aus welcher Richtung man sich dieser Geschichte annähert. Gerade für israelische Besucher und Besucherinnen oder aber eben auch für diejenigen mit einem jüdischen Hintergrund bedeutet das Haus der Wannsee-Konferenz nicht immer unbedingt in erster Linie die Auseinandersetzung mit den Tätern.

Das führt auf einen wichtigen Punkt, dass viele Überlebende nicht mehr Zeugenschaft leisten können, aus Altersgründen oder weil sie gar nicht mehr da sind. Wie schwierig wird das, wenn diese Stimmen weniger werden?

Das ist keine neue Diskussion, dass diese Stimmen weniger werden. Das beobachtet man jetzt schon, mindestens die letzten zehn Jahre. Und das ist auch in Israel gar nicht so anders. An der International School for Holocaust Studies waren wir auch zunehmend mit dieser Fragestellung konfrontiert. Es wurde zunehmend schwierig, Überlebende, die Deutsch sprechen, in unsere Seminare einzuladen.

Wir haben dann in Israel noch intensiver damit begonnen, mit der zweiten und dritten Generation zu arbeiten. Natürlicher können diese nicht stellvertretend stehen für die erste Generation, also für die Überlebenden. Aber ich glaube, man kann sich auch den Erfahrungen der Überlebenden annähern – aus der Perspektive der zweiten und dritten Generation, also mit der Fragestellung, was es bedeutet, als Kind oder Enkelkind einer Schoah-Überlebenden aufzuwachsen und in irgendeiner Form zu leben. Die Nachkommen können natürlich nicht das ersetzen, was uns Überlebende erzählen.

Auch nicht Medien oder Technik? Oder sind das andere Ebenen?

Das sind audiovisuelle Erinnerungsberichte, also Interviews mit Überlebenden, die audiovisuell verarbeitet werden. Es gibt schon verschiedene Medien, die versuchen das aufzufangen. Und ich glaube, das kann auch funktionieren. Aber das kann natürlich niemals die Begegnung mit einem Menschen ersetzen.

Das Interview führte Christian Wildt, Inforadio. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie hören, wenn Sie auf den Play-Button im Titelbild klicken.

Sendung: Inforadio, 09.11.2021, 10:45 Uhr

10 Kommentare

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  1. 10.

    Hmm, über 80 Prozent der erfassten antisemitischen Straftaten gehen von Rechts aus. Und dann wird der Artikel instrumentalisiert, um gegen Muslime zu hetzen? Krass...

  2. 9.

    Und das ist der billigste Versuch ihrerseits, den rechten Terrorismus von Halle unter den Teppich zu kehren, um beruhigt alle Migranten über einen Kamm zu scheren. Gottseidank drücken sich die jüdischen Gemeinden da wesentlich differenzierter aus.

    P.S ich weiß dass sie frustriert sind, da sie mit ihrer Agitation bei der Bundestagswahl nicht punkten konnten. Aber wir (die aufgeklärte Mehrheit) werden alles dafür tun, dass sie trotzdem in die Gesellschaft integriert werden.

  3. 8.

    Zum Haus der Wansse - Konferenz als Zeugnis des Nationalsozialismus gehört ebenso das Vorhaben nach judenfreien Europa ein slawenfreies Europa zu erschaffen.
    Der an diesen Plänen maßgeblich beteiligte Reinhard Heydrich, wurde alsbald nach Prag entsand um dort für "Ordnung und Gehorsam " zu sorgen. Die Tschechen enledigten sich dieses Despoten durch ein Atentat

  4. 7.

    Das ist ein billiger Versuch ihrerseits, das Motto, "es kann nicht sein, was nicht sein darf" weiter durchzusetzen und am Leben zu erhalten.
    Es gibt nachprüfbare Fakten, die aber von Ihresgleichen gerne ignoriert, negiert oder geleugnet werden, um den Fokus wieder nach Rechts zu rücken. Aber wir haben seit 2015 Hunderttausende von Menschen in unserem Land, in deren Herkunftsländern Antisemitismus alltäglich war/ist. Diese Denkweise haben sie mitgebracht. Diesen Fakt haben Sie anzuerkennen.

    Ich trainiere einen israelischen Kampfsport und auf meiner Trainingskleidung befinden sich hebräische Buchstaben. Ich wurde in der Öffentlichkeit noch NIE von vermeintlichen Rechten angepöbelt. Jedoch wurde ich schon Dutzende Mal von Personen des arabischen Phänotyps beleidigt und angegangen. Aber in Ihrer Filterblase sind das wohl alles Einzelfälle.

  5. 6.

    Und kennen sie den Unterschied zwischen

    1. beim Inhalt eines Beitrages bleiben
    2.wenn man ihn benutzt um ein neues Thema aufzumachen, bei dem das eigene Weltbild reproduziert wird.

    Ersteres ist Intellektualität, zweites Ideologie.

  6. 5.

    Kennen sie den Unterschied zwischen einem Realisten und einem Idealisten?
    Ich kenne die Kriminalstatistik und er hat recht. Demzufolge ist er ein Realist. Sie haben sich den passenden Namen selber gegeben. Sie spalten die Gesellschaft statt Probleme zu erkennen, damit sie lösen kann.

  7. 4.

    Das ist ein billiger Versuch, die Opfer der Schoah zu instrumentalisieren, um eine andere Gruppe zu stigmatisieren. Damit helfen sie niemanden sondern schaffen nur Misstrauen und Vorurteile.

  8. 3.

    Kann ich nur zustimmen ihr Kommentar. Das würde mich auch mal interessieren.

  9. 2.

    Ein wirklich ziemlich und verdauliches Interview mit der Leiterin des Hauses der Wannsee Konferenz. Nicht inhaltlich aber sprachlich ist die Dame dermaßen ungelenk und beginnt jeden dritten Satz mit „Genau“ oder „sozusagen“. Ich frage mich ernsthaft wie man wenn man sprachlich so unbeholfen ist eine solche Position ausführen kann.

  10. 1.

    Ein guter Beitrag zu einem interessanten Thema.
    Im nächsten Teil sollte über die antisemitischen Überfälle durch in Deutschland asylsuchende Palästinenser berichtet werden. Sie nehmen einen nicht unerheblichen Teil in der Kriminalstatistik Teil "Straftaten mit antisemitischen Hintergrund" ein.
    Das LKA Berlin bzw. das BKA in Wiebaden könnten bei der Recherche unterstützen.

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