Fragen & Antworten - Was das Urteil zum Vorkaufsrecht für Berlin bedeutet

Gesetzlicher Milieuschutz - ja, aber keine unbefristeten Eigentumseinschränkungen. Das ist für die rbb-Rechtsexpertin Iris Sayram die Essenz des Urteils der höchsten Verwaltungsgerichtsinstanz des Bundes zum Vorkaufsrecht.
rbb|24: Ist das Urteil das Ende des Vorkaufsrechts, wie es in Berlin ausgeübt wird, oder ist es nur eine Einzelfallentscheidung?
Iris Sayram: Es ist grundsätzlich zwar eine Einzelfallentscheidung, aber höchstrichterliche Rechtsprechung kann und darf auch von der Verwaltung nicht ignoriert werden. Also wird es auch Auswirkungen darauf haben, wie künftig das Vorkaufsrecht in den einzelnen Bezirken angewendet wird.
Was bedeutet das Urteil für Wohnungen, für die schon einmal das Vorkaufsrecht ausgeübt wurde?
Also für diejenigen, die bereits schon in einem Haus oder in einer Wohnung wohnen, wo der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausgeübt hat, und wo von dem potentiellen Käufer da gar kein Widerstand gekommen ist - da ist der Kauf bestandskräftig, da wird auch dieses Urteil überhaupt nicht mehr dran rütteln. Das Urteil nun ist eher wichtiger für die Projekte, die gerade noch so in der Schwebe sind, also wo es einen potentiellen Käufer gibt und wo ein Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll. Da ist jetzt ein Riegel vorgeschoben, dass also der Bezirk hier eine Handhabe hat von wegen: Entweder macht ihr es unter den Bedingungen, die wir vorgeben mit dieser sogenannten "Abwendungserklärung oder -vereinbarung", oder wir üben unser Vorkaufsrecht aus. Diese Vorgehensweise wird es so nicht mehr geben.
Und für das betroffene Haus, um das es ja in dieser Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung geht, da wird dann tatsächlich der Verkauf an die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft zurückgedreht?
Bei dieser konkreten Immobilie ist es so, dass der Bezirk den Kauf nicht mehr verhindern kann: Wenn der Verkäufer damit einverstanden ist und der Käufer einverstanden ist mit den Bedingungen, die die beiden ausgehandelt haben, dann wird jetzt eben der Bezirk hier nicht mehr eingreifen können und sagen können: "Nein, wir unterbinden das!" Es ist auch so, dass hier in dem konkreten Fall, das hat der Rechtsanwalt des Klägers jedenfalls so gegenüber rbb|24 gesagt, dass hier überhaupt gar nicht die Absicht bestehen würde beim Käufer, die Wohnungen, die sich in dem Haus befinden, tatsächlich in Eigentum umzuwandeln. Wogegen er sich aber gewehrt hatte mit der Klage, war, dass solch eine Eigentumsumwandlung mit einer sogenannten "Abwendungserklärung" bis auf den St.-Nimmerlein-Tag ausgeschlossen wird. Das, so fand er, ist ein unzulässiger Eingriff in die bestehende Eigentumsposition und deswegen ist er auf dem Klageweg dagegen vorgegangen.
Das heißt, die Mieter, die derzeit in diesem Haus wohnen, sind nicht sofort damit konfrontiert, dass die Immobilie in Eigentum umgewandelt wird, denn da gibt es ja auch gesetzliche Vorgaben. So gibt es etwa eine Frist von fünf Jahren, die das Baugesetz vorsieht, in der ohnehin nicht umgewandelt werden darf.
Und für alle in dem betroffenen Haus gelten die ganz allgemeinen Mietregeln, sprich: Mieterhöhungen sind nur in dem Rahmen möglich, wie es das Gesetz zulässt, und es sind auch nur Sanierungsarbeiten möglich in dem Rahmen, der vorgibt, was in "Milieuschutzgebieten" zulässig ist, denn auch das ist gesetzlich geregelt.
Was wird denn dann aus Milieuschutzgebieten, wenn deren Strahlkraft durch dieses Urteil nun erheblich eingeschränkt wurde?
Diese Gebiete sind insofern noch sinnvoll, dass ja "Milieuschutzgebiete" nicht nur dadurch definiert wird, wer dort was kauft. Sondern das "Milieuschutzgebiet" ist ja so definiert, dass dort bestimmte Dinge nicht erlaubt sein sollen, also ob saniert werden darf, in welcher Form saniert werden darf, ob in Eigentum umgewandelt werden darf - das sind ja alles Dinge, die gesetzlich bereits geregelt sind.
Der Gesetzgeber hat ja ganz klar anerkannt, dass es Gebiete gibt, wo man die Struktur erhalten möchte, wo man auch sehen will, dass die Zusammensetzung der Mieter erhalten bleibt und er hat insofern bestimmte Schutzmaßnahmen getroffen. Diese Schutzmaßnahmen gelten ja nach wie vor. Nur geht eben das Vorkaufsrecht, so wie einige Bezirke das ausgeübt haben, darüber hinaus. Und dafür gibt es eben keine rechtliche Grundlage, sagt jedenfalls jetzt das Bundesverwaltungsgericht in der letzten Instanz.
Gibt es denn andere denkbare Instrumente, um die Mieterinnen und Mieter zu schützen?
Ja, es gibt eben schon all das, was gesetzlich sowieso bereits vorgesehen ist. Also es gibt ja neben der Mietpreisbremse, der Umwandlungsverordnung und den Regelungen, die in der "Milieuschutzsatzung" enthalten sind, ohnehin schon Instrumente, die davor schützen, dass die Miete ins Bodenlose steigt. Aber in diesem konkreten Fall: So, wie das Vorkaufsrecht durch die Bezirke bislang ausgeübt wird, entfällt es jetzt jedenfalls, sagt das Urteil nun.
Der amtierende Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel hat ja den Wunsch geäußert, dass der Bund nun nachjustiert. Was wäre da möglich oder nötig von Bundesseite?
Es auch hier wieder so, dass es eine Bundesgesetzgebung ist, wo diese Regelungen drin stehen, darum kann das Land Berlin jetzt auch gar nicht sagen: Okay, wir ändern die rechtlichen Rahmenbedingungen. Hier ist tatsächlich der Bund gefordert, das Baugesetzbuch an den entsprechenden Stellen so anzupassen, dass es dann vielleicht ginge. Also etwa den Milieuschutz darin noch weiter auszubauen. Das ist aber eben eine Frage des Bundesgesetzgebers, das muss dann auch parlamentarisch abgestimmt werden, und das kann eben nicht ein Bezirk eigenmächtig durch eine eigene "Abwendungsvereinbarung" anders regeln.
Die Fragen stellte Ute Schuhmacher
Sendung: Inforadio, 10.11.2021, 21.20 Uhr