Wechsel in den Bundestag - Herrn Müllers Zimmer mit Aussicht

Es ist eng im bislang größten Bundestag aller Zeiten. Michael Müller muss mit einem deutlich kleineren Büro auskommen als noch im Roten Rathaus. Doch die Macht scheint hier zum Greifen nah. Kann er in der künftigen Ampel-Koalition doch eine größere Rolle spielen? Von Iris Sayram
"Jetzt kommt mal wirklich! Hier!" Michael Müller steht am Fenster in seinem neuen Bundestagsbüro und zeigt aufgeregt in den Himmel. "Der Sonnenuntergang!"
Müller ist eigentlich nicht bekannt dafür, Begeisterung - oder noch schlimmer: Emotionen - zu zeigen. Doch jetzt zückt auch der quasi Bundestags-Neuling sein Handy und fotografiert, wie die Sonne bildstark hinter dem Brandenburger Tor verschwindet.
Vom Roten Rathaus zum Bundestags-Neuling
Müller freut sich sichtlich über seine neuen Räume, auch wenn das Rote Rathaus mit seinem Stuck, schweren Teppichen und goldverzierten Hallen und Sälen weitaus pompöser war. "Ja, das Büro ist deutlich kleiner", sagt Müller. Aber das sei ja auch völlig normal. "Hier ist man einer von vielen in einer Gemeinschaft". Eine Gemeinschaft von 736 Bundestagsabgeordneten um genau zu sein. Ob ihm das reicht, dazu schweigt er sich aus. "Es ist im Moment noch alles offen", sagt er.
Doch er hat schon ganz konkrete Vorstellungen, welche Themen er künftig übernehmen möchte: "Man bekommt eine richtige Wunschliste. Ein richtiges Blatt Papier und da trägt man seine Wünsche ein", erzählt Müller. Die Fraktionsvorsitzenden würden dann prüfen, ob der "Wunsch" erfüllt werden kann. Wissenschaft und auch Außen- und Sicherheitspolitik stehen für ihn ganz oben. Doch es werde noch etwas dauern, ob es damit klappt. "Ich rechne damit, dass wir nach den Koalitionsverhandlungen in drei, vier Wochen dann auch wissen, wo wir arbeiten können."
Müller hält sich nicht lange mit den Reportern auf, sondern setzt sich sofort an seinen noch sehr kargen Schreibtisch und beginnt die ersten Unterlagen abzuzeichnen. "In den Landesregierungen ist das so, dass mit grün ausschließlich der Ministerpräsident oder die Ministerpräsidentin unterschreibt, rot ist für die Staatssekretäre. Tja, und hier im Bundestag werde ich wieder mit blau anfangen", witzelt er.
Einen Promi-Bonus gibt es nicht
Dabei war Michael Müller lange Zeit stets die Nummer eins: in der Berliner SPD als Parteichef und Fraktionsvorsitzender und dann als Regierender Bürgermeister. 2014 hatte er das Amt nach Klaus Wowereits Rücktritt übernommen. 2016 wurde er knapp im Amt bestätigt. Die Zustimmungswerte der Partei waren auch danach lange Zeit auf einem historischen Tief. Bereits 2018 deutete die damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bei einer Pressereise an, dass sie das Amt als Regierende Bürgermeisterin durchaus attraktiv finde.
2020 wurde die Rochade dann offiziell: erst mit Müllers Verzicht auf den Parteivorsitz und dann mit der Ankündigung, nicht mehr als Regierender Bürgermeister anzutreten. Just in diesem Moment bekam seine Amtszeit aber dann doch einen Boost: Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz konnte er neben Angela Merkel und Markus Söder auch bundesweit an Profil gewinnen. In ARD und ZDF ist Müller seither Dauergast in Talkshows und Nachrichtensendungen. "Klar, mich kennen viele schon im Bundestag." Aber am Schluss entscheide, was man fachlich einbringen kann. "Da kommt es nicht darauf an, dass man in Interviews gut rüberkommt", so Müller.

Jedem Ende wohnt ein Zauber inne
Er wisse nicht, ob ihm das Regieren nicht doch noch irgendwann fehlen werde, sagt er. Noch ist Müllers Alltag stark geprägt von den Aufgaben im Roten Rathaus. Seine Tage starten dort häufig und enden auch noch dort. Diese Doppelrolle bleibe auch noch einige Zeit. Bis zur offiziellen Wahl von Franziska Giffey durch das neue Abgeordnetenhaus bleibt Michael Müller geschäftsführend im Amt. "Das kann schon sein, dass einem konkret der Abschied dann schwer fällt, wenn man merkt: Man ist nicht mehr Regierender Bürgermeister, man ist nicht mehr Teil der Ministerpräsidentenkonferenz." Aber das Schöne sei, "dass es wieder eine neue Aufgabe gibt", sagt Müller lächelnd.
Aber vielleicht ist jetzt auch eine besonders gute Zeit, die Landespolitik zu verlassen? Berlins Ruf hat bundesweit unter der verpatzten Wahl gelitten, die Witze über den BER haben immer noch nicht ausgedient. Und die Verwaltung muss nun Giffey in den Griff bekommen. "Irgendwas ist immer", antwortet Müller da. Die anderen früheren Bürgermeister hätten es ebenfalls nicht leicht gehabt. "Auch meine Legislatur war nicht einfach mit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, den Geflüchteten 2015 und dann mit der Corona-Krise." Jetzt hat er die Chance auf einen Neustart.
Die Sonne ist längst am Horizont verschwunden. Es ist dunkel, als er die Reporter aus dem Büro bittet. Er habe noch einiges vor. Michael Müller scheint hier noch nicht seinem politischen Sonnenuntergang entgegen zu gehen.
Sendung: Abendschau, 02.11.2021, 19:30 Uhr