Rot-grün-rote Pläne in Berlin - Die Verbeamtung als Köder für die fehlenden Lehrer

Rund 20 Jahre hat Berlin darauf verzichtet, Lehrer zu Beamten zu machen. Pläne der rot-grün-roten Koalition aber sehen nun vor, Lehrkräfte ab 2023/24 wieder zu verbeamten. Doch nicht alle jubeln über dieses Vorhaben. Von Kirsten Buchmann und Agnes Sundermeyer
Schulleiter Arndt Niedermöller vom Immanuel-Kant-Gymnasium in Berlin-Lichtenberg ist erleichtert. Die Pläne, Lehrerinnen und Lehrer in Berlin wieder zu verbeamten, findet er richtig: "Wir würden uns sehr freuen, wenn das bereits zum kommenden Schuljahr möglich wäre, damit der Standortnachteil, den Berlin seit einigen Jahren hat, als einziges Bundesland die Verbeamtung nicht anzubieten, möglichst schnell aufgehoben wird."
Als Vorsitzender der Gymnasialschulleitervereinigung hat Niedermöller dafür geworben, zur Verbeamtung zurückzukehren. In seiner Schule habe sich dieser Beschäftigungsnachteil etwa daran spüren lassen, "dass die Referendare nicht zu uns kamen, sondern gesagt haben: 'Wir gehen gleich nach Brandenburg.'"
Alle Möglichkeiten ausschöpfen
Aktuell nimmt der Schulleiter dagegen wahr, dass sich die Liste der Bewerberinnen und Bewerber verlängere. Den Grund sieht Niedermöller klar in der Verbeamtung für Lehrkräfte. Dass eine neue Koalition sie wieder einführen könnte, stand schon länger im Raum. Jetzt steht im Koalitionsvertragsentwurf, für einen "nachhaltigen Personalaufwuchs" wolle Berlin alle Möglichkeiten ausschöpfen – das heißt, mit einer Verbeamtung die Angel nach dem Lehrernachwuchs auswerfen. Die Köder sind hier die höheren Einkünfte - und zwar bezogen auf das gesamte Berufsleben und höhere Altersbezüge als für angestellte Lehrer.
Nicole Slinsog, Lehrerin am Immanuel-Kant-Gymnasium, geht davon aus, dass sich mit der Verbeamtung wieder mehr junge Lehrerinnen und Lehrer für Berlin entscheiden werden. Viele wollten mehr Sicherheit, wie beispielsweise bei Erkrankungen länger versorgt zu sein. "Dann haben die Beamten auch auf dem Wohnungsmarkt – das spielte auch eine entscheidende Rolle bei vielen – und bei Krediten einen besseren Status." Eine ihrer Freundinnen etwa denke angesichts der nun auch für Berlin geplanten Verbeamtung bereits darüber nach, aus Brandenburg hierher zu wechseln.
700 Lehrkräfte pro Jahr wandern ab
Momentan ist Berlin das einzige Bundesland, das seinen Lehrenachwuchs nicht verbeamtet. Doch der Preis für diesen Berliner Standortnachteil ist hoch. Jährlich 700 Nachwuchslehrkräfte pro Jahr gingen Berlin verloren.
Dem bildungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Marcel Hopp, ist es wichtig, dass der Kreis derjenigen, die künftig verbeamtet werden können, möglichst groß ist. Dazu solle die Altersgrenze für die Verbeamtung von 45 auf 52 Jahre erhöht werden: "Wir gehen davon aus, dass 14.000 bis 17.000 verbeamtet werden können und auf der anderen Seite 4.000 bis 7.000 nicht verbeamtet werden können, unter anderem wegen des Alters und gesundheitlicher Gründe."
Für die bis zu 7.000 angestellten Lehrkräfte, für die eine Verbeamtung nicht möglich ist, soll es eine Kompensation geben. Als eine Variante ist im Gespräch, sie in Form von Stundenermäßigungen zeitlich zu entlasten. Allerdings lautet die Frage, ob dadurch wieder Lücken im Stundenplan entstehen, die gefüllt werden müssen. Auch eine Zulage ist als weitere Variante in der Diskussion.
GEW fordert, mehr Lehrkräfte auszubilden
Die Herausforderung sei, das so zu lösen, dass Berlin Mitglied in der Tarifgemeinschaft der Länder bleiben könne, sagt Marcel Hopp.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Tom Erdmann, pocht auf eine Kompensation für alle, die nicht verbeamtet werden können. Insgesamt sehe er es aber skeptisch, ob die Verbeamtung tatsächlich die Lösung ist: "Jedes Bundesland in Deutschland hat Lehrkräftemangel, egal, ob verbeamtet wird oder nicht - auch die Bundesländer, die verbeamten." Aus seiner Sicht muss Berlin daher vor allem mehr Lehrkräfte ausbilden.
Noch sind rund um die geplante Rückkehr zur Verbeamtung ab 2023/24 also viele Fragen zu klären. Dazu zählt auch, wie hoch die Kosten genau sein werden und wie sie aufgebracht werden sollen, einschließlich eines vorgesehenen Fonds, um die Pensionslasten der Zukunft aufzufangen.
Sendung: Inforadio, 09.12.2021, 8:40 Uhr