Interview | Leiterin Haus der Wannsee-Konferenz - "Es sollte um mehr gehen als um Erinnern"

Seit etwas mehr als einem Jahr wird die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz von Deborah Hartmann geleitet. Sie plädiert für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – und bringt eine besondere Perspektive mit.
rbb: Frau Hartmann, wie wichtig ist es, solche Orte für das Erinnern an die Nazi-Verbrechen in Deutschland zu haben?
Deborah Hartmann: Die Orte können uns bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte unterstützen. Aber eigentlich sollte es um mehr gehen als nur um das "Erinnern". Es geht darum, den Menschen ihre Namen, ihre Geschichten zurückzugeben, sich mit ihren Erfahrungen auseinanderzusetzen. Deshalb finde ich den Begriff „Auseinandersetzung“ passender als "Erinnern" oder "Gedenken". Letzteres hat immer etwas Passives.
Sie sind die erste jüdische Person, die die Position der Direktorin des Hauses der Wannsee-Konferenz innehat. Damit sind Sie im Grunde Expertin und gleichzeitig Betroffene. Wie wichtig ist es, dass Sie diese Perspektive mitbringen?
Ich merke selbst, dass ich da manchmal ein bisschen unsicher und unschlüssig bin - wie ich damit umgehen soll. Werde ich wegen meiner pädagogischen Expertise angefragt oder weil es Interesse an meiner jüdischen Perspektive gibt?
Meine Sorge ist, dass ich auf etwas reduziert werde, auf das ich nicht reduziert werden möchte. Gleichzeitig ist mein Blick auf das Thema nicht von dieser Perspektive loszulösen. Mir geht es darum, dass es selbstverständlicher wird, jüdische Perspektiven in der Auseinandersetzung mit der Shoah stärker zu berücksichtigen, wie auch andere Perspektiven, die nicht Teil der deutschen Mehrheitsgesellschaft sind.
Hat Deutschland den richtigen Umgang mit seiner Vergangenheit gefunden?
Die Frage kann man nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Man muss sie sich immer am konkreten Beispiel anschauen. Was mir schon manchmal Bauchschmerzen bereitet, ist der Eindruck, dass sich hier eine Art der Erinnerungskultur durchgesetzt hat, die vermuten lässt: Man hat alles richtig gemacht, beziehungsweise man macht alles richtig. Ich würde mir wünschen, dass das stärker hinterfragt wird, sowohl auf der gesellschaftlichen als auch auf der politischen Ebene.
Bevor Sie herkamen, haben Sie in der internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Israel gearbeitet. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit hier zu dem, was Sie vorher gemacht haben?
Es macht für mich persönlich einen Unterschied, ob ich mich mit diesem Thema in Israel auseinandersetze in einer Art "Safe Space", wo zwar auch Menschen leben, mit denen ich nicht einer Meinung bin und mit denen ich durchaus streiten kann, aber gleichzeitig gibt es auch eine geteilte Geschichte und eine geteilte Erfahrung. Das ist für mich in Deutschland anders.
Yad Vashem vertritt zuallererst die Perspektive der jüdischen Verfolgten, also der Ermordeten und Überlebenden. Da hat der Aspekt Täterschaft lange keine Rolle gespielt, während es hier in Deutschland durchaus selbstverständlicher ist, sich in Gedenkstätten mit der Perspektive der Täterinnen und Täter auseinanderzusetzen.
Antisemitismus gab es schon vor den Nationalsozialisten und es gibt ihn heute noch. Was kann das Haus der Wannsee-Konferenz zur Bekämpfung heute beitragen?
Die Erwartung oder Sichtweise, "ich besuche jetzt eine Gedenkstätte und das trägt dazu bei, dass wir Antisemitismus, Rassismus oder rechtsextreme Gewalt bekämpfen", ist problematisch. Der Besuch einer Gedenkstätte kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen lösen. Außerdem erzählt dieser Ort natürlich auch eine ganz spezifische Geschichte. Diese historische Erfahrung wollen wir nicht um den Preis aufgeben, uns nur mit aktuellen Herausforderungen auseinanderzusetzen.
Gleichzeitig gibt es beim Antisemitismus natürlich Kontinuitäten, die bis in die Gegenwart reichen. Da müssen sich Gedenkstätten selbst noch stärker als politische Akteure wahrnehmen - und nicht nur als Akteure mit einer historischen Expertise.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Hadnet Tesfai, rbb Kultur.
Sendung: Abendschau, 20.01.2022, 19:30 Uhr