80 Jahre Wannsee-Konferenz - Hier plante die NS-Elite den Tod von Millionen - bei einem Arbeitsfrühstück
Am 20. Januar 1942 trafen sich hochrangige Nazi-Beamte in einer Berliner Villa am Wannsee – um die "Endlösung der Judenfrage" zu organisieren. Das Protokoll zeigt, wie kalt und effizient die deutsche Bürokratie den Völkermord plante. Von Anne Kohlick
Es ist eine luxuriöse Berliner Villa mit Blick auf den zugefrorenen Wannsee, deren Türen sich am 20. Januar 1942 öffnen - zu einer Konferenz, die in die Geschichtsbücher eingehen sollte. 15 Männer betreten an diesem kalten Tag kurz vor Mittag das Gäste- und Erholungsheim der SS am Großen Wannsee 58. Alle sind hochrangige Beamte des Nazi-Regimes - tätig in unterschiedlichen Reichsministerien, bei der Sicherheitspolizei oder in der Kanzlei der NSDAP.
Eingeladen hat sie der Chef der Sicherheitspolizei, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich (1904-1942), zu einer "Besprechung mit anschließendem Frühstück". Es geht um eine todbringende Aufgabe, mit der Reichsmarschall Hermann Göring ihn schon im Sommer 1941 beauftragt hat: "die Endlösung der Judenfrage". Hinter der bürokratischen Formel verbirgt sich der Völkermord an Millionen Jüdinnen und Juden Europas, den die Nationalsozialisten bei der Wannsee-Konferenz genauer planen.
Der Völkermord hat schon im Sommer '41 begonnen
Während die Beamten im Konferenzsaal mit Parkettboden an langen Tischen Platz nehmen - später wird Cognac gereicht - werden Hunderte Kilometer weiter östlich bereits seit einem halben Jahr massenhaft jüdische Männer, Frauen und Kinder erschossen.
Mit dem Angriff auf die Sowjetunion Ende Juni 1941 haben Sonder-Einsatzgruppen aus SS-Angehörigen und Polizeieinheiten - geleitet von Reinhard Heydrich - den Auftrag bekommen, "die Endlösung" in den eroberten Ostgebieten Realität werden zu lassen. Hunderttausende sind bereits ermordet worden.
Doch auch wenn der Holocaust schon im Gange ist - allein aus Berlin fährt am 19. Januar 1942 bereits der neunte Deportationszug voller jüdischer Menschen ab - ist das Vorgehen der deutschen Behörden dazu noch nicht abgestimmt.
Heydrich, der das Reichssicherheitshauptamt leitet und damit zuständig ist für die Bekämpfung "aller deutschfeindlichen Elemente", will Kollegen aus dem Auswärtigen Amt und Verwaltungsspitzen aus dem besetzten Osteuropa vernetzen mit hochrangigen SS-Funktionären, die schon an Massenerschießungen beteiligt waren. Eines seiner wichtigsten Anliegen: die eigene - führende - Rolle als Verantwortlicher für "die Endlösung" bei dieser Sitzung unterstreichen.
Ein Exemplar von Eichmanns Protokoll ist überliefert
Das Protokoll führt während der 90-minütigen Konferenz sein Mitarbeiter Adolf Eichmann (1906 -1962). Er leitet in Heydrichs Reichssicherheitshauptamt ein Referat, das Jüdinnen und Juden enteignen und deportieren lässt.
In insgesamt 30 Abschriften wird sein 15-seitiges Protokoll der Besprechung später an die Konferenzteilnehmer verschickt. "Geheime Reichssache!" steht rot umrandet auf der ersten Seite. Nur ein Exemplar ist bis heute überliefert und auf der Website der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz [ghwk.de] einsehbar.
Eichmanns Protokoll der Wannsee-Konferenz sehen Historikerinnen und Historiker als Schlüsseldokument für die Organisation des Holocausts. Was die Teilnehmer besprechen, gibt das Dokument wieder - in kalter Bürokratie-Sprache voller Euphemismen. Immer wieder ist von "Evakuierungen" die Rede, gemeint sind aber Deportationen in Konzentrationslager.
"Es wurde von Töten und Vernichten gesprochen"
"Arbeitseinsätze" werden für Juden geplant, bei denen "zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird". Systematischen Massenmord stellt das Protokoll verzerrt und verniedlicht als vermeintlich biologischen Prozess dar, Passivsätze verschleiern die Täter und ihre Verantwortung. Der "verbleibende Restbestand" von Juden müsse im Sinne der "Endlösung" "entsprechend behandelt werden", schreibt Adolf Eichmann.
Was sich hinter solchen Formulierungen verbirgt, schildert Eichmann knapp 20 Jahre später, als er 1961 in Israel vor Gericht steht, so: "Ich weiß, dass die Herren beisammengesessen sind und da haben sie in sehr unverblümten Worten die Sache genannt - nicht so, wie ich es später im Protokoll schreiben musste. Es wurde von Töten und Eliminieren und Vernichten gesprochen." [Audio | ghwk.de]
Es seien auch verschiedene Tötungsarten diskutiert worden. Bei der Wannsee-Konferenz habe "freudige Zustimmung allseits" geherrscht, die Teilnehmer hätten versucht, "Übertreffendes und Überbietendes im Hinblick auf die Forderung zur Endlösung der Judenfrage" beizutragen. So mancher NS-Bürokrat scheint am Wannsee eine Karrierechance zu wittern.

Für die "Endlösung" kommen elf Millionen Juden "in Betracht"
Eichmann hat schon vor der Konferenz Tabellen zusammengestellt, die auflisten, wie viele Jüdinnen und Juden in welchem Land leben: Im deutschen "Altreich" geht er von rund 130.000 aus, im "Generalgouvernement" für die besetzten polnischen Gebiete von 2,2 Millionen, in der Sowjetunion von fünf Millionen Menschen. Insgesamt kämen in ganz Europa "rund elf Millionen Juden in Betracht". Estland hat in Eichmanns Tabelle Vorbildcharakter, es sei bereits "judenfrei".
Laut Eichmanns Protokoll beschäftigt die Beamten am 20. Januar 1942 vor allem die Frage: Nach welchen Kriterien werden die Menschen definiert, die für die "Endlösung" in Frage kommen? Wie ist mit "Mischlingen" zu verfahren? Wie mit "Volljuden", die mit Deutschen verheiratet sind? Zweifel, den Massenmord mitzuverantworten und zu organisieren, merkt keiner der Beteiligten an. Nur Bedenken, dass eine Einzelfallprüfung bei "Mischlingsfragen" "eine unendliche Verwaltungsarbeit mit sich bringen würde", gibt Staatssekretär Wilhelm Stuckart aus dem Reichsministerium des Inneren zu Protokoll - und schlägt deshalb eine "Zwangssterilisierung" aller Mischlinge vor.
Sachlich wie in einem Finanzausschuss
Enteignungen, Deportationen, Zwangsarbeit, millionenfacher Mord: Ungeheuerliches handeln NS-Bürokraten auf der Wannsee-Konferenz mit der gleichen Sachlichkeit und Kälte ab wie Haushaltsfragen in einem Finanzausschuss. Durch Eichmanns Protokoll wird der Völkermord zum schriftlich fixierten Ziel deutscher Politik, mitverantwortet von Staatssekretären und Parteigrößen. Weitere Arbeitstreffen im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und im Reichssicherheitshauptamt folgen im Laufe des Jahres 1942 - etwa um die "Mischlingsfragen" weiterzuverhandeln [ghwk.de]

Bei der "Endlösung" beweist der nationalsozialistische Staatsapparat effizientes Funktionieren. Anstelle der Massenerschießungen, die erfordern, dass die Täter ihre Opfer ansehen, tritt bald das industrielle Morden durch Vergasung. Die ersten Versuche mit dem Giftgas Zyklon B werden in Auschwitz bereits im Herbst 1941 durchgeführt - an sowjetischen Kriegsgefangenen [yadvashem.org].
Rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden haben die Nationalsozialisten im Holocaust ermordet. An sie zu erinnern - und darüber zu informieren, wie es zum Holocaust kommen konnte, ist seit 1991 Aufgabe der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
Sendung: rbbKultur - das Magazin, 15.01.2022, 18:30 Uhr