Erste Regierungserklärung der Regierenden Bürgermeisterin - Giffey umarmt ihren Senat
Lange mussten Berlin und das Abgeordnetenhaus darauf warten, dass die Regierende Bürgermeisterin ihre Politik erklärt. Das hat Giffey nun getan. Überraschend war nicht so sehr was sie gesagt hat, sondern wie sie es getan hat. Von Jan Menzel
Eine Regierungserklärung ist vielleicht nicht das Format, um das Rad neu zu erfinden. Daran ändern auch voran gestellte Zitate nichts. Berlin als Stadt sei "dazu verdammt […] immerfort zu werden und niemals zu sein" leitete Franziska Giffey ihre erste große Rede als Regierende Bürgermeisterin ein. Mit diesem Satz des Publizisten Karl Scheffler wollte sie eine Brücke von den oft als goldene Zeit verklärten Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ins Hier und Jetzt schlagen. Damals gab es Mut, Fortschrittswillen und Aufbruch, so die Regierende Bürgermeisterin, die diesen Geist gerne "forttragen" würde.
Bei allem angemessenen Geschichtsbewusstsein und dem berechtigten Ziel, die Stadt zupackend (wieder) auf einen Wachstumskurs zu bringen, sind Giffey und ihr Senat aber auch dazu "verdammt", sich immerfort an den sattsam bekannten Berliner Baustellen abzuarbeiten. Deshalb durften in der Regierungserklärung die geplanten 20.000 neuen Wohnungen im Jahr, Sicherheit an Orten wie dem Kottbusser Tor, ein Neustart für die Wirtschaft und eine Verkehrswende für Autos, Fahrräder und die U-Bahn nicht fehlen. Insofern hat Giffey inhaltlich lediglich das präsentiert, worauf sich SPD, Grüne und Linke im Koalitionsvertrag verständigt haben.
Die Chefin und das Team
Anders und neu war hingehen, wie die Regierende Bürgermeisterin das Regierungsprogramm für die kommenden fünf Jahre skizzierte. Jedes einzelne Senatsmitglied wurde namentlich und mit einem eigenen Projekt erwähnt. Die grüne Gesundheitssenatorin Ulrike Gote erfuhr Lob für ihren von Null auf 100-Start in der Corona-Politik, während die linke Sozialsenatorin Katja Kipping sich schon an ihrem ersten Arbeitstag vorbildlich um die Wohnungslosen in der Stadt gekümmert habe. Aber natürlich wurden auch die sozialdemokratischen Senatorinnen und Senatoren und ganz besonders der parteilose Chef der Wirtschaftsverwaltung, Stephan Schwarz, von ihrer Chefin bedacht.
Der rote Faden ihrer Rede war somit gleich ein doppelter. Giffey unterstrich – auch durch die schiere Länge ihrer Rede – dass sie als Chefin in allen Themenfeldern zu Hause sei. Aber sie machte auch deutlich, dass sie auf jeden Einzelnen und jede Einzelne im Senats-Team baut und dabei auf eine Umarmungsstrategie setzt. Das dürfte einerseits ihrem Naturell entsprechen, aber genauso den nackten Notwendigkeiten geschuldet sein.
Was Giffey nicht gesagt hat
Denn bei dem, was Rot-Grün-Rot vor sich hat, werden Teamfähigkeit und Geschlossenheit auf eine harte Probe gestellt werden. Auch in Giffeys erster Regierungserklärung blieb erwartbar offen, wie der Koalitions-Konflikt um den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen" aufgelöst werden kann. Mehr als dass wie angekündigt eine Kommission eingesetzt und der Senat dann in einem Jahr auf Grundlage des Kommissionsvotums entscheiden wird, ließ Giffey nicht durchblicken.
Dafür wurde umso deutlicher, wie eine Regierende Bürgermeisterin Giffey damit umgeht, wenn es nicht rund läuft. Die verkorkste Kommunikation um die neuen Quarantäneregeln an den Schulen und danach die überraschende Aufhebung der Präsenzpflicht hatte dem Senat die erste Krise seiner noch kurzen Amtszeit beschert. Wer ob des Wirrwarrs der vergangenen Tage ein Werben um Verständnis oder gar eine Entschuldigung erwartet hatte, wurde enttäuscht.
Neuer Stil
Giffey übte sich stattdessen in klassischer Vorwärtsverteidigung. Die Schulen würden ja weiter offenbleiben, was wichtig sei. Gleichzeitig hätten nun die Eltern, die sich große Sorgen machen, die Möglichkeit, ihre Kinder bis Ende Februar zu Hause zu lassen. Als "Weg, der salomonisch ist" bezeichnet die Regierende Bürgermeisterin das, was sich über das Wochenende mühsam und recht unkoordiniert hin geruckelt hatte.
Mit ihrer ersten Regierungserklärung hat Franziska Giffey vor allem ihren Regierungsstil beschrieben: Pragmatisch, kollegial im Team und Blick immer nach vorne. Ob das aber als Rezept für Regierungserfolge reichen wird, ist eine andere Frage.
Sendung: Inforadio, 27.01.2022, 14:20 Uhr