Interview | Konflikt in Zentralasien - "Niemand kennt dieses Land Kasachstan - das wird sich jetzt ändern müssen"

Di 11.01.22 | 13:51 Uhr
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Das Bild zeigt Sicherheitskräfte die bei einer sogenannten Antiterroroperation eingesetzt sind, um Massenunruhen zu beenden. Die Proteste wurden am 2. Januar durch steigende Kraftstoffpreise in den Städten Zhanaozen und Aktau im Westen Kasachstans ausgelöst und breiteten sich rasch über das ganze Land aus. (Quelle: dpa/Valery Sharifulin)
Audio: Radioeins | 11.01.2022 | Interview mit Edda Schlager | Bild: dpa/Valery Sharifulin

Seit letzter Woche herrschen in Kasachstan Unruhen. Zunächst wurde gegen stark gestiegener Energiepreise protestiert. Mittlerweile wurde Russland um Hilfe gebeten. Um was geht es aber bei diesem Konflikt? Fragen an die Journalistin Edda Schlager.

rbb: Frau Schlager, Kasachstans Präsident Qassym-Schomart Toqajew spricht von einem versuchten Staatsstreich bewaffneter Kämpfer. Für die Proteste macht er sogar ausgebildete Terroristen im Ausland verantwortlich. Gibt es gesicherte Informationen, wer auf den Straßen demonstriert und wie sich die Leute genau organisieren?

Edda Schlager: Die Menschen, die auf die Straße gegangen sind, sind ganz unterschiedlicher Herkunft, und man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Das ist das Wichtigste, was wir jetzt hier gerade leisten müssen: Differenziert hinzuschauen, was in den vergangenen Tagen in Kasachstan passiert ist.

Es gab tatsächlich anfangs Proteste gegen die gestiegenen Brennstoffpreise. Diese Proteste sind übergegangen in eine allgemeine Kritik an der Regierung, an fehlender politischer Teilhabe. Im Laufe der Zeit ist das aber umgeschlagen in massive Ausschreitungen in Kasachstan und vor allen Dingen in Almaty, der größten Stadt des Landes. Und mittlerweile kann man, denke ich, davon ausgehen, dass dort die ursprünglichen Proteste gekapert wurden von Gruppen, die Unruhe stiften wollten.

Wer ganz genau dahinter steckt, ist bisher nicht ganz klar. Toqajew hat das deklariert als Terroristen und als einen möglichen Versuch, von außen Einfluss zu nehmen. Man kann bisher nicht sagen, wer das wirklich war. Ich vermute, es war niemand aus dem Ausland. Es geht dort um innerkasachische Konflikte.

Können Sie erklären, warum die eigene Bevölkerung die hohen Energiepreise nicht bezahlen kann, obwohl das Land doch vom Öl- und Gasexport lebt?

Für uns klingen die Preise für Kraftstoff, um die es dort geht, fast lächerlich. Die wurden von etwa zehn bis 20 Cent auf etwa das Doppelte erhöht. Man muss aber wissen, dass Kasachstan einen sehr niedrigen Lebensstandard hat. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt etwa bei 350 Euro. Und da schlagen solche Preise stark zu Buche. In Kasachstan ist es sehr, sehr schwierig, Arbeit zu finden. In den vergangenen Jahren hat sich zwar eine Mittelschicht entwickelt, aber eher in den ländlichen Regionen.

Es ist also sehr schwierig, die Lebensaufwendungen zu bezahlen. In erster Linie sind das wirtschaftliche Zwänge, die die Leute dort in den vergangenen Jahren unzufrieden haben werden lassen.

In zweiter Linie ist es politische Teilhabe. Diese fordern eher die Menschen in der Stadt, die auch eine gewisse Bildung haben oder überhaupt wissen, was Demokratie ist. Auf dem Land weiß man darüber eher wenig Bescheid.

Zur Person

Edda Schlager (Quelle: privat)
privat

Edda Schlager ist Journalistin und freie Auslandskorrespondentin für Zentralasien. Sie hat in Berlin studiert und lebt seit 2005 in Almaty (Kasachstan), von wo sie regelmäßig in andere zentralasiatische Länder reist.

Als Autorin und Fotografin ist Edda Schlager für deutschsprachige Print- und Onlinemedien wie "Berliner Zeitung", "Zeit Online" oder "Spiegel Online" tätig, als Radio-Journalistin vor allem für den Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur.

Präsident Toqajew, so wird berichtet, hat das Militärbündnis OVKS um Unterstützung gebeten, das von Russland geführt wird. 2.500 Soldaten wurden nach Kasachstan entsandt. Was ist diese OVKS, die "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit"?

Das ist ein Militärbündnis, das in den 1990er Jahren gegründet wurde. Es wird von Russland geführt. Dazu gehören noch Armenien, Kirgistan, Tadschikistan und Belarus. In diesem Fall sind die Bündnispartner zu Hilfe gerufen worden. Das ist auch das allererste Mal geschehen, so dass man jetzt also innerhalb der Bündnispartner von einer Friedensmission spricht, um in Kasachstan für Ordnung zu sorgen.

Russlands Präsident Wladimir Putin selbst sprach davon, er werde eine Revolution in Kasachstan nicht zulassen. Halten Sie es für möglich, dass die Proteste auf den Straßen von politischen Machtkämpfen instrumentalisiert werden könnten?

Ich kann das nicht belegen, und das kann zum momentanen Zeitpunkt wahrscheinlich kaum jemand machen. Ich weiß auch nicht, ob es in Kasachstan jemals zu einer Aufarbeitung kommen wird. Aber die Vermutung liegt nahe. In jedem Fall sind es innerkasachische Konflikte, die dort ausgetragen werden. Vielleicht kann man von einem Elitenkampf sprechen.

Aber es ist sehr schwierig zuzuordnen, wer dort die Hände im Spiel gehabt haben könnte. Es gibt im Prinzip zwei Lager, die dort sicherlich involviert waren: zum einen Anhänger des jetzigen Präsidenten Toqajew, zum anderen Unterstützer des Ex-Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Er hat 2019 freiwillig sein Amt quittiert - was damals auch viele Menschen überrascht und geschockt hat -, aber seitdem im Prinzip im Hintergrund die Fäden weiterhin in der Hand und die Geschicke des Landes gesteuert.

Möglicherweise gibt es auch noch andere Interessengruppen. Davon kann man aber momentan noch nicht sprechen, geschweige denn, dass man sagen könnte, wer dort irgendwie noch involviert ist.

Wenn ich richtig informiert bin, ist Kasachstan ein multikultureller Staat. Es gibt dort über 120 Ethnien, und die Bevölkerung Kasachstans ist vor allem seit 2005 gerade gegenüber Russland immer kritischer eingestellt. Wie würden Sie das Verhältnis zu Russland beschreiben?

In Deutschland weiß man relativ wenig über Kasachstan. Diese Ethnien, die Sie gerade genannt haben, leben dort relativ friedlich miteinander. Es kommt aber immer wieder zu Konflikten. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich das Verhältnis von Minderheiten und Mehrheiten ein bisschen verschoben. Früher waren russischsprachige Kasachstaner in der Mehrheit. In den vergangenen Jahren hat sich das umgekehrt, und jetzt gibt es etwa 70 Prozent ethnische Kasachen. Und gegenüber Russland hat sich Kasachstan in den vergangenen Jahren immer sehr stark abgegrenzt. Man wollte von Russland, das natürlich deutlich mächtiger ist, auf Augenhöhe wahrgenommen werden.

Es wurde auch ein Bündnis geschlossen, die Eurasische Wirtschaftsunion. Im Rahmen dieses Bündnisses hat Kasachstan immer wieder versucht, eine politische Vereinnahmung durch Russland von sich fernzuhalten. Das ist eigentlich auch ganz gut gelungen. Ex-Präsident Nasarbajew hat bereits eine sogenannte Multivector-Politik gepflegt, wo man mit allen Großmächten - sowohl mit Russland, China, aber auch der EU und den USA - versucht hat, ungefähr auf einer Höhe zu bleiben und keinen zu bevorzugen. Diese Politik hat Toqajew fortgesetzt.

Deshalb waren wir als Beobachter auch völlig überrascht, dass Toqajew im Zuge dieser Ausschreitungen das Bündnis angerufen hat und vor allen Dingen Russland um Unterstützung gebeten hat.

Was sollte der Westen und die EU jetzt tun?

Der Westen und die EU hätten schon länger ihr Interesse an dieser Region bekunden sollen. Dadurch, dass die EU - und die USA ebenso - so viel mit sich selbst beschäftigt sind, hat man das Interesse an dieser Region Zentralasien verloren. Es gab zwar Zentralasien-Strategien, auch initiiert von Deutschland für Zentralasien. Aber tatsächlich ist das einfach nur was auf dem Papier gewesen.

Letztendlich ist dem Westen der gleiche Fehler unterlaufen wie Russland auch. Denn Russland hat dort auch nicht so interessiert hingeschaut, wenn man an anderen Krisenherden tätig war. Jetzt fehlt uns die Expertise für diese Region. Was ist dort eigentlich los? Niemand kennt dieses Land Kasachstan und schon gar nicht Zentralasien. Aber vielleicht wird sich das im Zuge dieser Krise jetzt ändern müssen. Wir werden sehen, wie sich das geopolitisch dort weiterentwickelt. Und da wird auch die EU, wie auch Deutschland, Stellung beziehen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Edda Schlager führte Florian Schroeder für den Radioeins-Podcast "wach und wichtig".

Das Gespräch ist eine redigierte und gekürzte Version. Die Hörfunkfassung können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Radioeins, 11.01.2022, 05:00 Uhr

15 Kommentare

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  1. 15.

    " Zu diesen Interessen gehört mitunter auch, das Befrieden von Unruhe - Herden etc. "

    ja, aber nur mitunter, hat aber meistens nicht funktioniert ( Libyen, Irak, Syrien )

    " Frieden ist weder für die EU, noch für die NATO, nur eine Floskel. " hoffentlich !

  2. 14.

    Doch, den Stempel braucht man.
    Da steht, "Meine" drauf und man ist etwas näher an Russland und China dran.
    Wir schaffen das!

  3. 13.

    Wieso soll niemand dieses Land Kasachstan kennen? Ich war schon dort.

  4. 12.

    Nein, wir haben kaum bis kein Interesse an Kasachstan … Und nein, wir wollen auch kein besonderes entwickeln … Weil, wir haben ganz andere und eigene Probleme und sind bestimmt auch nicht die prädestinierten Heilsbringer für Land und Leute in Mittelasien … Wenn uns hier einer aus Mittelasien erklären wollte, wie und was hier das Beste wäre und was wir uns wünschen … Na aber Hallo!

  5. 11.

    Im Radio kam heute früh, dass nach Einschätzung von Experten ca. 4Mrd. an Hilfe für Kasachstan erforderlich sind. Ansonsten könnte die nächste Flüchtlingswelle losgetreten werden. Kommen die dann auch noch alle zu uns?
    10:20/15:30

  6. 10.

    In Kasachstan lebt(en) viele Deutsche. Umgesiedelte aus der ehemaligen Deutschen Sowjetrepublik nach dem Angriff Hitlers auf die SU.

    Meines Wissens werden die Ölfelder von ausländischen Firmen betrieben .

  7. 9.

    Zu diesen Interessen gehört mitunter auch, das Befrieden von Unruhe - Herden etc..
    Frieden ist weder für die EU, noch für die NATO, nur eine Floskel.

  8. 8.

    Nicht auch noch da. Das ist ja das schlimme die Eu und dem Westen sieht sich als Feuerwehr, verschlimmbesserst aber Länder höchsten, weil sie diese gar nicht versteht. Weder Kultur noch Lebensart und eine Art westlichen Stempel braucht man ich nicht ueberall.

  9. 7.

    Genauso habe ich es auch gemeint, als ich Frau Schlager zitierte. Das hat damals in Kuba nicht geklappt, das hat im Irak nicht geklappt und auch nicht in Afghanistan, wo sich das von uns ausgebildete Militär kampflos den Taliban ergeben hat. Der Westen (wir) kann unsere Wertvorstellungen, ich hatte es Export unserer Ideologie genannt, nicht einfach anderen Ländern überhelfen. Da stehen eine andere Historie und Kultur dazwischen. Das müssen wir akzeptieren und integrieren in unsere Bemühungen, statt nur zu fordern, dass sie sich von heute auf morgen anzupassen haben. Ein schwieriges Thema.

  10. 6.

    " durch Export unserer Ideologie? "

    eher durch Sicherung von Bodenschätzen und Aufnahme in die NATO :" Staaten kennen keine Freunde sondern haben nur
    Interessen ( Egon Bahr )

  11. 5.

    " "Der Westen und die EU hätten schon länger ihr Interesse an dieser Region bekunden sollen."

    bloß nicht

  12. 4.

    "Niemand kennt dieses Land Kasachstan "

    und was ist mit Usbekistan, Tadschikistan, Aserbeidschan, Turkmenistan... wer kennt diese Länder ?

  13. 3.

    "Niemand kennt dieses Land Kasachstan - das wird sich jetzt ändern müssen" Diese Aussage ist so nicht ganz richtig. Ich war zwar noch nie da, habe aber schon etliche tv-Berichte vom "Weltraumbahnhof" der Russen gesehen, den auch schon Deutsche genutzt haben. Wenn die landen ist es keine Wasserung wie bei der NASA, sondern die landen mit der Kapsel in der kasachischen Steppe und werden dann mit nem Heli eingesammelt.
    Ansonsten scheint das Land aber sehr arm zu sein, so wie viele in dieser Region. Wenn dann die wirtschaftlichen "Stellschrauben" angezogen werden, kann das schon zu Protesten führen. Angesichts des Reichtums an fossilen Brennstoffen ist es nicht unwahrscheinlich, dass islamistische Kräfte auf diesen Zug aufspringen und sich um eine Übernahme der Macht bemühen. Letztendlich lag ja der Irak auch mal im Zentrum des IS. Die wollen nicht nur ihren Glaubenskrieg weltweit führen, sondern auch ökonomische Macht, da sie ihn ja finanzieren müssen.

  14. 2.

    Da die Informationen nicht aktualisiert werden hier ein paar news:
    "Kasachstan hat neuen Regierungschef" und die Lage scheint sich zu beruhigen
    https://www.tagesschau.de/ausland/asien/kasachstan-regierungschef-proteste-101.html

  15. 1.

    "Der Westen und die EU hätten schon länger ihr Interesse an dieser Region bekunden sollen." wie bitte soll man sich das vorstellen, durch Export unserer Ideologie? Fidel hat damals versucht den Kommunisten von Kuba nach Mittelamerika zu exportiren. Das Ergebnis kennen wir.
    Zitat aus dem RND zu Kasachstan
    " Nur-Sultan. Bei den Protesten im zentralasiatischen Kasachstan sind in der Stadt Almaty offiziellen Angaben zufolge 13 Sicherheitskräfte getötet worden. Zwei Leichen seien geköpft aufgefunden worden, berichteten kasachische Medien am Donnerstag unter Berufung auf das Staatsfernsehen. Klare offizielle Angaben zu möglichen zivilen Todesopfern gab es weiter nicht.
    Am Mittwoch hatten die Behörden von 8 toten Polizisten und Soldaten gesprochen. Bei den Unruhen wurden demnach landesweit mehr als 1000 Menschen verletzt. 400 Menschen seien in Krankenhäuser gebracht worden 62 seien auf Intensivstationen."
    Frau Schlager, was war zuerst da, die Gewalt oder der Schießbefehl?

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