Klausur des Berliner Senats - Rot-Grün-Rot harmoniert strategisch

Rund 40 Maßnahmen will der rot-grün-rote Senat bis zum 31. März nach 100 Tagen an der Regierung schaffen. Das wurde bei einer Klausur am Wochenende beschlossen. "Harmonisch" liefen die Gespräche, hieß es – je nachdem, wie man Harmonie definiert. Von Sebastian Schöbel
Es war Verkehrs- und Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne), die wohl die erste kleine Krise dieser rot-grün-roten Koalition auslöste - wenn auch nur eine musikalische. Um die von allen Teilnehmern gelobte Stimmung im nachhaltig geplanten Vorzeige-Tagungshotel Landgut Stober bei Nauen zu beschreiben, verriet die Grünen-Politikerin: "Wir haben sogar einen Soundtrack gefunden für diese Klausur, nämlich von Tocotronic, 'Harmonie ist Strategie'."
Kreck schlägt Tocotronic-Song vor
Die Idee kam offenbar von Justizsenatorin Lena Kreck (Linke). Dass strategische Harmonie aber nicht zwingend gefühlte Harmonie sein muss, ließ Jarasch dann auch gleich durchblicken. "Frau Giffey ist kein Tocotronic-Fan", fügte die Grünen-Politikerin lachend hinzu.
"Das habe ich nicht gesagt", rief die Regierende dazwischen. Was als Scherz gemeint war, wirkte plötzlich wie ein Riss in der mühsam aufgebauten Harmoniefassade.
Vielleicht vermutete Franziska Giffey (SPD) aber auch, dass ein Lied von Tocotronic eventuell doch vieldeutiger sein könnte, als der Refrain vermuten lässt. Schließlich beginnt jede Strophe der inoffiziellen "Klausur-Hymne" mit den Zeilen: "Als wir wiederum nicht wussten, was zu tun, wohin sich wenden, liefen wir stundenlang umher."
Giffey jedenfalls wollte das auf jeden Fall richtigstellen. "Das ist nicht zur Überschrift dieser Klausur erklärt worden. Nicht dass da ein falscher Zungenschlag reinkommt."
Hippe Playlist, erwartbares Programm
Dieser Zungenschlag sollte nämlich vor allem ein pragmatischer sein: Das 100-Tage-Programm des rot-grün-roten Senats liest sich nicht wie ein visionäres Manifest, sondern eher wie eine durchaus machbare To-do-Liste.
So soll der Landesmindestlohn um 50 Cent auf 13 Euro angehoben werden – ein kleiner Erfolg der Linken, die diesen Schritt schon lange fordern. Zudem soll Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos) ein neues Corona-Hilfsprogramm für Gastronomie, Handel und Kultur aufsetzen – ein Punkt, der so erwartbar war, dass Schwarz damit etwas zu früh an die Öffentlichkeit gehen konnte, ohne Zerwürfnisse im Senat zu riskieren.
Mit einem neuen Studiengang die Senatsdigitalisierung ankurbeln
Ebenfalls vereinbart wurde der Start eines neuen Studiengangs für Verwaltungsdigitalisierung, um den IT-Fachkräftemangel in Berlins Amtsstuben zu beenden. Zudem sollen ein paar weitere Bürgerdienste online gehen, darunter die digitale Meldebescheinigung.
Die neue Berliner Regierung hat sich also erstmal Ziele gesteckt, die sie auch erreichen kann, viele Projekte sind Fortsetzungen bestehender Planungen, wo wie die Spatenstiche für drei neue Brücken in Steglitz-Zehlendorf, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick. Andere Maßnahmen waren im Koalitionsvertrag bereits angekündigt worden. Dazu gehören die Polizeiwache am Kottbusser Tor, die ein Umsetzungskonzept bekommen soll, oder die angekündigte Lehrerverbeamtung, für die ein Zeitplan erarbeitet werden soll.
Mächtige neue Senatskommission zu Wohnungsbau
Spannung verspricht allein das Thema Wohnungsbau. Hier plant Giffey, wie im Wahlkampf angekündigt, ein Bündnis mit der Privatwirtschaft. Das aber soll zunächst von mehreren Arbeitsgruppen vorbereitet werden, geschmiedet wird das Bündnis nicht vor dem Sommer. Deutlich vorher aber, innerhalb der ersten 100 rot-grün-roten Tage, soll eine neue Senatskommission strittige Bauprojekte auf höchster Ebene an sich ziehen, so Giffey.
"Und wer auf der Tagesordnung dieser Senatskommission landet, hat vorher nicht alle anderen Dinge hinbekommen, das muss klar sein." Gemeint sind laut Giffey zum Beispiel die rund 60.000 bereits genehmigten aber nicht gebauten Wohnungen – aber auch politisch umstrittene Projekte, bei denen sich etwa Senat und Bezirk verhakt haben, oder bei denen eine Senatsverwaltung die andere blockiert, etwa bei Umwelt- oder Sozialfragen. "Wir können es nicht hinnehmen, dass Dinge hin und hergeschoben werden, sondern wir müssen ein Gremium haben, wo wir als Mitglieder der Landesregierung sagen: 'So, das wird jetzt entschieden!'"
Dass diese neue Spezialkommission von Giffeys Senatskanzlei aufgesetzt werden soll, kann dabei durchaus als Signal verstanden werden: Die Regierende Bürgermeisterin meinte es durchaus ernst, als sie sagte, das Bauen sei für sie "Chefinnensache". In einigen zentralen Punkten, so viel macht der 100-Tage-Plan deutlich, will Giffey die Musik also selbst auswählen.
Sendung: Inforadio, 17.01.2021,