rbb exklusiv | Wohnungsabrisse in Berlin - Auf günstige alte Wohnungen folgen kaum preiswerte neue
Wenn in Berlin Wohnungen abgerissen werden, muss laut Gesetz preiswerter neuer Ersatzwohnraum geschaffen werden. Doch Zahlen, die dem rbb vorliegen, legen nahe, dass dies selten der Fall ist. Von Thorsten Gabriel
Die Berliner Bezirke haben in den vergangenen vier Jahren etwas mehr als tausend Wohnungsabrisse genehmigt. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervor, die dem rbb vorliegt. Allerdings wurde kaum günstiger Ersatz geschaffen.
Der Antwort zufolge stellten Eigentümer in den Jahren 2018 bis 2021 insgesamt 1.724 Anträge auf Wohnungsabrisse, davon wurden jedoch nur 60 Prozent genehmigt, das sind 1.038 Wohnungen. Darüber hinaus stellten die Bezirke in rund 420 Fällen Wohnungseigentümern sogenannte Negativatteste aus. Diese bescheinigen, dass für einen Abriss keine Genehmigung benötigt wird, weil betreffende Wohnungen nicht unter das Zweckentfremdungsverbotsgesetz fallen.
Die mit Abstand meisten Anträge auf Abriss von Wohnraum gab es im besagten Zeitraum in den Bezirken Mitte (372) und Charlottenburg-Wilmersdorf (323). Die meisten Negativatteste stellte der Bezirk Pankow (112), gefolgt von Marzahn-Hellersdorf (92). Insgesamt zeigt sich über die Jahre ein steigender Trend zu Abrissanträgen.
"Wenn ich 5 Euro pro Quadratmeter Miete nehmen kann, reiße ich lieber ab"
Nach Ansicht des Linken-Abgeordneten Niklas Schenker, der die Anfrage beim Senat stellte, ist diese Entwicklung vor allem dem steigenden Verwertungsdruck auf dem Wohnungsmarkt geschuldet. "Es gibt den Druck, zu sagen: Wenn ich irgendwo fünf Euro pro Quadratmeter Miete nehmen kann, dann reiße ich lieber ab, baue neu und nehme dann 20 Euro pro Quadratmeter."
Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz sieht eigentlich vor, dass für abgerissenen Wohnraum neuer Wohnraum entstehen muss - der für maximal 7,92 Euro netto kalt pro Quadratmeter neu vermietet werden darf. Wie aus der Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen hervorgeht, wurde solch günstiger Ersatzwohnraum aber offenbar nicht immer geschaffen.
Zusammengerechnet meldeten die Bezirke weniger als 400 Ersatzwohnungen für die vergangenen vier Jahre. In Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf entstand den Angaben zufolge keine einzige Wohnung, die zu diesen Konditionen neu vermietet wurde. Andere Bezirke teilten mit, sie führten darüber keine Statistik.
Schenker: Bezirke wegen ausstehender Gerichtsentscheidung zögerlich
Schenker sieht darin vor allem ein Vollzugsdefizit bei den Bezirken. Dies wird nach seiner Einschätzung auch dadurch verstärkt, dass derzeit noch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aussteht, ob die gesetzliche Mietobergrenze von 7,92 Euro rechtmäßig ist. "Viele Bezirke sind deshalb etwas ängstlich, so eine Regelung wirklich durchzuziehen oder sich hier vielleicht auf anderem Wege mit Eigentümern zu einigen", so Schenker.
Gemessen an den insgesamt rund 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin, liegt die Zahl der Abrisswohnungen im Promillebereich. Für Schenker sind die steigenden Zahlen dennoch ein "Warnsignal", weil Berlin auf keine einzige Wohnung verzichten könne.
Außerdem stehe "hinter jedem Abriss auch eine Geschichte von Mieterinnen und Mietern, die an diesen Stellen verdrängt wurden". In aller Regel werde besonders bezahlbarer Wohnraum abgerissen. Und in den besonders betroffenen Bezirken würden nur wenige bis gar keine Sozialwohnungen neu gebaut. Die rot-grüne-rote Koalition wolle deshalb ein neues "Wohnraumschutzgesetz" auf den Weg bringen, das Abrisse stärker reglementiert und außerdem auch eine "Klimaschutzkomponente" enthalte.
Sendung: Inforadio, 24.02.2022, 6 Uhr