Ausbaupläne der Bundesregierung - Was der Ampel-Windkraftturbo für die Uckermark bedeuten könnte

Die neue Bundesregierung will mit deutlich mehr Windkraftanlagen Deutschlands Energielücke schließen. Dafür gebraucht werden Gebiete wie die Uckermark. Dort wollen nicht alle Anwohner mitziehen. Thomas Rautenberg hat sich vor Ort umgehört.
Nechlin in der Gemeinde Uckerland ist ein kleines Dorf am nördlichsten Zipfel Brandenburgs zwischen Prenzlau und der Ostsee-Autobahn A 20. 2.600 Menschen wohnen in Uckerland auf elf Ortschaften verteilt. An diesem Vormittag wirkt die Gegend wie ausgestorben. Das Einzige, was sich bewegt, sind die Windräder auf den Feldern rund um den Ort. Das leise Fauchen der Propeller ist bis ins Dorf zu hören.
Zwei-Prozent-Ziel
Auf zwei Prozent der bundesweiten Landflächen sollen künftig Windräder Strom produzieren. Eine nüchterne Botschaft, die den Anblick mancher Landschaft weiter verändern wird. In der Gemeinde Uckerland sind sogar neun Prozent des Territoriums als so genannte Windeignungsflächen ausgeschrieben. Insgesamt 105 Windräder sind bereits installiert, weitere werden sicher dazu kommen.
Doch es gehe nicht darum, dass immer mehr Windkrafttürme wie Spargel aus dem Boden schießen, sagt Nadine Haase vom Bundesverband Windkraft und Kommunikationschefin beim örtlichen Windkraftanlagen-Betreiber Enertrag. "Wir sind keine Spargelbauern, wir sind ein Erzeuger von erneuerbarer Energie und setzen dabei auf mehr Effizienz durch das Repowering, also den Ersatz bestehender Anlagen durch viel leistungsfähigere Windgeneratoren."
Repowering stockt
Moderne Windräder mit einer Leistung von fünf Megawatt können viel mehr Energie erzeugen als viele Windmühlen, die heute noch in der Landschaft stehen. Allerdings sind sie auch rund 250 Meter hoch und damit viel größer als ihre Vorgänger. Das führt häufig zu Problemen bei den notwendigen Abstandsflächen.
Der Potsdamer Landtag diskutiert gerade das neue Windkraftanlagen-Abstandsgesetz. Darin könnte der Abstand von Windkraftanlagen zur nächsten Bebauung auf 1.000 Meter festgeschrieben werden. Auch zu Nistplätzen seltener Vögel beispielsweise müsste ein Sicherheitsabstand gewahrt bleiben.
Enertrag-Kommunikationschefin Nadine Haase warnt vor den Konsequenzen einer zu starren Regelung. "Im Moment würde die Hälfte unserer Repoweringflächen herausfallen, wenn der Abstandswert von 1.000 Metern so eng gefasst bleibt. Wenn es also nicht darum geht, wie hoch die Geräuschbelastung oder andere Faktoren, wie der Artenschutz, vor Ort wirklich sind."
Windkraftausbau – nein danke!
Etwa 50 Kilometer weiter östlich in Crussow bei Angermünde ist die Stimmung eher mau. Hier trifft der geplante Windkraftausbau auf wenig Gegenliebe unter den Anwohnern. Auch hier ist das Brummen der 13 Windkraftgeneratoren am Ortsrand bis ins Dorf zu hören.
Angela Mans wohnt seit zehn Jahren in Crussow. Sie hat ihren kleinen Jack-Russel-Terrier dabei. "Das ist Waldi", sagt sie. Ein Seitenhieb auf Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne). Der hatte bei der Vorstellung seiner Pläne gesagt, dass es immer wieder Leute gäbe, die mit ihrem Waldi spazieren gehen und sich dabei an den Windrädern stören würden. "Das empfand ich schon als eine Unverschämtheit", sagt die Crussowerin, "ich kann doch nicht jedes Mal, wenn sich die Umstände verändern, einfach umziehen!"

Massiver Ausbau geplant
Und für die Crussower werden sich die Umstände verändern. Das benachbarte Windfeld soll ausgebaut werden, viel mehr und vor allem noch höhere Anlagen werden dann am Ortsrand stehen.
Im Gürtel um Angermünde könnten insgesamt 100 neue Windräder dazu kommen. Wehren könnten sich die Bürger nicht, beklagt Rainer Ebeling von der Bürgerinitiative "Crussow lebenswert". Herr Habeck versuche zwar den Eindruck zu erwecken, dass die Bürger in der Diskussion mitgenommen und beteiligt würden, sagt Ebeling. Aber die Anwohner wollten keine finanzielle Beteiligung, weil die Belastung durch die Windkraftanlagen dadurch nicht kleiner würde, setzt er hinzu.
Auch bei der Aufstellung der Regionalpläne seien Tausende Hinweise der Bevölkerung eingegangen, aber berücksichtigt wurde nicht einer, schimpft der Crussower. "Wenn nun der Druck zunimmt, zusätzliche Windkraftanlagen aufzubauen, dann wird auch der Protest vor Ort wachsen", ist sich Ebeling sicher.
Bürgermeister sieht Handlungsbedarf beim Bund
Vom Protest sind die Menschen in der Gemeinde Uckerland derzeit weit entfernt. Sie wollen vielmehr mit und auch von den Windkraftanlagen in der Nachbarschaft leben. Wenn der Ausbau der Windenergie wirklich funktionieren soll, müsse der Bund gesetzliche Regelungen schaffen, dass die betroffenen Anwohner in der Region auch von der Stromproduktion profitieren können, sagte Matthias Schilling, Bürgermeister der Gemeinde Uckerland.
Im Ortsteil Nechlin ist es bereits gelungen. Der weltweit erste und einzige Warmwasserspeicher versorgt die Einwohner mit preiswerter Heizenergie. In Windspitzenzeiten, wenn das Netz den Windstrom nicht mehr aufnehmen kann, wird der Nechliner Wasserspeicher auf dem kurzen Weg erhitzt und kann über viele Tage die gesamte Ortschaft mit Heizenergie versorgen.
Die jährliche Kostenersparnis pro Haushalt liegt bei rund 1.000 Euro, rechnet der Bürgermeister vor. "Das hat zu einem Sinneswandel bei vielen Kritikern der Windkraft geführt. Die Leute sind heute froh, dass sie diese Alternative haben."

Wertschöpfung und Wertschätzung
Bürgermeister Matthias Schilling fordert, dass dieser Ansatz konsequent weiterverfolgt wird. Gewerbegebiete müssten künftig den grünen Strom preiswert von den benachbarten Windfeldern bekommen, dann würden in der Region auch mehr Arbeitsplätze entstehen, so der 57-jährige Lokalpolitiker. Schilling schlägt darüber hinaus eine finanzielle Zuwendung für Gemeinden vor, auf deren Gebiet ganz besonders viel Windenergie produziert wird. "Wir tragen die Belastungen der Windkraftanlagen und das sollte honoriert werden, denn auch wir müssen Schulen, Kitas und Straßen bauen."
"Uckermark-Disco" wird abgeschaltet
Zumindest das nächtliche Blinken der vielen Windkraftanlagen soll bald ein Ende haben. Bis zum Jahresende will Enertrag über 400 seiner Windräder auf eine moderne Radar-Überwachung umgestellt haben. Sie leuchten dann nur noch, wenn sich ein Flugzeug nähern sollte. "Die Uckermark-Disco wird abgeschaltet", verspricht Nadine Haase vom Windkraftbetreiber Enertrag.
Sendung: Inforadio, 17. Februar 2022, 9:25 Uhr
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