Streit über Beratungsgremium - Senat will "seriös" mit Enteignungs-Volksentscheid umgehen

Der Berliner Senat und die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" sind sich weiter uneins über den Umgang mit dem Vergesellschaftungs-Volksentscheid. Bei einem erneuten Treffen am Donnerstag gab es statt Antworten neue Fragen. Von Thorsten Gabriel
Eine Dreiviertelstunde war für den Termin am Rande der Plenarsitzung im Abgeordnetenhaus vorgesehen. Doch stattdessen zogen sich Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) und Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) fast doppelt so lange mit Vertreterinnen und Vertretern der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" zurück. Der Gesprächsbedarf war groß. "Wir haben noch ein paar ziemliche Knackpunkte identifiziert", stellte Kalle Kunkel von der Initiative nach dem Treffen fest. Die vom Senat geplante Fachkommission bereitet den Aktivist:innen weiter Bauchschmerzen.
Seit den Sondierungsgesprächen von SPD, Grünen und Linken steht fest, dass ein Beratungsgremium von Expertinnen und Experten ausloten soll, ob die Wohnungsbestände großer Konzerne rechtssicher vergesellschaftet werden können und, wenn ja, wie das konkret machbar wäre. Ein Jahr lang soll die Kommission tagen und dann Empfehlungen abgeben.
"Zur politischen Verantwortung gehört, mögliche Folgen zu prüfen"
Schon das Gremium als solches wurde von der Initiative von Anfang an mehr als eine Verhinderungstaktik angesehen. Denn sowohl die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als auch ihr Stadtentwicklungssenator Geisel hatten nie verheimlicht, dass sie klar gegen Enteignungen von Wohnungskonzernen sind. Sie setzen stattdessen auf ein gutes Miteinander mit der Wohnungswirtschaft und Verhandlungen mit ihr am Runden Tisch – ohne die Volksentscheids-Aktivist:innen.
Geisel sieht das nicht als Verhinderungstaktik, sondern betont, dass die 59,1 Prozent Zustimmung, die der Volksentscheid am Wahlabend im Vorjahr brachte, "ein klares Signal" seien, mit dem der Senat "seriös umgehe". "Aber zur politischen Verantwortung gehört auch, alle Aspekte und die möglichen Folgen zu prüfen", formulierte es Geisel nach dem Gespräch mit der Initiative.
Enteignungs-Entschädigungen: "Es ist Geld, das dann fehlt, um die Mieten zu stabilisieren"
Dabei gehe es längst nicht nur um die juristische Frage, ob Enteignungen vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben könnten, sondern auch darum, ob es wirtschaftlich sinnvoll sei, Milliarden Euro an Entschädigung an die Aktionäre von Wohnungskonzernen zu zahlen. "Es ist Geld, das dann fehlt, um die Mieten zu stabilisieren, Geld, das dann fehlt, um Häuser zu sanieren und sie energetisch zu ertüchtigen. Das ist schon eine Frage, der wir uns stellen müssen", so Geisel.
Bei Einwänden wie diesen winkt die Initiative stets mit ihrem eigenen Gesetzentwurf, den sie im vergangenen Jahr selbst noch präsentiert hatte. Der Entwurf war eine Art Trockenübung, denn zur Abstimmung gestellt wurde er nicht. Beim Volksentscheid ging es lediglich um die Frage, ob der Senat aufgefordert werden soll, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Jetzt aber könnte der Entwurf von damals aus Sicht der Initiative richtig zur Geltung kommen. Die Aktivist:innen sähen es gern, wenn ihr Gesetzesvorschlag als Grundlage für die Beratungen in der Kommission genommen würde.
"Immer schade, wenn vertrauliche Gespräche durchbrochen werden"
Auf Senatsseite, so ist zu hören, findet man es sinnvoller, sich nicht nur einen einzelnen Gesetzentwurf anzuschauen, sondern verschiedene Varianten. Es ist einer der "ziemlichen Knackpunkte", die die Initiative sieht. Ein weiterer ist die Frage der Transparenz. Ginge es nach der Initiative, fänden alle Beratungen der Expert:innenkommission öffentlich statt. Im Senat fürchtet man dagegen eher, dass es dann zu weiteren "Hinterzimmerberatungen" käme, um sich offen austauschen zu können. Trotz allem heißt es aus Senatskreisen, dass man selbstverständlich alle Gutachten und Protokolle der Sitzungen öffentlich zugänglich machen wolle.
Dass es wenigen Stunden zuvor noch Knatsch gegeben hatte, weil aus der Initiative die Vorschlagsliste des Senats für die Besetzung der Kommission nach draußen gedrungen war, ist da fast schon Schnee von gestern. "Es ist immer schade, wenn vertrauliche Gespräche durchbrochen werden, wenn Namen genannt und dann auch noch desavouiert werden, das ist kein guter Stil", findet zwar der Stadtentwicklungssenator, fügt allerdings hinzu: "Aber was soll ich machen? Ich geh' gelassen damit um. Am Dienstag wird der Senat eine ordentliche Entscheidung treffen."
"Wir haben in unserer Initiative über die Namen informiert"
Auf Seiten der Initiative ist man sich keiner Schuld bewusst. Dass die Namen der vom Senat vorgesehenen Fachleute zuerst den Weg in die Tageszeitung "taz" und dann in andere Medien fanden, dafür könne man nichts, sagt Initiativen-Vertreter Kalle Kunkel. "Wir haben in unserer Initiative über die Namen informiert, um überhaupt sprechfähig zu werden. Von dort sind sie in die Öffentlichkeit gelangt, insofern sehen wir da keine Verantwortung bei uns."
Geradezu genüsslich – vor allem aber mit einer ordentlichen Prise Empörung – hatte die Initiative sich dann in einer Pressemitteilung darüber echauffiert, dass die SPD ausschließlich Juristen für die Kommission nominiert habe, die zuvor als Enteignungskritiker in Erscheinung getreten waren. Für die Initiative selbst kommt der geplante Senatsbeschluss am Dienstagvormittag ein bisschen zu früh – denn das eigene Plenum tritt am gleichen Tag erst abends zusammen. Noch sei nicht absehbar, ob es unter den gegebenen Umständen dazu kommen werde, dass die Initiative eigene Fachleute in die Kommission entsendet oder es bleiben lässt.
Thema Enteignungen vor allem für die Linke ein Dilemma
In Koalitionskreisen fühlen sich selbst manche, die der Initiative wohlmeinend gegenüberstehen, mittlerweile genervt von der Anspruchshaltung der Aktivistinnen und Aktivisten. Denn eigentlich haben sie ihren Job ja erledigt: einen Volksentscheid mit riesigem Erfolg über die Bühne gebracht. Der "Rest" ist Aufgabe des Senats, der aufgefordert ist zu handeln. Doch das sieht die Initiative anders. "Ich finde, es ist schon eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass wenn jetzt gesagt wird, das muss nochmal in einem Expertengremium genauer ausgearbeitet werden, dann auch diejenigen, die sich seit mehreren Jahren damit beschäftigen, daran beteiligt werden", verteidigt Initiativen-Vertreter Kunkel das selbstbewusste Auftreten der Gruppe.
Ein Dilemma ist die ganze Angelegenheit vor allem für die mitregierende Linke. Sie hatte sich als einzige der drei Regierungsparteien ohne Wenn und Aber an die Seite der Enteignungsaktivist:innen gestellt. Doch in der Initiative ist man unzufrieden mit der Linken und fühlt sich zu wenig einbezogen. Sogar einen bösen Brief an den Linken-Landesvorstand schrieb man. Öffentlich darüber reden wollen beide Seiten nicht so recht.
Keine Zerreißprobe für Rot-Grün-Rot in Sicht
Fest steht allerdings schon jetzt: Zu einer wirklichen Zerreißprobe dürfte das Thema Enteignungen für die Koalition nicht werden – unabhängig davon, was die Expertenkommission empfehlen wird. Sollte sie befürworten, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, wird das nach einem Jahr Beratung weitere Monate in Anspruch nehmen. Bis ein solches Gesetz dann vom Abgeordnetenhaus beschlossen würde, vergingen noch einmal Monate. Anschließend, soviel ist sicher, würde es mit Sicherheit vor dem Bundesverfassungsgericht landen, das sich seinerseits viel Zeit bis zu einer Entscheidung nehmen dürfte. Da wäre die Wahlperiode dann höchstwahrscheinlich schon vorbei.
Und sollte es kein Gesetz geben? Dann würde die Initiative vermutlich ein neues Volksbegehren mit einem konkreten Gesetzentwurf anschieben. Den könnte der Senat dann dem Landesverfassungsgerichtshof zur Prüfung vorlegen – noch bevor daraus ein neuer Volksentscheid wird.
Sendung: Abendschau, 24.03.2022, 19:30 Uhr