AfD-Verfassungsklage in Brandenburg - Die Frage nach dem Schiedsrichter

Vor zwei Jahren stufte der Verfassungsschutz die Brandenburger AfD als Verdachtsfall ein. Seitdem will die Partei erreichen, dass nicht mehr öffentlich über solche Einstufungen informiert wird. Über die Frage wurde am Freitag im Landesverfassungsgericht gesprochen. Von Thomas Bittner
Im Verhandlungssaal des Brandenburger Verfassungsgerichts sitzen sich keine Unbekannten gegenüber. Rechtsanwalt Michael Elicker vertritt die AfD in vielen Gerichtssälen der Republik. Und der Vertreter der Landesregierung, Wolfgang Roth, war erst vor einigen Tagen der Anwalt des Verfassungsschutzes im Verfahren um die Einstufung der AfD als Verdachtsfall vor dem Verwaltungsgericht Köln.
Die AfD nutzt die Möglichkeiten des Rechtsstaates recht intensiv. Allein in Brandenburg gab es in jüngster Vergangenheit fünf Klagen der Partei gegen das Handeln des Verfassungsschutzes. Die Brandenburger Behörde beobachtet den Landesverband der AfD seit Juni 2020 als Verdachtsfall für Rechtsextremismus. Aus dieser Zeit stammt auch die aktuelle Klage.
Darf eine Behörde über einen Verdachtsfall öffentlich informieren?
Doch in der Verhandlung des Gerichts am Freitag sind die konkreten Einschätzungen der Verfassungsschützer über das Wirken der AfD gar kein Thema. Denn in diesem Verfahren geht es ganz formell nur um die Frage, ob die Behörde über einen Verdachtsfall öffentlich informieren darf. Elicker vor den sieben Verfassungsrichtern, unter ihnen die Schriftstellerin Juli Zeh und der Regisseur Andreas Dresen, argumentiert, das Wirken von Parteien sei grundgesetzlich geschützt. Die Regierung dürfe nicht in den politischen Wettbewerb eingreifen.
AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt dagegen kritisiert, der Verfassungsschutz Brandenburg sei ja keine unabhängige Behörde, sondern in Brandenburg eine Abteilung des Innenministeriums. Eine Regierungsbehörde trete als Schiedsrichter im politischen Prozess auf, empört sich Anwalt Elicker.
Veröffentlichung von Verdachtsfällen als Prävention
Die Verdachtsfall-Berichterstattung über konkurrierende Parteien ist für Berndt eine Stigmatisierung. "Das verschlechtert enorm die Chancen und praktischen Handlungsmöglichkeiten einer jeden Partei". Anwalt Roth verteidigt für die Landesregierung die Möglichkeit der Veröffentlichung von Verdachtsfällen. Wenn man erst über wirklich erwiesene Fälle berichten dürfe, sei es für Prävention zu spät.
Als Regisseur Andreas Dresen wissen will, ob es auch um Erziehung der Parteien gehe, wenn man den Verdacht veröffentliche, schränkt Roth ein. Das sei nicht das richtige Wort, es gehe nicht um gezielte Einflussnahme, aber: "Es ist schon die Hoffnung oder Erwartung, dass das zu einer Mäßigung führt. Man will eben nicht sozusagen tatenlos zusehen von staatlicher Seite, wie sich extremistische Parteien etablieren." Es gehe auch um eine aufgeklärte Wählerschaft in einer wehrhaften Demokratie.
AfD-Politiker: Berichterstattung schade der Partei
Für den AfD-Politiker Berndt ist das eine vormundschaftliche Haltung. Und er geht sogar so weit zu behaupten, dass der Verfassungsschutz für eine Radikalisierung von bestimmten Parteien sorge, wenn sich nach einer Einstufung als Verdachtsfall nur noch Staatsverdrossene dort versammeln.
Tatsächlich habe die Berichterstattung Folgen für seine Partei, erläutert Berndt den Richtern. Seine Abgeordneten könnten kaum Mietverträge für Büros abschließen, für die Mitarbeit in der Fraktion würden sich aus Angst nur wenige Bewerber melden. Dass das auch an den Positionen der Partei liegen könnte, die in der Breite der Gesellschaft nicht geteilt werden, kommt Berndt dabei nicht in den Sinn.
Kein Verdacht ohne tatsächliche Anhaltspunkte
Anwalt Roth lässt das Argument der Stigmatisierung nicht gelten. Der Verfassungsschutz dürfe einen Extremismus-Verdacht erst öffentlich machen, wenn dafür "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen, so stehe es im Gesetz. Es gehe also immer um Tatsachen, und die seien vor Gericht überprüfbar. Wenn es überhaupt so etwas wie einen "Schiedsrichter" gebe, dann sei das die Justiz.
Von einem "kalten Parteienverbot" durch den Verfassungsschutz spricht die AfD. Das sei unhaltbar, so der Vertreter der Landesregierung. Kein einziges Mandat gehe verloren, kein Vermögen werde eingezogen, das Versammlungsrecht bleibe, Wahlwerbung sei erlaubt, auch die staatliche Parteienfinanzierung gebe es weiter, selbst wenn eine Partei als Verdachtsfall gelte.
Gerichtsentscheidung am 20. Mai
Das Gericht macht es sich mit den Argumenten der AfD nicht leicht, die Argumente beider Seiten werden in ruhigem Ton abgefragt. AfD-Anwalt Elicker lobt die Schriftstellerin Juli Zeh, die im Gerichtssaal stets mit ihrem bürgerlichen Namen und Titel als "Dr. Finck" angesprochen wird. Sie habe den Sachstand zu Beginn der Verhandlung hervorragend zusammengefasst und die Positionen deutlich gemacht.
Gerichtspräsident Markus Möller stellt die Frage in den Raum, ob die Berichterstattung des Verfassungsschutzes ein gerechtfertigter Eingriff ist, der die Chancengleichheit der Parteien gewährleistet. Seine Antwort zu dieser Frage ließ er offen. Die Entscheidung des Gerichts wurde für den 20. Mai angekündigt.
Sendung: Antenne Brandenburg, 18.03.2022, 18 Uhr