AfD-Verfassungsklage in Brandenburg - Die Frage nach dem Schiedsrichter

Sa 19.03.22 | 12:49 Uhr | Von Thomas Bittner
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ARCHIV - 22.07.2016, Brandenburg, Potsdam: Bücher mit der Aufschrift "Gesetze des Landes Brandenburg" stehen in einem Saal des Verfassungsgerichtes. (Quelle: dpa/Ralf Hirschberger)
Bild: Audio: Antenne Brandenburg | 18.03.22 | Amelie Ernst | Bild: dpa/Ralf Hirschberger

Vor zwei Jahren stufte der Verfassungsschutz die Brandenburger AfD als Verdachtsfall ein. Seitdem will die Partei erreichen, dass nicht mehr öffentlich über solche Einstufungen informiert wird. Über die Frage wurde am Freitag im Landesverfassungsgericht gesprochen. Von Thomas Bittner

Im Verhandlungssaal des Brandenburger Verfassungsgerichts sitzen sich keine Unbekannten gegenüber. Rechtsanwalt Michael Elicker vertritt die AfD in vielen Gerichtssälen der Republik. Und der Vertreter der Landesregierung, Wolfgang Roth, war erst vor einigen Tagen der Anwalt des Verfassungsschutzes im Verfahren um die Einstufung der AfD als Verdachtsfall vor dem Verwaltungsgericht Köln.

Die AfD nutzt die Möglichkeiten des Rechtsstaates recht intensiv. Allein in Brandenburg gab es in jüngster Vergangenheit fünf Klagen der Partei gegen das Handeln des Verfassungsschutzes. Die Brandenburger Behörde beobachtet den Landesverband der AfD seit Juni 2020 als Verdachtsfall für Rechtsextremismus. Aus dieser Zeit stammt auch die aktuelle Klage.

Darf eine Behörde über einen Verdachtsfall öffentlich informieren?

Doch in der Verhandlung des Gerichts am Freitag sind die konkreten Einschätzungen der Verfassungsschützer über das Wirken der AfD gar kein Thema. Denn in diesem Verfahren geht es ganz formell nur um die Frage, ob die Behörde über einen Verdachtsfall öffentlich informieren darf. Elicker vor den sieben Verfassungsrichtern, unter ihnen die Schriftstellerin Juli Zeh und der Regisseur Andreas Dresen, argumentiert, das Wirken von Parteien sei grundgesetzlich geschützt. Die Regierung dürfe nicht in den politischen Wettbewerb eingreifen.

AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt dagegen kritisiert, der Verfassungsschutz Brandenburg sei ja keine unabhängige Behörde, sondern in Brandenburg eine Abteilung des Innenministeriums. Eine Regierungsbehörde trete als Schiedsrichter im politischen Prozess auf, empört sich Anwalt Elicker.

Veröffentlichung von Verdachtsfällen als Prävention

Die Verdachtsfall-Berichterstattung über konkurrierende Parteien ist für Berndt eine Stigmatisierung. "Das verschlechtert enorm die Chancen und praktischen Handlungsmöglichkeiten einer jeden Partei". Anwalt Roth verteidigt für die Landesregierung die Möglichkeit der Veröffentlichung von Verdachtsfällen. Wenn man erst über wirklich erwiesene Fälle berichten dürfe, sei es für Prävention zu spät.

Als Regisseur Andreas Dresen wissen will, ob es auch um Erziehung der Parteien gehe, wenn man den Verdacht veröffentliche, schränkt Roth ein. Das sei nicht das richtige Wort, es gehe nicht um gezielte Einflussnahme, aber: "Es ist schon die Hoffnung oder Erwartung, dass das zu einer Mäßigung führt. Man will eben nicht sozusagen tatenlos zusehen von staatlicher Seite, wie sich extremistische Parteien etablieren." Es gehe auch um eine aufgeklärte Wählerschaft in einer wehrhaften Demokratie.

AfD-Politiker: Berichterstattung schade der Partei

Für den AfD-Politiker Berndt ist das eine vormundschaftliche Haltung. Und er geht sogar so weit zu behaupten, dass der Verfassungsschutz für eine Radikalisierung von bestimmten Parteien sorge, wenn sich nach einer Einstufung als Verdachtsfall nur noch Staatsverdrossene dort versammeln.

Tatsächlich habe die Berichterstattung Folgen für seine Partei, erläutert Berndt den Richtern. Seine Abgeordneten könnten kaum Mietverträge für Büros abschließen, für die Mitarbeit in der Fraktion würden sich aus Angst nur wenige Bewerber melden. Dass das auch an den Positionen der Partei liegen könnte, die in der Breite der Gesellschaft nicht geteilt werden, kommt Berndt dabei nicht in den Sinn.

Kein Verdacht ohne tatsächliche Anhaltspunkte

Anwalt Roth lässt das Argument der Stigmatisierung nicht gelten. Der Verfassungsschutz dürfe einen Extremismus-Verdacht erst öffentlich machen, wenn dafür "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen, so stehe es im Gesetz. Es gehe also immer um Tatsachen, und die seien vor Gericht überprüfbar. Wenn es überhaupt so etwas wie einen "Schiedsrichter" gebe, dann sei das die Justiz.

Von einem "kalten Parteienverbot" durch den Verfassungsschutz spricht die AfD. Das sei unhaltbar, so der Vertreter der Landesregierung. Kein einziges Mandat gehe verloren, kein Vermögen werde eingezogen, das Versammlungsrecht bleibe, Wahlwerbung sei erlaubt, auch die staatliche Parteienfinanzierung gebe es weiter, selbst wenn eine Partei als Verdachtsfall gelte.

Gerichtsentscheidung am 20. Mai

Das Gericht macht es sich mit den Argumenten der AfD nicht leicht, die Argumente beider Seiten werden in ruhigem Ton abgefragt. AfD-Anwalt Elicker lobt die Schriftstellerin Juli Zeh, die im Gerichtssaal stets mit ihrem bürgerlichen Namen und Titel als "Dr. Finck" angesprochen wird. Sie habe den Sachstand zu Beginn der Verhandlung hervorragend zusammengefasst und die Positionen deutlich gemacht.

Gerichtspräsident Markus Möller stellt die Frage in den Raum, ob die Berichterstattung des Verfassungsschutzes ein gerechtfertigter Eingriff ist, der die Chancengleichheit der Parteien gewährleistet. Seine Antwort zu dieser Frage ließ er offen. Die Entscheidung des Gerichts wurde für den 20. Mai angekündigt.

Sendung: Antenne Brandenburg, 18.03.2022, 18 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

8 Kommentare

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  1. 8.

    @Jörg
    Also unter "Rechtsprechung" im engeren Sinne versteht man wohl die Gerichte. Die Verfassungsschutzbehörden sind keine Gerichte.
    Auch in Deutschland werden die Verfassungsrichter von Politikern gewählt:
    Link: www.bundestag.de/resource/blob/189672/b56ac462bac28ad61cf0d3fa011f77f4/die_wahl_von_richtern_des_bundesverfassungsgerichts-data.pdf

    @Mark
    Schon - nur lehne ich mich ohne selbst nachprüfbare Quellen meist nicht so weit aus dem Fenster.
    Aber in der Tat scheint es nach § 16 BVerfSchG bzw. § 5 BbgVerfSchG eindeutig zu sein.
    Link: www.gesetze-im-internet.de/bverfschg/__16.html
    Link: bravors.brandenburg.de/gesetze/bbgverfschg#5
    (Was meine Vermutung nur bestärkt #Cash in de Täsch)

  2. 7.

    Ein Verfassungsschutz hat die Aufgabe Bürger vor Verfassungsfeinden zu schützen und ist deshalb auch nicht neutral. Ein Verfassungsgericht ist kein Schiedsrichter sondern ein unabhängiges Organ der Rechtssprechung und nur den Gesetzen und der Verfassung unterworfen. Anders als in Polen wo Richter vom Staat ernannt werden.

  3. 6.

    "Die Frage ist wohl, ob die Handlung des Verfassungsschutzes - Veröffentlichung - im Rahmen der Rechtsgrundlagen ist. "

    Die Frage wurde eindeutig mit Ja beantwortet.

    "Der Verfassungsschutz dürfe einen Extremismus-Verdacht erst öffentlich machen, wenn dafür "hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen, so stehe es im Gesetz. Es gehe also immer um Tatsachen, und die seien vor Gericht überprüfbar."

  4. 5.

    Die Frage ist wohl, ob die Handlung des Verfassungsschutzes - Veröffentlichung - im Rahmen der Rechtsgrundlagen ist.
    Das wird wohl auf eine Frage der Verhältnismäßigkeit hinauslaufen - wo ich kein Problem sehe.
    Wurden die Einstufungen von anderen Parteien oder Organisationen denn sonst nicht auch veröffentlicht?
    (Andernfalls müssten ja die Rechtsgrundlagen verfassungswidrig sein - was aber wohl nicht zur Debatte steht.)

    Der Klagevertreter wirkt auf mich wie einer der üblichen "Absahner" und "Glücksritter" der "Wende-90er-Jahre".
    Meint die AfD etwa das mit "Wende 2.0"? Geld verdienen tun die alle ja wohl gut - nur bewirken tun sie nix.

  5. 4.

    Mal ein wenig Hintergrund über den AfD Anwalt: https://idas.noblogs.org/?p=2973

  6. 3.

    „Von Logik keine Spur, aber was will man auch erwarten von der AfD...“

    Das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung gehört ja nun auch generell nicht unbedingt zu deren Kernkompetenzen …

  7. 2.

    Wieder typisch AfD: Anstatt sich mit demokratiefeindlichen Bestrebungen in der eigenen Partei zu beschäftigen (die es ja anscheinend in nicht geringer Zahl gibt), wird sich darüber beschwert, dass die Öffentlichkeit das auch noch erfährt! Heißt das dann übersetzt: "Wir wollen nicht, dass die Öffentlichkeit über unsere demokratiefeindlichen Elemente informiert wird, weil das der Partei schade?" Den Trick merk ich mir. Nicht meine total verdrehten Ansichten sind schlecht für meinen Ruf, sondern das das auch noch bekannt gemacht wird. Von Logik keine Spur, aber was will man auch erwarten von der AfD...

  8. 1.

    Dass die AfD nun ausgerechnet die Veröffentlichung der Einschätzung der Verfassungsschutzes kritisiert, nicht aber etwa einsehen will, dass diese Einschätzung auf dem Verhalten ihrer eigenen Mitglieder beruht, ist wirklich ein bisschen witzig.

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