Umkämpfter Wohnungsmarkt - Der große Berliner (Eigen-) Bedarf
Der Wohnungsmarkt in Berlin ist angespannt, Kündigungen wegen Eigenbedarfs häufen sich. Zwar bietet das Gesetz Möglichkeiten, zu widersprechen. Allerdings nicht viele, moniert der Mieterverein. Das musste auch die Studentin Chiara erleben. Von Kira Pieper
Viele bunt bemalte Hauswände, dann ein Gebäude der landeseigenen Wohnungsgesellschaft Berlinovo und schließlich ragt ein kantiger, moderner Bau an der Adalabertstraße, Ecke Engeldamm in Kreuzberg empor. So neu, dass ihn Google Maps noch nicht kennt.
Davor steht die 26-jährige Studentin Chiara und blickt nach oben. Sie erinnert sich, wie sie 2017 das erste Mal mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester vor dem siebenstöckigen Neubau stand. Monatelang hatten die beiden jungen Frauen aus Luxemburg, die beide in Berlin studieren wollten, nach einer Wohnung gesucht. Nun sollte es endlich klappen.

Nach Dreieinhalb Jahren kam die Kündigung
"Die Wohnung war wie ein Sechser im Lotto", sagt Chiara. "Top Gegend, drei Zimmer, 90 Quadratmeter, Fußbodenheizung. Hier wollten wir unbedingt hin." Und die Wohnung war möbliert. "Das war auch super für uns, weil wir keine Erstanschaffung von Möbeln machen mussten." Alles für 1.100 Euro warm. Und das beste: Die jungen Frauen bekommen den Zuschlag und dürfen einziehen.
Dreieinhalb Jahre sind sie hier glücklich. Dann – im April 2021 – steht ein Mann vor der Tür. Er hat einen Zettel dabei, der gegengezeichnet werden muss. Es ist die Kündigung wegen Eigenbedarfs, nach rund vier Jahren. Die Eigentümer wollen wieder einziehen. Drei Monate haben die beiden Studentinnen nun Zeit eine neue Wohnung zu finden. "Es war ein Schock", erinnert sich Chiara. "Ich habe erst mal nur geheult. Mitten in der Corona-Pandemie musste ich schnell ein neues Zuhause finden und nebenbei noch meine Bachelorarbeit schreiben. Ich hatte Alpträume."
Mieterverein: Vor allem ältere Menschen betroffen
Diese Geschichte – so oder so ähnlich – hat Reiner Wild, Geschäftsführer beim Berliner Mieterverein, schon oft gehört. Offizielle Zahlen oder Statistiken zu Eigenbedarfskündigungen in Berlin gibt es zwar nicht, aber Wild hat den Eindruck, dass sie merklich steigen. Und er vermutet, dass es sich oft um sogenannte vorgeschobene Eigenbedarfskündigungen handelt. Das heißt: Der Vermieter möchte den aktuellen Mieter aus der Wohnung haben, um bei einer Neuvermietung einen deutlich höheren Mietpreis erzielen zu können. Berlin habe einen angespannten Wohnungsmarkt, das mache Eigenbedarfskündigungen auch für Vermieter extrem attraktiv, sagt Wild.
Diese Kündigungen würden meist vor allem ältere Leute treffen, die in der Regel schon seit Jahrzehnten in einer Mietwohnung leben. "Für diese Menschen ist das sehr schmerzhaft. Sie sind sehr in ihr Umfeld eingebunden, haben Ärzte und Bekannte vor Ort und sind meist auch weniger mobil. Eine vergleichbare Wohnung ausgerechnet im gleichen Stadtteil zu finden, das ist oft schier unmöglich", so der Geschäftsführer des Mietervereins.
Widerspruch ist nur schwer möglich
Doch das Gesetz bietet Möglichkeiten, gegen die Kündigung vorzugehen. "Man kann widersprechen", erläutert Wild. Das lohnt sich vor allem dann, wenn die Kündigung eine rechtliche Härte bedeuten würde. Da aber oft das Interesse des Eigentümers gegen das des Mieters steht, müsse die Entscheidung – ob Härtefall oder nicht – durch ein Gericht getroffen werden. Dann müssten gutachtliche Stellungnahmen von Ärzten beweisen, dass der Umzug für den Mieter aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre. Wenn nicht, könne es durchaus sein, dass der Mieter bleiben darf. Handele es sich aber um einen rüstigen alten Menschen ohne gravierende gesundheitliche Probleme, könne es durchaus sein, dass er ausziehen müsse, so der Mietexperte.
Auch wenn der Mieter das Gefühl hat, der angemeldete Eigenbedarf sei vorgeschoben, kann es sich lohnen dagegen vorzugehen. Das Problem: Der Mieter müsse das beweisen und diese "Detektivarbeit" sei nicht einfach zu leisten, meint Wild. Viele seien davon überfordert und setzen sich nicht zur Wehr, sondern ziehen lieber aus. "Es kommt also nicht so oft vor, dass gegen vorgeschobene Eigenbedarfskündigungen vorgegangen wird. Da fordern wir den Gesetzgeber auch auf, nachzujustieren."
Eigenbedarf kann weit gefasst werden
Ein weiteres Problem laut Mieterverein: Der Eigenbedarf wird sehr weit gefasst. Es könne sogar die Kündigung für Angehörige dritten Grades ausgesprochen werden, also für Schwager und Schwägerin, Neffen und Nichten. "Wir würden uns wünschen, dass das auf Familienangehörige ersten Grades reduziert wird. Und wir fordern, dass die Sozial-Charta verbessert wird, so dass Menschen mit hohem Alter gar nicht mehr rausgeschmissen werden können."
Die Änderungen könnten wenn dann allerdings nur vom Bund vorgenommen werden. Das Land Berlin sei dafür nicht zuständig, erklärt Wild. Aber dass der Bund das BGB hinsichtlich des Eigenbedarfs zu Gunsten der Mieter:innen ändert, glaubt der Mietexperte nicht: "Das wird mit einer FDP in der Bundesregierung sicherlich sehr schwer."
Eigentümerverband findet Gesetz gerecht
Der Eigentümerverband Haus & Grund hält eine Änderung der Eigenbedarfskündigung für nicht geboten. Die aktuelle Regelung biete ein Höchstmaß an Gerechtigkeit, teilt der Verband auf Anfrage von rbb|24 mit. "Jede Eigenbedarfskündigung erfordert eine Einzelfallbetrachtung, in der die individuellen Interessen des Mieters und des Vermieters abgewogen werden", heißt es in der schriftlichen Stellungnahme. Pauschale Lösungsversuche würden dem zuwiderlaufen. Und: Für Mieter, die einen Härtefall geltend machen können, würden überdies doppelten Schutz genießen: hinsichtlich der Kündigung als auch der Räumung.
Auch Chiara und ihre Schwester fragten sich vergangenes Jahr, ob ihre Kündigung rechtens ist. Sie ließen das Papier von einem Fachanwalt prüfen. Dieser konnte aber keinen Verstoß feststellen. Da sie unter fünf Jahren in der Wohnung lebten, war die Kündigungsfrist von drei Monaten legitim. Auch einen Härtefall konnten sie nicht geltend machen. Also mussten sie eine neue bezahlbare Mietwohnung suchen. "Und das war deutlich schwerer als 2017", sagt die Studentin.
Mangelhafte Wohnung, 23 Kilometer entfernt
Ihre Schwester zog schließlich nach Friedrichshagen zu ihrem Freund und Chiara fand eine Wohnung im 23 Kilometer entfernten Hermsdorf. "Das ist eine schöne Gegend und sehr grün. Ich bin froh überhaupt irgendetwas gefunden zu haben. Ich hätte sonst mein Studium abbrechen müssen und zu meinen Eltern nach Luxemburg zurückgemusst", sagt sie. Aber die pulsierende Stadt ist von Hermsdorf gefühlt sehr weit weg: "Und ich gehe gerne auch mal weg oder Feiern". Ihre neue Wohnung sei zwar genauso groß und genauso teuer, wie die alte. Allerdings: "Sie ist eine Baustelle. Die Fenster sind undicht und es regnet rein."
Die Erfahrung, die sie aufgrund der Kündigung wegen Eigenbedarfs gemacht hat, wünscht sie keinem, sagt Chaira heute. "Das war wirklich schlimm", sagt sie. Sie erzählt noch, dass sie vor dem Treffen vor ihrem alten Zuhause in der Adalbertstraße auf ihr altes Klingelschild geblickt hat. "Ich wollte wissen, ob da der Name der Eigentümer-Familie steht", sagt sie. Und? "Er steht tatsächlich dran", sagt sie. Wenigstens war es also keine vorgeschobene Eigenbedarfskündigung.
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