Interview | Nachlassende Spendenbereitschaft - "Im Monat fehlen uns 20.000 Euro allein für Lebensmittel"

Di 05.04.22 | 10:44 Uhr
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Symbolbild: Von der Arche werden Bücher und Lebensmittel verteilt. (Quelle: dpa/M. Schreiber)
Bild: dpa/M. Schreiber

Viele Lebensmittel sind teurer geworden, das merken auch die Hilfsorganisationen in Berlin. Hinzu kommt: Die Spendenbereitschaft nimmt ab und die Zahl der Bedürftigen ist gestiegen. "Arche"-Vorstand Bernd Siggelkow bleibt nur der Appell: Spenden!

rbb|24: Herr Siggelkow, wie erleben Sie bei der "Arche" die aktuelle Situation?

Bernd Siggelkow: Wir kämpfen mit dem großen Problem, dass die Spendenbereitschaft seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine massiv zurückgegangen ist. Es fehlt vor allem finanzielle Hilfe, aber auch Sachspenden und Lebensmittel. Viele große Organisationen rufen derzeit zum Helfen auf, aber es sind die kleinen Hilfsstellen wie unsere, zu denen die Menschen weiterhin kommen. Und da jetzt nicht nur die bedürftigen Berlinerinnen und Berliner, sondern auch die Menschen aus der Ukraine zu uns kommen, spüren wir gerade eine Doppelbelastung.

Zur Person

Bernd Siggelkow ist Pastor und Gründer von "Die Arche - Christliches Kinder- und Jugendwerk". Der Verein setzt sich gegen Kinderarmut in Deutschland ein.

Wie viele Spenden fehlen der "Arche" monatlich?

Wir haben früher vor allem von privaten Spendern gelebt, die uns ihre haltbaren Lebensmittel gebracht haben. Das reicht heute bei Weitem nicht mehr aus. In Berlin haben wir einen Bedarf von 5.000 Euro für Essen pro Woche. Im Monat fehlen uns also 20.000 Euro allein für Lebensmittel. Das klingt erstmal nach viel Geld, aber wenn man es auf das einzelne Kind runterbricht, bleibt nicht mehr so viel. Allein in Marzahn-Hellersdorf haben wir 1.200 Kinder, die wir über unsere Einrichtung betreuen und jetzt kommen pro Tag 200 Menschen aus geflüchteten Familien dazu. Während Corona hatten wir einen Bedarf von 1.000 Euro pro Woche, aber da haben wir den Menschen das Essen auch an die Tür gebracht. Jetzt sind es viel mehr Menschen und die Kosten sind erheblich.

Wie beeinflusst diese Situation gerade die tägliche Arbeit Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Ich war so erleichtert, dass wir mit Corona die eine Krise überstanden hatten. Jetzt sind wir mitten in der nächsten. Schon während der Pandemie mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre eigenen Kapazitäten arbeiten. Jetzt sind die Geflüchteten da, und es sind wirklich sehr viele. Das heißt: Wir alle müssen wieder sehr viel mehr tun, um den Menschen helfen zu können. Wir machen uns jeden Tag Gedanken: Wie können wir den vielen geflüchteten Menschen gerecht werden? Es ist schon belastend.

Was glauben Sie, welche Auswirkungen werden die fehlenden Spenden in Zukunft haben?

Wenn es uns nicht gelingt, wieder genügend Spenden einzusammeln, dann wird es nicht nur uns, sondern vielen Hilfsorganisationen sehr schlecht gehen. Und es wird dazu führen, dass wir unsere Arbeit einschränken müssen. Das ist natürlich das Letzte, was wir wollen. Viele Menschen haben in den vergangenen Wochen sehr viel Geld ausgegeben, um in der Ukraine zu helfen. Da ist klar, dass die Spendenbereitschaft zurückgeht. Aber der Krieg wird nicht morgen vorbei sein, und wenn er dann endlich vorbei ist, brauchen die Menschen weiterhin unsere Hilfe, um ihre Häuser und Städte wiederaufzubauen. Viele werden auch hierbleiben und dann werden wir sie, so gut es geht, unterstützen.

Ich bitte die Politik, dass sie die Ehrenamtlichen und Hilfsorganisationen jetzt nicht im Stich lassen dürfen. Sie leisten das, was die Menschen eigentlich an Unterstützung vom Staat bräuchten.

Was fordern Sie?

Zum einen bitte ich die Politik, dass sie die Ehrenamtlichen und Hilfsorganisationen jetzt nicht im Stich lassen dürfen. Sie leisten das, was die Menschen eigentlich an Unterstützung vom Staat bräuchten. Und zum anderen wünsche ich mir, dass die Spendenbereitschaft der Berlinerinnen und Berliner auch für die Arche wieder zu nimmt. Kinderarmut war in Berlin schon vor Corona und vor dem Krieg ein Problem. Jetzt kommen Menschen, die in ihrer Heimat alles verloren haben, noch hinzu. Und für sie reicht es oft nicht, nur etwas zu essen zu haben. Es bräuchte noch mehr Einrichtungen, die den geflüchteten Menschen eine Tagesstruktur geben, sie moralisch unterstützen und ihnen helfen, ihr Trauma zu überwinden.

Wie können spendenbereite Menschen die Arche aktuell unterstützen?

Was wir am dringendsten brauchen, sind haltbare Lebensmittel. Vieles ist einfach zu teuer geworden, als dass sich das unsere Besucher leisten könnten. Wir brauchen außerdem Unterwäsche für Kinder, Hygieneartikel und Spielzeug. Und wir brauchen natürlich auch finanzielle Hilfe, damit wir überhaupt über die Runden kommen. Und: Wir freuen uns auch immer über ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Vanessa Materla.

70 Kommentare

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  1. 70.

    Nennt man es dann noch "Spende", wenn man einen Gegenwert bekommen MUSS?
    Komische Welt ;-(

  2. 69.

    Das ist nicht unbedingt gesagt. Jedenfalls muss der Spender auch eine Form Gegenwert (Steuer ect) dafür bekommen.

    Wenn man sich Spendern gegenüber so zickig verhält, braucht man sich nicht zu wundern.

    Durch meinen Job bekomme ich live mit, dass die Arche und die Tafel Spender nicht gut behandeln.

  3. 68.

    Bevor sich bei Privatleuten Spende steuerlich lohnen, muss aber ne ganze Menge gespendet werden!

  4. 67.

    Dafür können die Händler die Ware steuerlich absetzen, als "Bruch" oder verdorben. Bekämen sie noch eine Spendenquittung, würden sie doppelt kassieren.

  5. 66.

    An den hier geschilderten Miseren kann man ja als Privatier kaum etwas ändern, außer von Pontius nach Pilates zu laufen, um dich noch einen dankbaren Abnehmer zu finden und dazu hat man bei einem Todesfall i. d. R. weder Zeit noch Kopf. Nicht schön, solche Seitenhiebe....

  6. 65.

    "Gaskosten werden bei ALG II übernommen, bitte keine Fake-News." Sie verbreiten Fake News wie sie einen Kommentar später sogar beweisen.

    "Sie werden gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen vom Jobcenter übernommen, sofern die Kosten angemessen sind.“

    SOFERN die Kosten angemessen sind. Was glauben sie warum unsere Sozialgerichte völlig überlastet sind?

  7. 64.

    Wie immer unterlassen sie es die "dreisten Forderungen und sogar unverschämten Lügen" zu widerlegen. Weil sie es nicht können. Stattdessen verbreiten sie hier dreiste Forderungen und sogar unverschämten Lügen.

    Man sollte nicht mit Steinen werfen wenn man im Glashaus sitzt.

    Noch bezeichnender ist wenn sie "Undankbarkeit" unterstellen, wenn man selbstverständliche Rechte einfordert. Das BVerfG hat schon 2010 festgestellt, dass die Hartz IV Sätze verfassungswidrig sind. daran hat sich bis heute nichts geändert.

    Transferleistungsbezieher müssen also nicht "dankbar" sein, wie sie mit ihrer Gutsherrenmentalität behaupten. Sie haben Rechte!

  8. 63.

    Man kann die Undankbarkeit bestimmter Kommentare hier, die dreisten Forderungen und sogar unverschämten Lügen, wer wem finanziert usw. als Beispiel dafür heranziehen, warum die Spendenbereitschaft sinkt. Die Haltung muss sich ändern... gegenüber denjenigen die geben.... Welcher Sparer lässt sich gerne "abzocken" und sich bestrafen, weil er wirtschaften kann? Wer das Leistungsprinzip aushöhlen will, mehr als 50% des Einkommens wegnehmen will, brauch sich nicht wundern, wenn jegliche Bereitschaft zur Leistung verschwindet, ganz zu schweigen von der Lebensfreude.

    P.S. Oder sind die unverschämten Forderer sogar darauf aus, die Spendenbereitschaft zu torpedieren?

  9. 62.

    Lesen und Verstehen sind 2 verschiedene Sachen. Deshalb "Wissen" Sie auch so viel "besser".

  10. 61.

    Um es künftig besser zu wissen, Kochgas und Haushaltsstrom muß vom normalen Satz bezahlt werden. Es gibt lediglich einen Zuschlag von ca. 2% (Einzelperson 9€), wenn das Warmwasser nicht in den Betriebskosten enthalten ist.

  11. 60.

    Vielleicht sollten Sie prüfen, ob Sie nicht Anspruch auf ergänzende Leistungen haben.

    Aber fest steht, dass Tafel ect den Staat nur von der Verpflichtung entbinden, die Regelsätze endlich zu erhöhen. Kritikern dieser Maßnahme sollte bewusst sein, dass alle Wohlfahrtsorganisationen, Gewerkschaften sowie das Bundesverfassungsgericht die Regelsätze für zu niedrig und auf keiner wissenschaftlichen Basis ermitteln halten.

    Kritiker sollten sich die Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts anschauen. Prof. Dr. Papier hat es auf den Punkt gebracht.

  12. 59.

    sorry, hier geht es um Gas zum Essen zubereiten, nicht um die Heizung. Das sind zwei völlig anderes Paar Schuhe

  13. 58.

    Wenn Sie sich über "Relative Armut"
    unterhalten, haben die Spenden-
    Empfänger also
    noch Eigentum, sind also
    noch reich, dürfen also
    keine Spenden annehmen.

  14. 57.

    Wenn der irre Sadist erfährt, dass er in
    Berlin "Irrer Sadist" genannt wird,
    werden wir in Berlin sicher bald Spenden
    brauchen.

  15. 56.

    Tut mir leid, für Sie.
    Das Bundesverfassungsgericht,
    das Deutsche, das Unserige,
    sieht die Situation etwas Anders.

  16. 55.

    Oder auf jeder Lohnbescheinigung !
    Nennt sich Einkommensteuer.
    Warum "muss" die Arche ?
    Schmeckt es woanders nicht ?
    Will Mensch nicht registriert werden ?
    Wer fährt die Leute dort hin ?
    Die Bundeswehr, das DRK, die
    Senatorinnen und Senatoren mit ihren
    Dienstwagen ?
    Hilfe ist angebracht. - Helfer ausnutzen,
    auch aus politischer Bequemlichkeit, nicht.
    Nach 32 Jahren Gemeinsamkeit hat
    Groß-Berlin immernoch
    kein Geld für Seine Kinder.
    Welch Große Politische Leistung !

  17. 54.

    Dann hatte ihr ehemaliger Arbeitgeber Glück.

    Das der Regelsatz zu niedrig ist, steht fest. Es kann nicht sein, dass der Staat sich auf Tafeln verlässt, anstatt die Regelsätze zu erhöhen.

    Stattdessen wirft man armen Menschen im Juli 100 Eur vor die Füße und denkt, dass würde reichen. Tut es eben nicht.

    Wenn alle Stricke reißen muss die Einkommensteuer erhöht werden. Aber an diese heilige Kuh wagt sich kein Politiker ran

  18. 53.

    Leider ist es nun mal Fakt, dass der Regelsatz um etwa 230 Eur zu niedrig ist.

    Schauen Sie sich das Urteil des BVerfG zur Höhe der Regelsätze an. Dort wurde festgestellt, dass das Existenzminimum extrem unterschritten wurde.

    Vor allem muss die gleichmachung zwischen ALG II und Grundsicherungsempfängern nach SGB XII wieder aufgehoben werden.

    Die Agenda 2010 von Herrn Schröder ist gescheitert

  19. 52.

    In Frankreich kann ein Händler, der Lebensmittel spendet, den Gegenwert sterblich absetzen. In Deutschland nicht.

    Wer für ein armes Kind in Afrika spendet, bekommt eine Spendenquittung. Wer als Händler hier spendet, bekommt keine?

    Ist das gerecht? Mich ärgert es sehr, dass man mit seinem Eigentum nicht mehr machen kann, was man will

  20. 51.

    Es gibt nur die tatsächliche Armut in Deutschland.

    Die Lage der Ukrainer spielt zur Feststellung, dass die Regelsätze viel zu niedrig sind, keine Rolle

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