Expert:innenkommission startet - Wohnungskonzerne enteignen - Ausweg oder Sackgasse?

Sieben Monate nach dem erfolgreichen Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" berät erstmals eine Kommission, wie Wohnungsbestände vergesellschaftet werden könnten. Das Gremium ist so hochkarätig besetzt wie umstritten. Von Thorsten Gabriel
Der alte BVV-Saal des ehemaligen Rathauses Wilmersdorf ist an diesem Freitag Schauplatz einer denkwürdigen ersten Begegnung. Ein illustrer Kreis an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kommt hier zusammen, um darüber zu beraten - und wahrscheinlich auch zu streiten -, ob und wie sich große Wohnungskonzerne enteignen lassen.
Ihr konkreter Auftrag lautet in politisch fein austariertem Amtsdeutsch: "Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksentscheids 'Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen'". Zunächst wird es dabei um die Frage gehen, unter welchen Umständen Vergesellschaftungen verfassungsrechtlich überhaupt machbar wären. Anschließend soll auch bewertet werden, welche Folgen ein solcher Schritt hätte, sowohl wohnungswirtschaftlich als auch gesellschaftsrechtlich und finanziell.
Kommission arbeitet autonom
Fürs erste ist es allerdings kaum mehr als ein Kennenlernen, sofern man sich nicht schon bestens vertraut ist. Unter der Leitung der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) muss sich das Gremium nämlich zunächst eine Geschäftsordnung geben, also auf Arbeitsprinzipien verständigen. Breaking News sind nach dieser Auftaktsitzung nicht zu erwarten.
Die Politik ist in der Runde außen vor. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) wird nur für eine kurze Begrüßung vorbeischauen. Ansonsten arbeitet die Expert:innenkommission autonom und entscheidet selbst, wen sie sich wann gegebenenfalls als Gast hinzuzieht. Auch, wie sie selbst über ihre Arbeit hinter verschlossenen Türen informieren wird, muss sie noch festlegen.
Mehr als eine Million Stimmen nicht links liegen lassen
Die Kommission ist der Versuch der rot-grün-roten Landesregierung, einer wohnungspolitischen Zwickmühle zu entkommen, in die die Landespolitik am Wahltag im vergangenen September geraten war. Parallel zur Abgeordnetenhaus- und Bundestagswahl stimmten die Berlinerinnen und Berliner über den Volksentscheid "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" ab. 59,1 Prozent votierten dabei für den Antrag der Initiative. Der Senat ist seitdem aufgefordert, ein Gesetz zu erarbeiten, um die Wohnungsbestände großer Konzerne zu vergesellschaften.
Rechtlich gebunden ist die Landesregierung nicht an den Volksentscheid. Das kommt mindestens der SPD gelegen, die von der Enteignungsidee nichts hält. Auch das Spitzenpersonal der mitregierenden Grünen machte nie einen Hehl daraus, dass es den Volksentscheid mehr aus strategischen Gründen mit Sympathie bedachte. Mehrfach hatte die damalige grüne Spitzenkandidatin und jetzige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch erklärt, dass sie den Druck des Volksentscheids eher als Hebel sieht, um insgesamt die Mieten- und Wohnungspolitik anders anzugehen. Einzig die Linke als dritte Koalitionspartnerin gehört zu den glühenden Verfechterinnen des Enteignungsgedankens.
Sie hat zwar machtstrategisch in dem Dreierbündnis mit SPD und Grünen nicht mehr allzu viel zu melden, trotzdem bleibt das Thema für die Koalition auf der Tagesordnung. Die Stimmen von mehr als einer Million Berlinerinnen und Berlinern kann man eben nicht einfach hochnäsig links liegen lassen. Deshalb verständigten sich die drei Koalitionspartnerinnen darauf, eine Expert:innenkommission ein Jahr lang tagen zu lassen. Sie soll dem Senat Empfehlungen geben, wie man am besten mit dem Thema umgeht.
Vor allem von SPD entsandte Fachleute umstritten
Das Gremium, das der Senat nun eingesetzt hat, ist so hochkarätig besetzt wie umstritten. Vor allem die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" kritisierte noch vor dem offiziellen Senatsbeschluss lautstark, dass die SPD ausschließlich dezidierte Enteignungskritiker in die Kommission schickt. Deshalb ließen die Aktivistinnen und Aktivisten zunächst offen, ob auch sie Fachleute in die Runde entsenden oder nicht. Am Ende entschieden sie sich dafür, es als Chance zu sehen.
In der Tat hat sich die SPD mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger sowie den Rechtsprofessoren Wolfgang Durner (Universität Bonn) und Christian Waldhoff (Humboldt-Universität Berlin) für drei Wissenschaftler entschieden, denen nachgesagt wird, dass sie Enteignungen weder für juristisch machbar, noch für sinnvoll halten. Waldhoff hatte während der Volksbegehrensphase sogar ein Gutachten dazu verfasst. Seine Haltung ist klar: Die Landesverfassung stünde Vergesellschaftungen, wie sie der Volksentscheid fordert, entgegen.
Großes Interesse, Thema zeitlich zu strecken
Bei Grünen und und Linken, die sich bei ihren Benennungen abgesprochen haben, sieht es anders aus. Sie entsenden unter anderem den Rechtsprofessor Florian Rödl von der Freien Universität in die Kommission. Er hatte den Vorgängersenat beim Streit um den Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Außerdem holten die beiden Parteien Thorsten Beckers von der Bauhaus-Universität in Weimar ins Boot, der dort einen Lehrstuhl für Infrastrukturwirtschaft und -management hat. Er hatte sich unter anderem bereits mit der Frage beschäftigt, wie Wohnungskonzerne gegebenenfalls auch unter Verkehrswert für die Vergesellschaftung ihrer Wohnungen entschädigt werden könnten.
Die Befürchtung der Initiative, dass die Kommission vor allem ein Mittel sein könnte, Enteignungen zu verhindern, lässt sich also zumindest mit Blick auf die SPD nicht ganz von der Hand weisen. In der Koalition ist es auf jeden Fall auch der Versuch, das Thema so weit zu strecken, dass sich die derzeitige Koalition vielleicht nicht mehr final dabei verkämpfen muss. Selbst der Linken käme das nicht ungelegen. Schon jetzt ist zu hören, dass die Kommission womöglich nicht nur ein Jahr bis zum nächsten Frühjahr, sondern anderthalb bis zum Herbst 2023 tagen könnte. Sollte die Kommission jedenfalls am Ende zu Schlüssen kommen, die den Senat dazu bringen, auf einen Gesetzentwurf zu verzichten, müsste die Linke sich entscheiden, ob sie die Koalition konsequenterweise verlässt. Und darauf hat, zumindest in den führenden Linken-Kreisen, niemand allzu sehr Lust.
Weitere Schlappe vor Gericht will Koalition vermeiden
In jedem Falle betonen alle Koalitionspartnerinnen, dass es wichtig sei, einen möglichst wasserdichten Gesetzentwurf hinzukriegen. Nach dem gescheiterten Mietendeckel wollen sie eine weitere Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht vermeiden. Doch genau das wird einem auch die hochkarätigste Fachkommission nicht rechtsverbindlich bescheinigen können. Deshalb denken manche in der Koalition schon jetzt über ein Szenario nach, wie man aus dieser Falle herauskommen könnte.
Als unwahrscheinlich gilt, dass die Kommission zu einer glasklaren Empfehlung kommt, wie man Konzerne rechtssicher enteignen kann. Dass der Senat jedenfalls am Ende wirklich einen Gesetzentwurf erarbeitet, ist angesichts des rechtlichen Risikos nicht abzusehen. Das aber könnte auch ein Signal an die Initiative sein, mit den in der Kommission neu gewonnenen Erkenntnissen ein neues Volksbegehren zu starten. Diesmal wäre es dann eines mit konkretem Gesetzentwurf. Die erste Hürde von 20.000 Unterschriften dürften dabei leicht zu nehmen sein.
Im nächsten Schritt könnte der Senat dann den von der Initiative eingereichten Gesetzesentwurf aufgrund seiner rechtlichen Zweifel dem Berliner Verfassungsgerichtshof zur Prüfung vorlegen. Bis der irgendwann darüber entscheidet, wäre die Wahlperiode zu Ende und die Karten würden neu gemischt.
Sendung: rbb24 Abendschau, 29.04.2022, 19:30 Uhr