Bürgerbeteiligung in Berliner Bezirken - "Hups, da fehlen 97.000 Euro"

Do 21.04.22 | 06:09 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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Ein abgesperrter Spielplatz (Quelle: dpa/Christoph Hardt)
Audio: rbb24 Inforadio | 21.04.2022 | Tobias Schmutzler | Bild: dpa/Christoph Hardt

Damit Menschen in ihren Kiezen besser mitreden können, sollen die Berliner Bezirke Anlaufstellen für Bürgerbeteiligung einrichten. Doch im Haushaltsentwurf des Senats ist deutlich weniger Geld dafür vorgesehen als ursprünglich zugesagt. Von Thorsten Gabriel

Haushaltsentwürfe des Berliner Senats können Überraschungen bergen – manchmal auch böse. Bezirkspolitikerinnen und -politiker sind das durchaus gewohnt. Nicht immer fühlen sie sich von der Landesebene mit ihren finanziellen Bedürfnissen ernst genommen. Als es jetzt um die Finanzierung von Bürgerbeteiligung ging, waren Erstaunen und Ärger in den Bezirken allerdings besonders groß. Denn hier gab es zuvor klare Zusagen der Koalition.

Nur durch einen zufälligen Blick in den Haushaltsentwurf, den der Senat im März beschlossen hatte, hätte man in der Verwaltung in Neukölln festgestellt: "Hups, da fehlen 97.000 Euro zu den eigentlich veranschlagten 250.000", erzählt Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). Das sei "nicht die feine englische Art" gewesen, kommentiert er mit höflicher Zurückhaltung das Kommunikationsverhalten der Landesregierung. Denn Kommunikation dazu gab es schlichtweg nicht.

Zwar weist der Haushaltsplanentwurf bei der bezirklichen Bürgerbeteiligung für dieses und das nächste Jahr sogar ein leichtes Plus gegenüber den Vorjahren 2020 und 2021 aus – neuerdings 153.000 Euro statt wie zuvor 150.000 Euro pro Bezirk. Doch eigentlich hatten SPD, Grüne und Linke noch in der alten Wahlperiode zugesagt, die Mittel auf 250.000 Euro aufzustocken.

Fast 100.000 Euro weniger pro Bezirk

Konkret sollen mit dem Geld Anlaufstellen in den Bezirken geschaffen werden: kleine Ladenlokale, in denen Mitmachkonzepte für Projekte unterschiedlichster Art entstehen. Dabei kann es um die Brachfläche an der nächsten Ecke, den Neubau eines Spielplatzes oder auch den Umbau einer Straßenkreuzung gehen. Möglichst viele Menschen in der Nachbarschaft sollen zum Mitreden und Mitmachen motiviert werden, das ist das Grundanliegen. Motto: Es ist eure Stadt, euer Kiez.

Dahinter steht auch die Überzeugung, dass gut gemachte Bürgerbeteiligung Projekte nicht verzögert, sondern dafür sorgt, dass sie schlussendlich reibungsloser laufen – mit Betonung auf "gut gemacht". Doch das kostet eben Geld.

Als der Senat noch im Juni vergangenen Jahres einen ersten Entwurf für den Haushalt vorlegte, war die höhere Summe von 250.000 Euro pro Jahr dort auch tatsächlich eingeplant. Nur wurde dieser Haushaltsentwurf vor der Abgeordnetenhauswahl nicht mehr vom Parlament beschlossen – und verschwand damit in der Versenkung. Nun sind fast 100.000 Euro weniger pro Bezirk veranschlagt.

Beschwerdebrief aller zwölf Bezirke an den Senat

Bürgerbeteiligung fällt damit zwar nicht komplett ins Wasser, immerhin ist sie in vielen Fällen gesetzlich vorgeschrieben. Bezirksbürgermeister Hikel sieht allerdings das Problem, dass sich dann "nur noch die beteiligen, die sich sowieso immer beteiligen". "Regelverfahren", wie Hikel sie nennt, hätten meist höhere Barrieren, auch bürokratische, die Leute davon abhielten mitzureden. Das Entscheidende aber sei, mehr Leute "mitzunehmen". Dafür müsse es kreative Ideen und Angebote geben, dafür seien die Mitmachläden gedacht. De facto bedeuteten 100.000 Euro weniger, dass am Personal gespart werden und auf "schöne Beteiligungsformate" damit verzichtet werden müsse.

Die Hälfte der Bezirke hat bereits solche Anlaufstellen eingerichtet und sieht nun Probleme, diese Beteiligungszentren sinnvoll zu betreiben. Die andere Hälfte fragt sich, ob sie jetzt umplanen muss, angesichts der gestrichenen Mittel. Das geht auch aus einem Schreiben hervor, das Beteiligungsbeauftragte aus allen zwölf Bezirken gemeinsam an den Senat gerichtet haben. "Mit der Mittelkürzung von jährlich 250.000 Euro auf 153.000 Euro sind direkte qualitative und quantitative Einschränkungen auf die Bürger:innenbeteiligung in den Bezirken zu erwarten", heißt es in dem Brief, der dem rbb vorliegt. Die Aufgaben der Anlaufstellen könnten auf der vorgesehenen finanziellen Basis nicht mehr erfüllt werden.

"Man gibt Geld für Dinge aus, die einem wichtig sind"

Auch in den Koalitionsfraktionen auf Landesebene zeigen sich Fachpolitikerinnen irritiert von der geplanten Mittelkürzung. Die Grünen-Abgeordnete Susanna Kahlefeld glaubt dabei nicht an ein Versehen oder einen Zufall. "Wir hatten halt einen Ressortwechsel, es ist jetzt jemand anderes zuständig", sagt sie. Der Stadtentwicklungsbereich war nach fünf Jahren in linker Verantwortung im Dezember zurück an die SPD gegangen. "Offensichtlich wird die Wertigkeit jetzt anders gesehen. Man gibt Geld aus für Dinge, die einem wichtig sind, und streicht Geld dort, wo man etwas nicht so wichtig findet", formuliert sie spitz in Richtung des Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD).

Geisel hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm ausgedehnte Beteiligungsverfahren, wie es sie zuweilen bei manchen Wohnungsbauprojekten gibt, ein Gräuel sind, wenn sich dadurch Bauvorhaben für Monate oder gar Jahre verzögern. Es passt auch nicht zum "Bauen, bauen, bauen"-Image, das der Senator gemeinsam mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (auch SPD) demonstrativ pflegt.

Die Stadtentwicklungsverwaltung weist die Kritik zurück

Doch in diesem Falle sind es nicht nur linke und grüne Stimmen, die gegen die Mittelkürzung bei der Bürgerbeteiligung protestieren – wie das Beispiel Neukölln mit SPD-Bürgermeister Martin Hikel zeigt. Auch die baupolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus, Melanie Kühnemann-Grunow, hält die Kritik der Bezirke für berechtigt. "Bürgerbeteiligung ist uns als Koalition extrem wichtig. Der Senat hat Leitlinien für Bürgerbeteiligung beschlossen. Wenn wir also Bürgerbeteiligung fordern, müssen wir die Bezirke auch in die Situation versetzen, diese durchführen zu können."

Der Stadtentwicklungssenator will sich selbst nicht dazu äußern. Über seine Sprecherin lässt er lediglich schriftlich mitteilen, dass sich die Koalition geeinigt habe, bei der Fortschreibung des Haushaltsplans zu schauen, wieviel Geld tatsächlich im Vorjahr ausgegeben wurde. Das war allerdings nicht viel, coronabedingt, wie die Stadtentwicklungsverwaltung einräumt. Trotzdem habe man gegenüber dem vorherigen Haushalt etwas mehr Geld eingeplant. "Generelle Forderungen nach aufgestockten finanziellen Mitteln stoßen" jedoch durch coronabedingte Sparmaßnahmen "an ihre Grenzen", heißt es abschließend von der Stadtentwicklungsverwaltung.

"Die Koalition wird einen Änderungsantrag stellen"

Das letzte Wort hat beim Geld allerdings nicht der Senat, sondern das Abgeordnetenhaus. Bis zum Sommer will es den Haushaltsplan für dieses und das nächste Jahr beschließen. Beim Thema Bürgerbeteiligung sieht es so aus, als könnten die Bezirke doch noch mit ihren ursprünglich angepeilten 250.000 Euro rechnen. "Ich bin da sehr optimistisch, dass wir es wieder raufgesetzt bekommen", sagt die Grüne Susanna Kahlefeld. Die SPD-Abgeordnete Melanie Kühnemann-Grunow konkretisiert, es habe bereits erste Beratungen dazu gegeben. "Die Koalition wird einen Änderungsantrag stellen, der die Summe von 250.000 Euro pro Bezirk wieder einstellt."

Also Ende gut, alles gut, was die Bürgerbeteiligung in den Bezirken angeht? Danach sieht es aus – wenn auch die jetzige Situation zu erheblicher Verunsicherung in den Bezirken geführt hat: Können noch Stellen finanziert werden oder nicht? Können avisierte Ladenlokale angemietet werden oder ist das zu teuer? Fast könnte man es, angesichts der vergleichsweise geringen Summen, als Posse bezeichnen. Doch vor allem wirft es ein Schlaglicht darauf, wie es um die Kommunikation innerhalb der Koalition bestellt ist. Der Bereich Stadtentwicklung gehört zu den großen Reizthemen. Die Linke musste sich in der vergangenen Wahlperiode oft Kritik von der SPD anhören, wenn es um den Wohnungsbau ging. Jetzt will die SPD zeigen, dass sie besser liefern kann. Der kleine Zwist um die Bürgerbeteiligung ist da wohl eher ein Vorgeschmack auf Konflikte, die noch kommen könnten.

Sendung: rbb24 Abendschau, 21.04.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel

18 Kommentare

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  1. 18.

    Bürgerbeteiligung? Es gab doch Pop Up .. Geld ist weg.

  2. 17.

    „ In Wirklichkeit bedeutet Gemeinwohl vor allem "mein Wohl", Solidarität ist der Code für "mein Wohl sollen andere bezahlen", sozialer Zusammenhalt buchstabiert sich in Berlin "wenn mein Wohl nicht von anderen bezahlt wird, dann drohe ich mit Gewalt".“
    Meinen Sie die, die immer Straßen und Gebäude beschmieren, sich auf dem Asphalt festkleben und illegal in Gebäude eindringen?

  3. 16.

    „ In Wirklichkeit bedeutet Gemeinwohl vor allem "mein Wohl", Solidarität ist der Code für "mein Wohl sollen andere bezahlen", sozialer Zusammenhalt buchstabiert sich in Berlin "wenn mein Wohl nicht von anderen bezahlt wird, dann drohe ich mit Gewalt".“
    Meinen Sie die, die immer Straßen und Gebäude beschmieren, sich auf dem Asphalt festkleben und illegal in Gebäude eindringen?

  4. 15.

    Bei Ihrem Kommentar drängt sich mir der Spruch auf:
    Niveau ist keine Creme und Stil nicht das Ende des Besens!

  5. 14.

    Heißt das nicht „Ups“?

  6. 13.

    Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Lieber, und das sind wir schon von der Vorgängerregierung gewöhnt, setzt die RotGrünDunkelrote Regierung von Oben herab ihre bürgerfeindlichen Gesetze durch. Was soll da das Gequatsche der Bürger?

  7. 12.

    Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Lieber, und das sind wir schon von der Vorgängerregierung gewöhnt, setzt die RotGrünDunkelrote Regierung von Oben herab ihre bürgerfeindlichen Gesetze durch. Was soll da das Gequatsche der Bürger?

  8. 11.

    Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Lieber, und das sind wir schon von der Vorgängerregierung gewöhnt, setzt die RotGrünDunkelrote Regierung von Oben herab ihre bürgerfeindlichen Gesetze durch. Was soll da das Gequatsche der Bürger?

  9. 10.

    Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Lieber, und das sind wir schon von der Vorgängerregierung gewöhnt, setzt die RotGrünDunkelrote Regierung von Oben herab ihre bürgerfeindlichen Gesetze durch. Was soll da das Gequatsche der Bürger?

  10. 9.

    Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Lieber, und das sind wir schon von der Vorgängerregierung gewöhnt, setzt die RotGrünDunkelrote Regierung von Oben herab ihre bürgerfeindlichen Gesetze durch. Was soll da das Gequatsche der Bürger?

  11. 7.

    Ups, es fehlt bestimmt noch mehr Geld. Es wird jetzt woanders gebraucht. Kann jeder raten, wo das Geld hin ist. Vorschlag: Corona und Ukraine-Krieg.

  12. 6.

    Das "Mitreden" beschränkt sich auf die üblichen Verdächtigen, die mit aller Macht und mit viel Freizeit ihre Einzelinteressen durchsetzen wollen - und die von BVVen immer vorgeschoben werden, wenn es darum geht, anderen Lasten aufzubürden oder andere einzuschränken. Schlagworte sind dann "Gemeinwohl", "Solidarität" und "Sozialer Zusammenhalt".

    In Wirklichkeit bedeutet Gemeinwohl vor allem "mein Wohl", Solidarität ist der Code für "mein Wohl sollen andere bezahlen", sozialer Zusammenhalt buchstabiert sich in Berlin "wenn mein Wohl nicht von anderen bezahlt wird, dann drohe ich mit Gewalt".

  13. 5.

    Nachdem die Links-Grünen jahrelang Unsummen für höchst zweifelhafte Projekte wie das Anmalen der Bergmannstrasse oder die Radautobahn durch die Friedrichstraße verschleudert hat, sind die Taschen eben leer.

  14. 4.

    Wen wunderts bei diesem Senat, mich jedenfalls nicht mehr !!!

  15. 3.

    Defakto ist das angesichts der fortlaufenden Inflation eine Kürzung. Denn die Inflation frisst von 150.000 schon ca. 10.000 EUR. Da sind 3.000 ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber klar bei den Gehältern kann weiter gespart werden, durch Tarifabschlüsse, die die Inflation nicht ausgleichen. Unsere Mieten steigen ja zum Glück nicht und Lebensmittel einkaufen müssen wir natürlich auch nicht ;)

  16. 2.

    Faszinierend, wo für alles Steuergelder ausgegeben werden.

  17. 1.

    Das erstaunt mich überhaupt nicht, die Fehlplanungen des Berliner Senats beschränken sich nicht nur auf diese Misswirtschaft, sondern geht in alle Bereiche (z. B. Kostenexplusion der Kottiwache).

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