Vorschlag der Grünen - Warum sich Berlins U-Bahnhöfe nur bedingt als Schutzbunker eignen

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg schlagen die Grünen im Bund vor, Bauwerke wie U-Bahnhöfe künftig in ein "Schutzkonzept" für die Zivilbevölkerung einzubeziehen. An Stationen mangelt es dafür in Berlin nicht - doch es fehlt an Tieflage. Von Hasan Gökkaya
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch das Sicherheitsgefühl hierzulande verändert. Auf dem Einkaufszettel einiger Deutschen stehen plötzlich "bombensichere Türen" oder Schutzräume aus "Panzerstahl", wie jüngst das gestiegenen Interesse an Privat-Bunkern zeigte. Ob ein Angriff auf Deutschland realistisch ist, bleibt zwar der Fantasie überlassen. Tatsächlich aber könnnten sich Menschen in Berlin und Brandenburg im Falle des Falles nicht auf instandgehaltene Anlagen wie Hoch- und Tiefbunker verlassen. Denn öffentliche Schutzräume gibt es in Deutschland nicht mehr (bbk.bund.de).
Als Reaktion darauf kündigte der Berliner Senat zuletzt an, bis zu 400 Sirenen zur Warnung vor Katastrophen wieder aufzustellen; die ersten Installationen fanden Ende vergangener Woche statt. Nun preschen auch die Grünen auf Bundesebene vor und bringen eine eigene Idee ins Spiel: "Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, grundsätzlich geeignete Bauten wie U-Bahnhöfe, Tiefgaragen oder Keller in öffentlichen Gebäuden in Schutzkonzepte einzubeziehen", heißt es unter anderem in einem 15-Punkte-Papier.
Finanzierung für Schutzbunker eingestellt
Sollte die Idee auch nur für einen Teil der rund 200 U-Bahnhöfe in Berlin umsetzbar sein, würde die Zahl öffentlicher Schutzräume in der Stadt enorm steigen. Denn die 23 Bunker in Berlin sind seit 2007 offiziell keine "Zivilschutzanlagen" mehr. Einige davon befinden sich nicht einmal mehr in bezirklicher, sondern privater Hand.
Der Grund war ein Beschluss von 2007, wonach Bunkeranlagen in Deutschland nicht weiter erhalten oder konkreter: nicht weiter finanziert wurden. In Brandenburg ist bis heute sogar unklar, wie viele ehemalige Bunkeranlagen es gibt. Es dürften Dutzende sein, die bereits zu Ruinen verkommen sind.
Bei der Umfunktionierung von U-Bahnhöfen oder Tiefgaragen dürfe man sich jedoch keine falschen Illusionen machen, warnt Kay Heyne von "Berliner Unterwelten". Der Verein erforscht und dokumentiert historische unterirdische Bauwerke. Wenn es darum gehe, Menschen für kurze Zeit von der Oberfläche weg zu bringen, etwa bei einem Schusswechsel, könnten U-Bahnhöfe durchaus genutzt werden. Schwierig sei es, wenn Menschen längere Zeit untergebracht werden müssten: "Dafür fehlen notwendige Strom- und Wasseranschlüsse", sagt Heyne dem rbb.
U-Bahnhöfe zu flach für Schutz gegen schwere Waffen
Er sieht aber noch einen weiteren Faktor, der den Einsatz von U-Bahnhöfen als Schutzbunker zumindest einschränke. Bei einem direkten Beschuss reiche die Schutzfunktion der Stationen kaum, da sie laut Heyne dafür zu flach unter der Erde gebaut sind. "In Berlin handelt es sich meistens um Unterpflasterbahnen. Das heißt, man reißt die Straße auf, gräbt eine Grube, legt die U-Bahn rein und macht die Grube wieder zu." In vielen Fällen sei die Decke eines U-Bahnhofs also gleichzeitig auch der Untergrund für die darüber liegende Straße - zum Teil nur 60 Zentimeter dick, vermutet er. "Da ist keine wirkliche Abdeckung, nichts dazwischen, dementsprechend ist keine hohe Schutzwirkung zu erwarten", so Heyne. Er schätzt, dass nur vielleicht zwei oder drei Berliner U-Bahnhöfe in einer Tiefe von 15 oder 20 Metern liegen.
"U-Bahnhöfe ähnlich effektiv wie private Kellerräume"
Ähnlich sieht das Norbert Gebbeken, Baustatiker und Leiter des Forschungszentrums Risk an der Universität der Bundeswehr München. "Wir sehen in der Ukraine, dass die Menschen zum Beispiel in Mariupol U-Bahnhöfe nutzen, um sich vor dem Krieg zu schützen. Das ist zunächst richtig und empfehlenswert, obwohl sie keine definierten Schutzräume sind", sagt er im Gespräch mit rbb|24.
Dem Experten zufolge können U-Bahnhöfe ähnlich effektiv sein wie private Kellerräume, um sich zumindest vor leichten Waffen zu schützen. "Wenn allerdings Mörser oder panzerbrechende Waffen zum Einsatz kommen, reichen die Wände oder Decken von Bestandsbauten oft nicht", so Gebbeken.
Folglich müssten öffentliche Einrichtungen aufwendig umfunktioniert werden. Da sieht der Verein "Berliner Unterwelten" aber das große Problem für die Hauptstadt: "Man kann nicht einfach mal einen U-Bahnhof, der in Betrieb ist, ein halbes Jahr zu machen und sagen: 'wir bauen den jetzt um'", sagt Heyne.
Spranger: "Wir sind im engen Austausch mit der BVG"
Gebbeken und Heyne verweisen zudem auf ein ethisches Problem. Wer darf rein und wer nicht? In einen Berliner U-Bahnhof passen höchstens ein paar Tausend Menschen - während des Zweiten Weltkrieges war in Berlin in Bunkern etwa für acht bis zehn Prozent der Bevölkerung Platz.
Eine Reaktivierung der alten Schutzbunker wird es in der Hauptstadt nicht geben. Das stellte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Dienstag während einer Pressekonferenz klar. Bei den U-Bahnhöfen scheint das letzte Wort noch nicht entschieden. "Wir sind im engen Austausch mit der BVG, dabei geht es auch um die Tiefe", sagte Spranger.
Sendung: Abendschau, 26.04.2022, 19:30 Uhr