OB-Wahl in Cottbus - AfD-Traum vom blauen Rathaus

Di 12.04.22 | 19:31 Uhr | Von Olaf Sundermeyer, rbb24 Recherche
Rathaus Cottbus (Quelle: dpa/Andreas Franke)
Bild: dpa/Andreas Franke

Ein Feuerwehrmann könnte der erste AfD-Oberbürgermeister einer größeren Stadt werden: Nachdem die Partei in Cottbus bereits die stärkste politische Kraft ist, soll sich dort der AfD-Traum erfüllen. Ein "ernst zunehmendes Szenario", sagt ein Experte. Von Olaf Sundermeyer

Die Idealvorstellung künftiger politischer Verhältnisse in Brandenburg wird für AfD-Wähler auf den seit fünf Jahren immer wiederkehrenden Demonstrationen des Vereins "Zukunft Heimat" in Cottbus vorgetragen: Dort hoffen Redner beispielsweise darauf, nach der nächsten Landtagswahl "den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, und seinen Innenminister, Lars Schieske, begrüßen zu können". Berndt und Schieske sitzen für die AfD im Brandenburger Landtag.

Lars Schieske (AfD), Mitglied des Brandenburgischen Landtages, spricht zu den Teilnehmern einer Demonstration gegen die Corona-Politik. (Quelle: dpa/Frank Hammerschmidt)
Lars Schieske auf einer Demo gegen die Corona-PolitikBild: dpa/Frank Hammerschmidt

Schieske, sein Dienstherr und der SPD-Kandidat

Aber zunächst soll der AfD-Landtagsabgeordnete und städtische Feuerwehrmann aus Cottbus, Lars Schieske, den dortigen Oberbürgermeister ersetzen. Am 11. September wird dort neu gewählt, weil Amtsinhaber Holger Kelch (CDU) nicht mehr antritt. Dafür treten der Dezernent für Ordnung und Sicherheit, Thomas Bergner (CDU), sowie für die SPD der Geschäftsführer des Stadtsportbundes, Tobias Schick, an. Bergner ist der faktische Dienstherr von Feuerwehrmann Schieske, dessen Arbeitsverhältnis während seines aktuellen Landtagsmandats ruht.

Wiederkehrende Demonstrationen, wechselnde Themen

AfD-Mann Schieske und seine Bündnispartner stellen die Stadt mit ihren Demonstrationen wiederkehrend vor ein Sicherheitsproblem. Der Anlass wandelt sich über die Jahre: Der Zuzug von Flüchtlingen, der Krieg in Afghanistan, einzelne Gewalttaten von Migranten, die Medienberichterstattung, das Infektionsschutzgesetz, die Impfpflicht. Hans-Christoph Berndt, Fraktionschef der AfD im Brandenburger Landtag, und Lars Schieske organisieren im Wechsel mit dem AfD-Kreisvorsitzenden Jean-Pascal Hohm die Demonstrationen oder rufen zu so genannten Spaziergängen auf.

Sieben Mal war Schieske nach rbb-Informationen in den vergangenen zwei Jahren Anmelder oder Versammlungsleiter der Anti-Corona-Proteste in Cottbus und tritt regelmäßig als Ordner auf. Dabei kam es im Mai 2020 zu handfesten Provokationen durch teilnehmende Hooligans gegen die Polizei. Immer wieder eskalieren einzelne Demonstrationen, Journalisten werden regelmäßig bedroht und angegriffen. Im Dezember 2021 gipfelten die Proteste mit 4.000 bis 5000 Teilnehmern in der "größten von Rechtsextremisten organisierten Demonstration in Brandenburg nach der Wende", so der Rechtsextremismusforscher Christoph Schulze von der Universität Potsdam.

Für den städtischen Feuerwehrmann Schieske hatte alles damit angefangen, dass er den Teilnehmern einer von Berndt organisierten Demonstration im Januar 2018 über den Lautsprecher seines Feuerwehrautos im Dienst zurief: "Wir grüßen die Patrioten in Cottbus." Damit geriet er in die Schlagzeilen, und über den Verein "Zukunft Heimat", den der Verfassungsschutz inzwischen als "gesichert rechtsextremistisch" einstuft, auch in die AfD - und schließlich in den Landtag.

Demonstrationen "als Privatperson" angemeldet

Bewusst unklar gehalten, werden dabei die Verbindungen zwischen Demonstration und Partei. "Wir melden das Ganze als Privatpersonen an", sagte Schieske nach einer Versammlung mit 160 Teilnehmern in Cottbus Anfang April im Szene-Podcast "Spreegeflüster". "Aber natürlich können wir uns nicht von unserer Partei als Privatpersonen entkoppeln. Ich bin ja trotzdem der Lars Schieske, der auch in der AfD ist, und Landtagsabgeordneter ist. Ich kann mich ja nicht dreiteilen." Der AfD-Politiker verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass sie "die Partei bei diesen Spaziergängen immer rausgelassen" hätten: "Weil wir wissen, wie die Leute ticken, und sich ungern mit der AfD öffentlich zeigen wollen."

Nach Bekanntwerden seiner Kandidatur durch Informationen von rbb24 Recherche lässt sich Schieske mit dem Satz zitieren, dass "unsere Heimatstadt einen Oberbürgermeister verdient, der sich als Vertreter aller Cottbuser versteht und seine Bürger selbstbewusst gegen Versuche der Stigmatisierung verteidigt".

Cottbus - von der AfD zum Leuchtturm erklärt

Erst seit den Demonstrationen von "Zukunft Heimat" entwickelte sich Cottbus zu einer Hochburg der AfD, erläutert Politikwissenschaftler Christoph Schulze. Kipppunkt sei die Kommunalwahl im Mai 2019 gewesen, als die AfD hier zur stärksten politischen Kraft (22,3 Prozent) wurde. Bei der anschließenden Landtagswahl im September 2019, holte Schieske das Direktmandat (27,3 Prozent). "Mit seinem starken Erststimmen-Ergebnis hat Lars Schieske bewiesen, dass er einen großen Rückhalt bei den Cottbusern genießt", begründet der AfD-Kreisvorsitzende Jean-Pascal Hohm den Vorstandbeschluss, Schieske jetzt in das Rennen um das Rathaus zu schicken.

Die AfD geht in Cottbus inzwischen zu jeder Wahl von einem Ergebnis über "20 plus X" aus, ist zu hören. Bei der OB-Wahl rechnet sie sich Chancen aus, sonst wäre man nicht angetreten. "Wir sind ja nicht in Köln, wo das keinen Zweck hätte", heißt es in relevanten Parteikreisen.

Einen Wahlsieg der AfD in Cottbus, und damit der erste Einzug eines AfD-Oberbürgermeisters ins Rathaus einer deutschen Großstadt, hält auch Christoph Schulze von der Universität Potsdam für "ein ernstzunehmendes Szenario". Schließlich seien die Wahlergebnisse der AfD hier nicht mehr das Resultat von Protestverhalten. Die Stadt sei von der AfD schon früh zum "Leuchtturm" erklärt worden. Cottbus soll Vorzeigebeispiel sein für das Zusammenwirken von der Partei als parlamentarischer Arm, einer Bürgerbewegung aus verschiedenen Protestgruppen wie vor allem "Zukunft Heimat", aber auch Akteuren wie das rechtsextreme "Compact-Magazin", das eng mit der Brandenburger AfD verbunden ist, sowie Pegida oder dem neurechten Vernetzungsverein "Ein Prozent", für den der AfD-Kreisvorsitzende Hohm nach Stationen als Mitarbeiter in der Landtags- und Bundestagsfraktion zwischenzeitlich aktiv gewesen ist.

Die Lausitz auf dem "Thüringer Weg"

Fachleute wie Schulze, aber auch überregionale Beobachter erkennen in der Lausitz ein regelrechtes Demokratieproblem. Auch deshalb war Cottbus in der Auswahl für eine Niederlassung - einen neuen Fachbereich - der Bundeszentrale für politische Bildung in "von gravierenden sozioökonomischen Transformationsprozessen betroffenen Regionen".

Es sollte darum gehen, die "Zivilgesellschaft und politische Beteiligung" zu stärken. Am Ende entschied sich die dem Bundesinnenministerium nachgeordnete Behörde für Gera als ihren dritten Standort neben Bonn und Berlin. In Gera hat sich das politische Klima wohl endgültig zu Gunsten der AfD gedreht. Dort holte die Partei eines von vier der acht Direktmandate in Thüringen. Über die Provinz wurde die AfD dort zur stärksten politischen Kraft im ganzen Bundesland. AfD-Landeschef Björn Höcke nennt das Zusammenwirken von Partei und Bewegungsinitiativen in der Fläche den "Thüringer Weg", an dessen Ende er mit seiner Partei in Regierungsverantwortung kommen möchte. Diesem Konzept folgen auch die AfD-Akteure in der Lausitz.

Die Grünen stellen keinen eigenen Kandidaten

Ihr Kalkül für die Oberbürgermeisterwahl in Cottbus geht so: Man setzt im ersten Wahlgang auf ein gutes Ergebnis der SPD - und einen eigenen zweiten Platz. In der Stichwahl hofft man auf Stimmen aus der CDU, um Lars Schieske ins Amt zu bringen. Bei der Bundestagswahl 2021 unterlag die AfD der SPD-Kandidatin noch knapp um 1,9 Prozent. Damals hatten die Grünen eine informelle Zweitstimmenkampagne gefahren, und für die Direktwahl der späteren SPD-Bundestagsabgeordneten Maja Wallstein mobilisiert. "Dieses Mal werden wir uns erst vor der Stichwahl entscheiden", sagt die Grüne Stadtverordnete Barbara Domke. Ihre Partei fühlt sich für eine eigene Kandidatur nicht stark genug in der Strukturkrisengebeutelten Lausitz, will aber einen AfD-Oberbürgermeister mit den eigenen Stimmen verhindern.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 11.04.2022, 19.30 Uhr

Beitrag von Olaf Sundermeyer, rbb24 Recherche

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