Anhörung Wahlpannen im Bundestag - Lkw mit Stimmzetteln für Berliner Wahllokale "mehrere Stunden im Stau"

In der Anhörung zu Wahlpannen in Berlin zur Bundestagswahl werden haarsträubende Vorkommnisse geschildert. Der Prüfungsausschuss berät, ob die Abstimmung in einigen Bezirken wiederholt werden muss. Für den Bundeswahlleiter ist das unumgänglich.
Wegen zahlreicher Pannen und Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung hält Bundeswahlleiter Georg Thiel eine teilweise Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin für unumgänglich. Das sagte er am Dienstag bei einer Anhörung im Wahlprüfungsausschuss des Bundestages.
Am Wahltag im vergangenen September seien in der Hauptstadt nicht nur einzelne Fehler als Ausreißer passiert. Vielmehr scheine es sich um ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation" gehandelt zu handeln, so Thiel.
Die Anhörung im Bundestag brachte beispielsweise ans Licht, dass der Lkw, der die Wahllokale mit neuen Stimmzetteln versorgen sollte, auf der Stadtautobahn A100 "mehrere Stunden im Stau" stand. Das sagte Geert Baasen, Leiter der Geschäftsstelle der Landeswahlleitung.
Bundeswahlleiter will Wiederholung in sechs Wahlkreisen
Thiel sprach sich für eine Wahlwiederholung in sechs Wahlkreisen aus. Es geht um die Wahlkreise Mitte, Pankow, Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost. Nach Ansicht des Bundeswahlleiters wäre die Sitzverteilung anders gewesen, wenn es dort nicht lange Warteschlangen und fehlende oder falsche Stimmzettel gegeben hätte.
Der Wahlprüfungsausschuss berät am Dienstag darüber, ob die Abstimmung zumindest teilweise wiederholt werden muss. Für die Sitzung wurden acht Stunden angesetzt, eine endgültige Entscheidung wird im Rahmen dessen aber nicht erwartet. Letztlich entscheidet auch der Bundestag über eine mögliche Wahlwiederholung.
Probleme habe es im Bundesgebiet "noch nie" gegeben
Die Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September waren von zahlreichen Pannen und organisatorischen Problemen geprägt gewesen. Dazu zählten falsche oder fehlende Stimmzettel, die zeitweise Schließung von Wahllokalen und lange Schlangen davor. Zudem hatten Wahllokale teils noch weit noch nach 18 Uhr geöffnet.
Thiel schilderte weitere Wahlfehler: Es sei beispielsweise nach 18:31 Uhr noch in 255 Lokalen gewählt worden, teils seien Lokale auch um 21 Uhr noch geöffnet gewesen. Zudem sei es zu 116 Wahl-Unterbrechungen wegen fehlender Stimmzettel gekommen. Solche Probleme habe es "im Bundesgebiet noch nie" gegeben.
Vor diesem Hintergrund hatte der Bundeswahlleiter schon im November Einspruch gegen die Wertung der Wahl in sechs von zwölf Berliner Bundestagswahlkreisen eingelegt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorkommnisse Auswirkungen auf die Sitzverteilung im neuen Bundestag hätten. Der Wahlprüfungsausschuss untersucht seit geraumer Zeit, ob das tatsächlich der Fall ist und die Wahl zumindest in bestimmten Wahlkreisen oder -bezirken wiederholt werden muss.
Der Bundeswahlleiter äußerte im Bundestag auch die Befürchtung, dass auch die nächste Wahl in Berlin zum Desaster werden könnte, da bisher keinerlei Verbesserungen vorgenommen wurden.
Evers spricht von Berlin als "Bananenrepublik"
Der Berliner CDU-Generalsekretär, Stefan Evers, schätzte die Aussagen des Bundeswahlleiters als "dramatisch" ein. "Es ist offensichtlich, dass die Fehler des Senats so schwer wiegen, dass mindestens weite Teile der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl zu wiederholen sind", konkretisierte der Politiker. Ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt seien Zustände wie in einer "Bananenrepublik" zu beobachten gewesen.
Die Liste der Pannen ist lang
In der Nacht zum Dienstag war für die Landeswahlleitung die Frist ausgelaufen, eine ergänzende Stellungnahme zu den Pannen bei der vergangenen Berlin-Wahl abzugeben. Sie musste darin dem Landesverfassungsgericht darlegen, wie sie die Wahl vorbereitet und durchgeführt hat. Es geht unter anderem um die Frage, wie es zu falschen und fehlenden Stimmzetteln in einzelnen Wahllokalen kommen konnte, zur zeitweisen Schließung der Lokale und zur Offenhaltung von Lokalen nach 18 Uhr. Die Liste der Pannen ist lang.
Das Gericht soll auch die mehr als 30 Einsprüche gegen die Wahlen prüfen. Bis zu einer Entscheidung wird es noch dauern, denn die Stellungnahme der Landeswahlleitung wird nicht nur an das Gericht, sondern auch an alle diese 30 Prozessbeteiligten weitergeleitet, die dann wiederum Stellung beziehen können. Auch für diese Reaktion gibt es eine Frist, die sich üblicherweise auf sechs bis acht Wochen beläuft. Zudem müssen alle Beteiligten sie gelesen haben.
Komplettwiederholung wäre Novum
Frühestens im Juli könnte absehbar werden, wann eine Entscheidung der Richter fallen könnte. Sollte das Gericht dann tatsächlich eine Komplettwiederholung der Berlin-Wahl beschließen, wäre das ein Novum in Deutschland. Möglich wäre aber auch eine Teilwiederholung in den Wahlkreisen, in denen Ergebnisse besonders knapp ausgefallen sind.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.05.2022, 13:45 Uhr