Langwierige Busspur-Genehmigungen - Wie die "Rennbahn des Nahverkehrs" zur Schnecke wurde

Gegen harte Proteste hatte der Senat im Jahr 1989 die Busspur auf dem Kudamm binnen eines Jahres umgesetzt - im Jahr 2022 dauert allein schon deren Genehmigung viel länger. Ein Grund: übertriebene Regulierung. Von T. Schmutzler und U. Schuhmacher
"Die Busspuren werden als Waffe gegen die Autos eingesetzt", schnaubt ein wütender Demonstrant. Gegner überschütten die "Bus"-Markierungen auf dem Kurfürstendamm mit Farbe. Und auch die AG City, ein Interessenverein von Geschäftsleuten, läuft Sturm: Die neue Spur würde den Kudamm zu einer "Rennbahn des öffentlichen Personennahverkehrs" und damit den "Boulevard kaputtmachen".
Der Protest zwischen Mai 1989 und April 1990 ist harsch, als der damals neue Senat seine Pläne für eine Busspur auf dem Kudamm vorantreibt. Gegen allen Widerstand setzt die erste rot-grüne Koalition in Berlin den sogenannten Sonderfahrsteifen zwischen Rathenauplatz und Tauentzien durch. "Beide Parteien kamen damals neu in die Regierung und waren entschlossen, die Spur einzurichten", erinnert sich Michael Cramer. Er war viele Jahre Verkehrsexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus.
Nicht nur Busse sollten profitieren, sondern auch Rettungsfahrzeuge und Taxis. Am 28. April 1990 geht die Spur tatsächlich in Betrieb. Nur rund ein Jahr dauert es von der ersten Planung über die Genehmigung bis zum Start.
110 beantragt, aber nur 30 Busspuren genehmigt
Sprung in die Gegenwart: Fast drei Jahre hat es gedauert, bis die Busspur auf dem Brunsbütteler Damm in Spandau auch nur genehmigt wurde. Gerade mal 210 Meter ist der Streckenabschnitt zwischen Klosterstraße und Wilhelmshavener Straße lang.
Ein ähnlicher Fall in Steglitz-Zehlendorf: Für die 700-Meter-Busspur auf dem Hindenburgdamm, von der Klingsorstraße bis zur Haltestelle Händelplatz, dauerte es vom eingereichten Antrag bis zur Genehmigung durchs Bezirksamt ebenfalls fast drei Jahre. Beide Fälle gehen aus einer Schriftlichen Anfrage des FDP-Abgeordneten Felix Reifschneider hervor.
Zwischen 2019 und März 2022 haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) der Anfrage zufolge über 110 Busspuren beantragt. 72 davon wurden abgelehnt oder zurückgestellt. Der häufigste Grund: Die Busfrequenz auf der jeweiligen Strecke sei zu niedrig, das betrifft 26 Fälle. Von den 110 beantragten sind lediglich 30 Busspuren seit 2019 umgesetzt worden.
Bäume und Laternen bremsen Spandauer Busspur aus
Die Strecke auf dem Brunsbütteler Damm gehört nicht dazu. Kurz vor der Haltestelle Brunsbütteler Damm/Ruhlebener Str. steht der Linienbus M32 im Stau. Nur zentimeterweise geht es voran. Ein Busstreifen würde das Problem für die Fahrgäste lösen, aber bisher ist auf dem Asphalt von Markierungen nichts zu sehen. Und das, obwohl die Genehmigung für den Busstreifen schon vor über eineinhalb Jahren ausgestellt wurde, im September 2020.
Der Knackpunkt seien die Bäume und Lichtmasten auf dem Mittelstreifen, sagt Thorsten Schatz, der CDU-Baustadtrat in Spandau: "Wenn wir eine Busspur einrichten, dann muss hier komplett umgeplant werden: Wir brauchen ein neues Beleuchtungskonzept, Bäume müssen möglicherweise gefällt werden." Die Busspur einfach, schnell und unkompliziert einzurichten – das gehe aufgrund der vielen Regularien nicht, sagt Schatz.
Im Verfahren komme es immer wieder zu Verzögerungen: "Es ist sehr schwierig, die Behörden untereinander zu koordinieren", erklärt der Politiker. "Die Verwaltungen konkurrieren untereinander mit ihren verschiedenen Planungen. Manche melden sich nicht fristgerecht zurück." Bezirksamt, Landesbehörden, Wasserbetriebe, Telekommunikationsunternehmen: Sie alle hängen allein bei der Busspur auf dem Brunsbütteler Damm mit drin. Baustadtrat Schatz hat inzwischen die Reißleine gezogen – und die Umsetzung des Busstreifens an den Senat abgetreten.
Mitarbeiter der Verkehrsverwaltung kritisiert "sehr restriktive Auslegung"
Das Problem viel zu langsamer Verfahren ist nicht nur in Spandau, sondern überall in Berlin offensichtlich. "Vieles wird heute unmöglich gemacht, statt möglich gemacht", sagt eine Person, die in der Senatsverwaltung für Verkehr arbeitet und anonym bleiben will, dem rbb. "Der Rechtsrahmen wird in Berlin sehr eng interpretiert. Die Verwaltung achtet darauf, dass alle Voraussetzungen perfekt erfüllt sind."
Diese Aussagen wundern John Siegel nicht. Er lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) und bildet dort die Verwaltungsbeschäftigen von morgen aus. "In der Berliner Verwaltung herrscht eine Zurückhaltung oder sogar Angst, Vorschriften nicht einzuhalten." Für ihn ein klarer Fall von "Überregulierung", sagt der Professor für Betriebswirtschaftslehre der öffentlichen Verwaltung.
Der Hang zum Perfektionismus sei in den Behörden "kulturell tief verankert": "Es gibt eine Dominanz von Juristen in Schlüsselfunktionen. Wenn es ein Problem gibt, ist der erste Impuls: Wir brauchen dafür eine Vorschrift", meint Siegel. Flankiert wird diese Prägung, die sicherlich auch schon 1989 vorhanden war, heutzutage noch durch ein anderes Verständnis von Verwaltung im Verhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern.
Ausschreibungen verzögern jede Busspur "um neun Monate"
"Behörden stehen heute sehr viel stärker unter Druck als früher", sagt John Siegel. Die Zeiten von 'Die Verwaltung entscheidet, der Bürger muss es schlucken' seien lange vorbei. "Das ist grundsätzlich auch gut so, führt aber auch zu noch mehr Risikovermeidung und verlangsamt die Entscheidungsprozesse."
Auch die Entscheidungsträgerinnen und -träger selbst fühlen sich gegängelt. Aber Thorsten Schatz, der CDU-Baustadtrat von Spandau, sieht keinen Ausweg: "Ich würde mir manchmal wünschen, dass ich so machen könnte, wie ich will - aber dann würde ich gegen Gesetze verstoßen."
Am Beispiel Busstreifen zeigt sich noch ein zweites Problem: der Mangel an Expertinnen und Experten in der Verwaltung selbst. "Früher saß noch Planungspersonal direkt in der Hauptverwaltung und in den Bezirksverwaltungen - heutzutage kaum noch", berichtet die Person, die die in der Senatsverwaltung für Verkehr arbeitet. "Deshalb müssen die Verwaltungen die Planung meist extern ausschreiben. Das ist teuer und zeitraubend." Beim Beispiel Busspur rechnet der Beschäftigte vor: "Die Verzögerung beträgt mindestens neun Monate pro Busspur."
Verwaltungsexperte: "Behörden müssen Aufgaben kritisch überprüfen"
Das Problem bestätigt der Grüne Michael Cramer: "Damals, 1989, war die Verwaltung noch stark aufgestellt, sie konnte selbst entscheiden und umsetzen." Der Personalabbau in späteren Jahren sei blauäugig gewesen, findet Cramer. Denn in die Rechnung einbezogen worden seien nur die Einsparungen für das Personal, aber nicht die Mehrausgaben im Nachhinein dafür, dass jetzt viel mehr extern ausgeschrieben werden müsse.
Etwas anders sieht es John Siegel, der Professor für Betriebswirtschaftslehre der öffentlichen Verwaltung. "Das Problem in Berlin ist weniger der Personalabbau an sich, sondern eher, dass parallel keine Strategie entwickelt wurde, wie mit weniger Personal gut gearbeitet werden kann", findet Siegel. "Dafür muss die Verwaltung die eigenen Aufgaben kritisch überprüfen, Abläufe vereinfachen und mehr digitalisieren."
Der Wissenschaftler verweist im Zusammenhang mit dem Personalmangel auch auf den großen "Rückstau alter Vorgänge", die sich im Laufe der Jahre in vielen Behörden gesammelt haben.
Mögliche Lösung: Vorschriften abbauen und mehr Ermessensspielräume
Aber wie kann die Situation besser werden? Immer mehr Vorschriften bei weniger Personal – diese Rechnung könne auf Dauer nicht aufgehen, sagt John Siegel. Helfen könnte, unnötige Vorschriften Schritt für Schritt abzubauen. Auf Bundesebene gebe es dafür den Normenkontrollrat, auch einige Bundesländer hätten solche Gremien eingerichtet. Aber Berlin hat diesen Weg aus John Siegels Sicht bisher nicht eingeschlagen: "Bürokratieabbau stand in Berlin in der Vergangenheit nicht im Mittelpunkt."
Ein überfälliges Projekt sei außerdem, die Zuständigkeiten in Berlin stärker zu klären und abzugrenzen, vor allem zwischen Hauptverwaltung und Bezirken. Bisher seien "Überschneidungen, Widersprüche, gegenseitige Blockaden" an der Tagesordnung, sagt der Verwaltungswissenschaftler Siegel.
Noch ein Ansatz: Behörden sollten Ermessensspielräume stärker nutzen und – da, wo sie noch nicht in den Vorschriften stehen – noch häufiger ausdrücklich in die Texte hineinformuliert werden. "Damit würde Verwaltung mehr Beinfreiheit bekommen und könnte so auch besser auf lokale Gegebenheiten eingehen", findet Siegel.
Schnellere Verfahren durch weniger Beteiligung?
Eine letzte Stellschraube könnte die Frage sein, welche Stellen wie ausführlich an Genehmigungs- und anderen Verfahren beteiligt werden. "Politik und Verwaltung machen es sich oft noch komplizierter, als es ohnehin schon ist", so der Experte der Hochschule für Wirtschaft und Recht, John Siegel. "Wenn man will, dass Verfahren schnell zu einem Ergebnis führen, müsste man durchaus überlegen, ob Beteiligung auf ein wirklich notwendiges Maß beschränkt werden kann." Aber auch er kann sich dann folgenden Aufschrei schon vorstellen: "Das würde natürlich zu Reaktionen bei den Betroffenen führen."
Heute wäre die Busspur auf dem Kudamm nicht mehr nach Vorschrift
Zurück nach 1990. Am 28. April reißt der damalige SPD-Verkehrssenator Horst Wagner die Abdeckungen vom Straßenschild, das die neue Busspur auf dem Kurfürstendamm markiert. Buhrufe von Demonstrierenden schallen ihm entgegen, er lacht zurück.
In den Tagen nach der Einweihung halten sich viele Autofahrerinnen und -fahrer nicht an die neuen Regeln. Ein Verkehrspolizist zeigt vollen Körpereinsatz: Er stellt sich vor ein Auto, das auf der Busspur fahren und die anderen PKW überholen will. Das muss abbremsen und zieht wieder auf die linke Spur rüber.
Die Busspur hier richtete der Senat zunächst nur für ein Jahr ein, anschließend ging sie in den Dauerbetrieb. Die Ironie der Geschichte: Nach heutigen Standards wäre der Fahrstreifen auf dem Kudamm nicht mehr realisierbar, sagt der Beschäftigte der Verkehrsverwaltung, der anonym bleiben will. Denn eine kombinierte Bus- und Radspur müsse nach aktuellen Richtlinien mindestens fünf Meter breit sein – eine Vorschrift, die die Spur von 1990 nicht erfüllt. Dafür müssten heute Bäume auf dem Kudamm gefällt werden.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27. Mai 2022, 7:05 Uhr