Neubauziele der Koalition - Geisel: 20.000 neue Wohnungen pro Jahr sind zurzeit "nicht realistisch"

200.000 neue Wohnungen in zehn Jahren will die rot-grün-rote Koalition in Berlin bauen lassen - im Schnitt 20.000 pro Jahr. Doch davon ist Berlin aktuell weit entfernt. Bausenator Geisel hofft, dieses Rückstand später aufholen zu können.
Wann Berlin erstmals wieder die Marke von 20.000 neugebauten Wohnungen im Jahr erreicht, ist nach Einschätzung von Bau- und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) noch offen. Der Senat halte, so Geisel, aber an dem im Koalitionsvertrag festgelegten Ziel, in zehn Jahren auf 200.000 neue Wohnungen zu kommen, trotz steigender Inflation und stark anziehender Baupreise, fest.
"Wir haben für die 200.000 Wohnungen den Bedarf in Berlin und die freien Flächenpotenziale. Jetzt ist die Frage, wie wir da zeitlich hinkommen", sagte Geisel der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. "Linear geht es bestimmt nicht, also immer 20.000 pro Jahr - schon deshalb, weil die Instrumente, die wir jetzt neu einführen, erst später ihre Wirkung entfalten", sagte er weiter.
Geisel: Preise hoch, Material und Personal knapp
Die Baubranche kämpfe mit unkalkulierbaren Preissteigerungen, Materialknappheit und teilweise auch mit Personalmangel. "Aber klar ist: Wir werden diese Zielstellung nicht aufgeben, gar nicht aufgeben können. Die Preisentwicklung, vor allem die Inflationsentwicklung in den letzten Wochen, sei dabei aber alles andere als hilfreich. "Man muss aber irgendwann an dem Punkt kommen, wo die Zahl der Wohnungen über 20.000 im Jahr liegt, das ist auch kein Hexenwerk. Das haben wir in den 90er Jahren mehrere Jahre hintereinander geschafft", so Geisel.
Nur 15.870 Wohnungen im Jahr 2021 fertiggestellt
Im vergangenen Jahr wurden nach den Daten des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg allerdings nur 15.870 Wohnungen fertig. Und auch die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen geht zurück: In den ersten drei Monaten dieses Jahres auf 2.900, fast ein Drittel weniger als im gleichen Zeitraum im Jahr davor.
Aus Geisels Sicht gibt es zu mehr Neubau aber keine Alternative. "Ich bin überzeugt, dass die 200.000 Wohnungen gebraucht werden", so der SPD-Politiker. "Die Frage, ob man sich künftig mit durchschnittlichem Einkommen noch eine Wohnung in Berlin leisten kann, wird heute beantwortet." In zehn Jahren sei es zu spät. "Wir können an der Entwicklung in Frankfurt, München, Paris oder London genau sehen, wo der Weg hingeht."
Das sei in Berlin noch anders, sagte Geisel. "Wenn wir diese Berliner Mischung halten wollen, müssen wir Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung schützen, die Stadt sozial zusammenhalten und bezahlbaren Wohnraum schaffen."
Fluchtbewegung aus der Ukraine erhöht den Druck
Zusätzlich Handlungsbedarf sieht Geisel durch die Entwicklung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. "Wir haben etwa 100.000 Ukrainerinnen und Ukrainer zusätzlich in der Stadt, 55.000 davon haben bisher einen Antrag auf dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung gestellt", sagte er.
Derzeit lebten sie in Notunterkünften. "Es ist klar, dass wir sie irgendwann in normalen Wohnverhältnissen unterbringen müssen. Das heißt, dass wir Wohnraum schaffen müssen, nicht nur für die ukrainischen Flüchtlinge."
Opposition wirft Rot-Grün-Rot Versagen vor
Angesichts der anhaltenden Probleme beim Wohnungsbau plädierte der Bauexperte der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schenker, dafür, eine öffentliche Bauwirtschaft aufzubauen. Es müsse darum gehen, sich unabhängiger vom Weltmarkt zu machen, sagte Schenker dem rbb. Traumvorstellung sei es, vom ersten bis zum letzten Schritt beim Bauen landeseigene Leistungen bieten zu können, also von der Planung bis zu Fertigstellung, so Schenker.
In seiner Partei gibt es bereits seit einigen Jahren solche Ideen. Dazu gehört unter anderem, dass Berlin ein eigenes Zementwerk aufbaut. "Auf diese Weise könnten wir uns von Marktdynamiken weniger beeindruckt zeigen", argumentierte der Linke-Politiker.
Der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Dirk Stettner, sieht die gestiegenen Baustoffpreise dagegen nach eigenen Angaben nicht als Problem für Berlin. Weder die Folgen der Pandemie noch der Krieg in der Ukraine hätten mit den sinkenden Fertigstellungszahlen zu tun, sondern einzig die Politik der rot-grün-roten Koalition, sagte er dem rbb.
Die Wohnungen, die jetzt fertiggestellt würden, seien vor Jahren geplant worden, sagte Stettner weiter. Derzeit würden zu wenige Wohnungen genehmigt, das sei ein Versäumnis der jetzigen Regierung und "ganz klar ein spezifisches Berliner Problem".
Verband BBU: Gründe sind Fachkräftemangel, Pandemie und Krieg
Ähnlich argumentierte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Björn Jotzo. "Das Eingeständnis des Bausenators, dass die Neubauziele bis 2030 nicht mehr erreichbar seien, ist eine Kapitulation vor der eigenen Politik der Bauverhinderung dieser Koalition", so Jotzo. Jetzt räche es sich bitter, dass die rot-grün-rote Koalition wertvolle Zeit und Energie der letzten Jahre "ausschließlich darauf verschwendet" habe, Bauwillige und Vermieter mit "teilweise verfassungs- und rechtswidrigen, aber auf jeden Fall kontraproduktiven Instrumenten" vom Schaffen von Wohnraum abzuhalten.
Der Sprecher des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), David Eberhart, sagte dem rbb, der Staat müsse jetzt zwar seine Spielräume nutzen, um die Kosten beim Wohnungsbau zu dämpfen. Als Hauptgründe für den Einbruch der Wohnungsbauzahlen sieht er nach eigenen Angaben aber die Folgen von Pandemie und Krieg. "Wir haben einen erheblichen Fachkräftemangel bei den Bauunternehmen", so Eberhart.
Dies habe sich schon während der Hochphase der Corona-Krise gezeigt. Schon da seien die Unternehmen an den Kapazitätsgrenzen gewesen, sagte Eberhart weiter. Nun kämen seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch erhebliche Preissteigerungen und Materialknappheit hinzu, auch bei Baustoffen, die aus China kämen. Dort führe der Lockdown in Shanghai zu neuen Beeinträchtigungen.
Sendung: Abendschau, 27.05.2022, 19:30 Uhr
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