Zivilschutz in Brandenburg - Schlecht vorbereitet für den Ernstfall
Nach dem Ende des Kalten Krieges erschienen Schutzbunker oder Notfallpläne nicht nur in Brandenburg vielen überflüssig. Die Folge: Es gibt kaum Vorkehrungen für den Zivilschutz. Die Landesregierung will den nun verbessern - doch das kann dauern. Von Christoph Hölscher
Eine unauffällige Baracke im Wald bei Gosen, südöstlich von Berlin. Im Innern eine gepanzerte Stahltür, hinter der eine Treppe fünf Meter unter die Erde führt. Bis zu 135 Stasi-Mitarbeiter hätten im Ernstfall in dem ab 1982 errichteten Bunker Platz gefunden – und sollten dort sogar vor den Folgen eines Atomschlags geschützt sein. Die unterirdische "Ausweichführungsstelle der Hauptverwaltung Aufklärung" sollte sicherstellen, dass der DDR-Geheimdienst auch im Kriegs- und Katastrophenfall handlungsfähig bleibt.
Zum Schutz der Brandenburger Bevölkerung würde der Bunker heute aber wohl nichts mehr beitragen. Nach 1990 stand er leer, niemand kümmerte sich darum. Es fehlt an sanitären Einrichtungen, Belüftung und ausreichender Stromversorgung.
DDR-Schutzräume nach der Wende aufgegeben
"Bei einem Einsatz von konventionellen Waffen würde wahrscheinlich die Decke runterkommen. Über atomare, biologische und chemische Waffen wollen wir lieber gar nicht erst nachdenken", sagt Jörg Diester, der heute für den Verein "Bunker-Dokumentationsstätten" Führungen durch den Gosener Stasi-Bunker anbietet. Ähnlich sehe es in den meisten Bunkern in Brandenburg aus, die überwiegend von der Stasi oder der NVA errichtet worden seien.
Der Mangel an geeigneten Zivilschutzbunkern habe politische Ursachen: "Nach der Wende hat man entschieden, dass die DDR-Schutzräume nicht in ein Zivilschutzkonzept der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen werden", so Diester. Wer sich heute über Schutzräume in Brandenburg Gedanken mache, müsse über Neubau reden – Kostenpunkt: mindestens 10.000 Euro pro Platz.
Innenminister will keine Bunker bauen
"Wir werden jetzt nicht anfangen, Bunkerbeton in den märkischen Sand zu kippen", stellt Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) dagegen klar. Sein Ministerium wolle trotzdem dafür sorgen, dass es künftig wieder ausreichend öffentliche Schutzräume gebe. "Ich denke dabei an stabile Keller, Tiefgaragen und Tunnel", so Stübgen am Dienstag in rbb24 Brandenburg aktuell.
Hier soll es eine Abfrage bei den Landkreisen nach Objekten geben, die sich zu Schutzräumen ausbauen lassen. Das jetzt wieder über Zivilschutz nachgedacht wird, sei Folge der politischen "Zeitenwende", die der Überfall Russlands auf die Ukraine markiert: Jahrzehntelang sei man davon ausgegangen, dass ein Krieg in Europa kein Szenario mehr sei, auf das man sich ernsthaft vorbereiten müsse. Das hat sich nun geändert.
Fehlende Konzepte für den Zivilschutz
Um sich gegen neue Bedrohungen zu wappnen, möchte der Innenminister nicht nur Schutzräume schaffen lassen. Stübgen kündigt an, ein neues "Landesamt für Bevölkerungsschutz" aufbauen zu wollen. Dort sollten Konzepte für den Zivilschutz entwickelt und die nötigen Kompetenzen gebündelt werden. Zwar unterhalten auch jetzt schon alle Landkreise sogenannte "Katastrophenschutzzentren", in denen zum Beispiel Notstromaggregate, Wasserpumpen, Sandsäcke oder Feldbetten für den Ernstfall bereitstehen.
Dort ist man allerdings vor allem auf Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Waldbrände eingestellt. Auf den Schutz der Bevölkerung etwa bei militärischen Auseinandersetzungen oder Angriffen auf die "kritische Infrastruktur" wie Mobilfunknetze, Strom- oder Wasserversorgung sind weder das Land noch die Landkreise vorbereitet.
Warnsirenen nur bedingt einsatzbereit
Eine Schwachstelle ist dabei zweifellos das Warnsystem. Wie werden die Menschen im Katastrophenfall schnell informiert? Ein Testlauf am sogenannten "Warntag" 2020 zeigte, dass viele Sirenen im Land nicht mehr funktionieren oder sogar schon abgebaut sind. Eine Konsequenz: Für 2,6 Millionen Euro soll das Netz der Warnsirenen in Brandenburg in den kommenden Jahren erneuert werden.
Aber das reicht wohl nicht: Ergänzend zum antiquierten Sirenenwarnsystem wären beispielsweise flächendeckende Informationen über Handy-Apps und automatische SMS-Nachrichten nötig – idealerweise auch im Fall eines Stromausfalls oder lahmgelegten Handynetzes. Und wer weiß schon, was zu tun ist, wenn eine Warnung per Sirene oder Handy-App kommt?
Zweifel an neuer Zivilschutzbehörde
Viel zu tun also für das künftige "Landesamt für Bevölkerungsschutz". Ob und wann diese Behörde ins Leben gerufen wird, wie genau sie aussehen soll und wie viele Menschen dort arbeiten ist alles noch unklar. Bislang ist die mögliche Behörden-Neugründung nur eine "politische Absichtserklärung" des Innenministers. Immerhin für den Standort gibt es schon eine Idee: Die "Landesschule und Technische Einrichtung für Brand- und Katastrophenschutz (LSTE)" - besser bekannt als Landesfeuerwehrschule in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) - soll das künftige Landesamt beherbergen.
Doch selbst wenn der Vorschlag politische Unterstützung findet, würde die Umsetzung wohl mehrere Jahre dauern. Ob die neue Behörde das Land dann sicher macht, bezweifelt der Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der FU Berlin, Martin Voss: "Es ist nicht unser Kernproblem, dass es an Behörden mangelt, sondern an Kompetenzen innerhalb dieser Behörden." Gerade an gesellschaftlicher Kompetenz im Umgang mit Katastrophen sei viel verlorengegangen in den vergangenen Jahrzehnten - nicht nur, weil Krieg als Gefahrenquelle so weit weg erschien.
Schutzräume im Osten nach 1990 "abgewickelt"
Auch der neoliberale Zeitgeist habe seinen Teil dazu beigetragen: "Wir wollten den schlanken Staat, die effizienten Behörden. Das hieß überall auch: Robustheit abbauen, Reserven abbauen. In der Summe macht das eine stärker gefährdete Gesellschaft aus", fasst Voss zusammen.
Dazu passt der Umgang mit den Zivilschutzräumen: Im Osten Deutschlands wurden sie schon mit der Wiedervereinigung "abgewickelt" - auch im Westen gab man sie 2007 auf, um die Kosten für ihren Unterhalt zu sparen. Jetzt müssen sie womöglich in ganz Deutschland für viel Geld neu gebaut werden.
Sendung: Antenne Brandenburg, 11.05.2022, 12:42 Uhr