Diplomatische Immunität - Angestellte in Berliner Diplomaten-Haushalten berichten von Ausbeutung und Gewalt

Viel Arbeit für geringen Lohn, zu wenig Essen, körperliche Gewalt: In den Residenzen von Diplomaten in Berlin kommt es offenbar immer wieder zu Verstößen gegen das Arbeitsrecht und Straftaten gegen Hausangestellte. Von Roberto Jurkschat
Für Elisa* wirkte der Job wie ein großer Glücksfall. Fünf Tage pro Woche arbeiten bei einem Diplomaten in Berlin, ein Kind betreuen, Dinge im Haushalt erledigen. In dem Arbeitsvertrag, den sie mit dem Botschaftsmitarbeiter geschlossen hatte war ein Lohn von 950 Euro vereinbart. Weil Hausangestellte in Deutschland bei den Diplomaten leben müssen, hätte Elisas Lohn gereicht, um ihrer Mutter und ihrem Sohn auf den Philippinen jeden Monat etwas Geld zu schicken.
"Ich stand vor dem Diplomaten und habe am ganzen Körper gezittert"
Nach ihrer Ankunft im April 2016 kam vieles anders, wie Elisa im Gespräch mit rbbl24 berichtet. Ihre Dienste beginnen um 7 Uhr morgens und enden oft erst gegen Mitternacht. Freie Tage habe sie gar keine gehabt.
Einmal im Monat habe sie eine Abrechnung unterschrieben, nach der sie 950 Euro in Bar erhalten hat. "Ich habe aber nur 400 Euro bekommen. 200 Euro hat der Diplomat mir gegeben, 200 Euro über Western Union an meine Mutter in den Philippinen geschickt", sagt sie. Obwohl sie das Haus nicht verlassen durfte, gelang ihr nach einigen Monaten schließlich die Flucht.
Elisa ist in Berlin kein Einzelfall: In den Residenzen von Diplomaten in Berlin kommt es offenbar immer wieder zu Verstößen gegen das Arbeitsrecht und Straftaten gegen Hausangestellte.
Nach Angaben der Berliner Hilfsorganisation Ban Ying wenden sich pro Jahr durchschnittlich zehn bis 15 Betroffene an die Beratungsstelle, um Schutz zu suchen oder um Lohn für ihre Arbeit einzufordern. "Die Betroffenen, die es schaffen zu fliehen, berichteten meistens, dass sie ausgebeutet wurden und deutlich weniger Lohn bekommen haben als vertraglich vereinbart", sagt Projektkoordinatorin Lea Rakovsky. Häufig verstießen Diplomaten aber auch mit Arbeitszeiten von bis zu 20 Stunden pro Tag gegen das Arbeitsrecht.
"Wir hatten auch Fälle, bei denen es zu körperlicher oder sexueller Gewalt kam", sagt Lea Rakovsky. "Wegen der diplomatischen Immunität können wir rechtlich nicht dagegen vorgehen."
Täter vor Polizei und Staatsanwaltschaft geschützt
Tatsächlich müssen Diplomaten nach Rechtsverstößen gegen Hausangestellte weder Bußgelder noch Haftstrafen befürchten. Die sogenannte diplomatische Immunität schützt sie vor Strafverfolgung im Gastland. In Deutschland darf die Polizei gegen Diplomaten deshalb zwar Zwangsmaßnahmen vollstrecken, dazu zählen vorübergehende Festnahmen oder der Einsatz von Handschellen. Allerdings können Staatsanwaltschaften selbst nach schweren Straftaten nicht gegen Botschaftsangehörige ermitteln. Die rechtlichen Grundlagen dafür stehen im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) und sind fast überall auf der Welt gültig.
Bei schwerwiegenden Vorwürfen gegen einzelne Diplomaten hat das Auswärtige Amt allerdings eine andere Option: Es kann Mitarbeitende einer Botschaft zur "Persona non grata" erklären. In der Regel müssen die betroffenen Personen die Bundesrepublik innerhalb von 48 Stunden verlassen.
Wie häufig das in den vergangenen Jahren geschehen ist, dazu machte das Auswärtige Amt auf Anfrage von rbb|24 keine Angaben. Über Notifikationen zur "Persona non grata" werde keine Statistik geführt, hieß es. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) machte erst Anfang April von diesem Instrument Gebrauch: Wegen der Gräueltaten gegen Zivilisten in der ukrainischen Ortschaft Butscha wurden 40 russische Botschaftsangehörige zu unerwünschten Personen erklärt.
Auswärtiges Amt geht von wenigen Fällen aus
Dass es durch Botschaftsangehörige immer wieder zu "Rechtsverstößen" gegen Hausangestellte kommt, bestätigte auch das Auswärtige Amt rbb|24. Die jährliche Zahl der gemeldeten Fälle sei seit 2012 allerdings rückläufig, zuletzt habe sie im niedrigen einstelligen Bereich gelegen. "Die Hauptbeschwerden betreffen Lohnrückstände und Nichteinhaltung von Arbeitszeiten", hieß es. "Mitteilungen über Gewalttaten sind äußerst selten."
Lea Rakovsky sagt, dass auch Ban Ying zuletzt weniger Hausangestellte beraten hat. Die Projektkoordinatorin glaubt aber, dass Zahlen aus der Corona-Zeit die Realität nicht richtig widerspiegeln. "Wir hatten seit Beginn der Pandemie einen Rückgang von Beratungsfällen in verschiedenen Bereichen. Wir glauben, dass das damit zusammenhängt, dass es einfach schwieriger war, sich an uns zu wenden. In den 20 Jahren vor der Pandemie hatten wir immer jeweils 10 bis 15 betroffene Hausangestellte bei uns."
Allerdings seien diese Fälle bislang kaum bekannt geworden: Viele frühere Hausangestellte fürchteten, sie könnten in ihrer Heimat bestraft werden, sagt Lea Rakovsky. Viele seien zudem nicht mehr in Berlin, weil ihr Aufenthaltsstatus an ihre Tätigkeit geknüpft ist: Hausangestellte, die nicht aus der EU kommen, müssen nach einer Kündigung in der Regel sofort ausreisen.
Nach Angaben von Ban Ying kommt jede Dritte der rund 250 Hausangestellten von Berliner Diplomaten aus den Philippinen. In dem Land vermitteln Agenturen Frauen für Haushaltstätigkeiten an Privatleute, nach Deutschland und in die ganze Welt. Viele arbeiten in anderen Ländern, um Geld in die Heimat zu schicken. Dem Finanzdienstleister Western Union zufolge werden jedes Jahr 35 Milliarden US-Dollar aus dem Ausland auf die Philippinen überwiesen.
"Ich stand vor dem Diplomaten und habe am ganzen Körper gezittert"
"Ich wollte nach Berlin um meiner Mutter und meinem Kind zu helfen", sagt auch Elisa. Deshalb habe sie versucht im Haus des Diplomaten irgendwie durchzuhalten, auch wenn ihr Körper das längst nicht mehr schaffte. "Mir sind die Haare ausgefallen, ich war schwach, ich konnte nicht mehr schlafen, ich hatte nicht genug zu essen bekommen", sagt sie.
Neben dem Diplomaten lebten dessen Frau, deren Eltern und ein Kind in dem großen Haus im Villenviertel in Berlin-Lichterfelde. Elisas Schlafplatz lag im Keller, zwischen Abstellkammern voller Kartons und alter Kleidungsstücke. Gearbeitet habe sie rund um die Uhr, dennoch sei sie häufig angeschrien worden. "Ich stand oft vor dem Diplomaten und habe am ganzen Körper gezittert."
Erst nach mehreren Monaten habe sie sich durchgerungen, das Grundstück unbemerkt zu verlassen. Auf der Straße habe sie auf den Hinweis einer Freundin die philippinische Botschaft in Berlin angerufen. "Ich sollte mein Handy ausschalten und sofort in die Botschaft kommen, hat man mir gesagt." Ein Botschaftsmitarbeiter habe die Vorfälle dem Auswärtigen Amt gemeldet, ein weiterer Mitarbeiter sei in die Diplomatenresidenz gegangen, um Elisas Koffer abzuholen. Das Auswärtige Amt fragte die Organisation Ban Ying daraufhin, ob Elisa in einer geheimen Zufluchtswohnung in Berlin untergebracht werden könnte.
In einem Gespräch, das Elisa später im Auswärtigen Amt mit Mitarbeitenden von Ban Ying, dem Auswärtigen Amt und ihrem ehemaligen Arbeitgeber führte, sei dann vereinbart worden, dass sie den vertraglich zugesicherten Lohn noch erhalten soll.
Kein Bleiberecht nach der Kündigung
Kurz darauf allerdings erreichte Elisa dann ein Schreiben, dass sie in der Bundesrepublik kein Bleiberecht habe und das Land verlassen müsse.
Der Versuch, mit einem neuen Job in Berlin ein Bleiberecht zu bekommen, scheiterte allerdings, so wie in den meisten Fällen, wie Lea Rakovsky sagt. Denn per Gesetz haben deutsche Staatsangehörige und Menschen aus der EU auf dem Arbeitsmarkt Vorrang. Ein philippinisches Restaurant in Berlin hatte Elisa beispielsweise nach ihrer Flucht einen Job in der Küche angeboten. Die Bundesagentur für Arbeit lehnte eine Arbeitserlaubnis ab, weil dieser Job grundsätzlich auch von deutschen Staatsangehörigen oder Bürgern aus der EU gemacht werden könne. Zudem müssen Bürger aus Drittstaaten ihren Aufenthaltstitel formal immer aus dem Ausland beantragen.
Ban Ying fordert besseren Schutz von Betroffenen
Das Auswärtige Amt stellt Mitarbeitenden von Diplomaten, Botschaftern oder Generalkonsuln anderer Länder sogenannte Protokollausweise aus. Nach einer kurzen Zeit in der Zufluchtswohnung musste Elisa dann zurück in die Philippinen. Nach Berlin zurück konnte sie nur, weil sie einen deutschen Mann geheiratet hat, den sie kurz nach ihrer Flucht aus der Diplomatenvilla kennenlernte. Inzwischen arbeitet sie in Berlin als Reinigungskraft.
Die Organisation Ban Ying fordert, dass das Auswärtige Amt den Schutz der Betroffenen stärkt, etwa durch eine Regel, dass Hausangestellte einfacher den Arbeitgeber wechseln dürfen und nicht dazu verpflichtet sind, bei den Diplomaten zu leben. Zudem sollte es nach Auffassung von Lea Rakovsky ein Bleiberecht für alle Menschen geben, die es schaffen, sich aus einer Notlage zu befreien.
Elisa erzählt, sie sei noch immer "schockiert" darüber, wie sie in Berlin leben und arbeiten musste. Ihr sei es wichtig, dass Menschen von den Problemen der Betroffenen erfahren. "Hier gibt es ein Gesetz, ich finde daran müssen sich alle halten", sagt sie.
* Name von der Redation geändert
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