Vorstoß aus Baden-Württemberg - Berlin und Brandenburg wollen von Hartz-IV-Empfängern bei Neun-Euro-Ticket kein Geld zurück

Hartz-IV-Empfänger sollen in Baden-Württemberg Geld zurückzahlen, weil das vom Bund finanzierte Schülerticket dort teurer ist als das Neun-Euro-Ticket. Das sei ein geldwerter Vorteil. Berlin und Brandenburg lehnen das ab.
Anders als Baden-Württemberg wollen Berlin und Brandenburg nach Einführung des Neun-Euro-Tickets von Hartz-IV-Empfängern keine Rückzahlungen einfordern. "Diesen Quatsch machen wir nicht mit", sagte die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Die Landesregierung in Stuttgart hatte entschieden, den Differenzbetrag zwischen Schülerticket und Neun-Euro-Ticket von Leistungsbeziehern zurückzuverlangen.
Kipping: Rückforderung für Berlin kein Thema
In Berlin stehe eine solche Rückforderung ohnehin nicht an, da Schülerinnen und Schüler hier nichts für die ÖPNV-Nutzung bezahlten, so Kipping weiter. Es sei aber ohnehin nicht ihre Rechtsauffassung, dass das Gesetz eine solche Rückforderung zwingend vorschreibe, weil das günstigere Neun-Euro-Ticket eine "ungerechtfertigte Bereicherung" der Leistungsbezieher wäre.
Diese Position sei mit den Jobcentern und der Rechtsabteilung der Sozialverwaltung abgestimmt, sagte Kipping weiter. Der bürokratische Aufwand sei zudem "ein Minusgeschäft" für die öffentliche Hand. "Wir wären alle politisch gut beraten, wenn man nicht das Zeichen setzt, dass erst Entlastung kommt, und man dann guckt, wo man den Ärmsten gleich wieder etwas wegnehmen kann."
In einigen Bundesländern wird Beziehern von Sozialleistungen das Schülerticket aus dem Bildungspaket des Bundes finanziert. Da das subventionierte Ticket teurer ist als das Neun-Euro-Ticket, will Baden-Württemberg den Differenzbetrag von betroffenen Familien zurückfordern.
Das Bundesarbeitsministerium wies die Bundesländer nun aber in einem Schreiben an, diesem Vorbild nicht zu folgen. "Die besonderen Bedingungen des Neun-Euro-Tickets seien zu beachten, es gehe dabei nicht um die Senkung der Schülerfahrkosten", heißt es in dem Schreiben von Staatssekretärin Leonie Gebers (SPD). "Das Neun-Euro-Ticket soll allen Menschen in Deutschland zugutekommen und sie angesichts der aktuellen Preisentwicklung finanziell entlasten." Den Vorwurf, Empfänger von Grundsicherung würden sich durch das Ticket "bereichern", wies Gebers scharf zurück. "Die Betroffenen haben dies weder veranlasst noch beabsichtigt."
Auch Brandenburg will nichts zurückfordern
Die Brandenburger Landesregierung teilt die Rechtsauffassung des Berliner Senats und des Bundesarbeitsministeriums. Das Neun-Euro-Ticket sei ein Service für alle Bürgerinnen und Bürger und ziele nicht allein darauf ab, Schülertickets günstiger zu machen, teilte das Wirtschaftsministerium am Freitag auf rbb-Anfrage mit. Zudem könne man Leistungsbezieher nicht zur Kasse bitten, weil sie den Preisunterschied zwischen Schüler- und Neun-Euro-Ticket "weder verursacht noch verschuldet haben".
Auch in Brandenburg werden die Kosten für das Schülertickets bei Menschen, die Sozialleistungen beziehen, aus dem Bildungspaket gezahlt. Zuständig dafür sind die Kommunen. "Die Übernahme der erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen für Schülerbeförderung wird durch die Einführung des Neun-Euro-Tickets nicht konterkariert", so das Wirtschaftsministerium.
Wohlfahrtsverband nennt Rückforderung "schäbig"
Zuvor hatte bereits der Paritätische Wohlfahrtsverband an die Bundesländer appelliert, keine Rückforderungen an Hartz-IV-Familien wegen des Neun-Euro-Ticket zu stellen. "Wie kaltherzig, bürokratisch und völlig empathielos hier mit armen Familien umgegangen wird, ist einfach schäbig und eines Sozialstaats unwürdig", kritisierte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider in Berlin.
Der Verband appellierte an die Bundesländer, in ihrer Rechtsaufsicht über die Kommunen dafür zu sorgen, dass keine Nachforderungen erhoben werden. Schneider betonte, "wer wie das baden-württembergische Wirtschaftsministerium im Falle einer Nicht-Rückzahlung von einer 'ungerechtfertigten Bereicherung' spricht, hat offenbar jeglichen Bezug zu Realitäten verloren und will offensichtlich Neiddebatten schüren."
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.06.2022