Streit um Bildungssenatorin Busse - Die unbequeme Quereinsteigerin

Fr 03.06.22 | 07:21 Uhr
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Astrid-Sabine Busse, Bildungssenatorin, während einer Plenarsitzung im Berliner Abgeordnetenhaus (Bild: dpa/Jörg Carstensen)
Video: Abendschau | 02.06.2022 | Boris Hermel | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Astrid-Sabine Busse kennt das Berliner Schulsystem besser als alle ihre Amtsvorgänger:innen. Doch ob die ehemalige Schulleiterin auch dem Job als Bildungssenatorin gewachsen ist, wird immer mehr bezweifelt - vor allem innerhalb der rot-grün-roten Koalition. Von Sebastian Schöbel

Eine politische Quereinsteigerin führt als Bildungssenatorin ein Schulsystem, das ohne quereinsteigende Lehrkräfte zusammenbrechen würde: Zumindest metaphorisch hätte es kaum eine passendere Bildungssenatorin als Astrid-Sabine Busse geben können. Fast vierzig Jahre lang unterrichtete sie an Berliner Schulen, gut dreißig Jahre lang leitete sie eine Grundschule in Berlin-Neukölln. "Brennpunkterfahrung" wurde ihr nachgesagt, besonders von SPD-Chefin Franziska Giffey. Alle Probleme des Berliner Bildungssystems hat sie unmittelbar kennengelernt. Pädagog:innen wie Astrid-Sabine Busse schreiben normalerweise für Lehrergewerkschaften Brandbriefe an die Politik oder fordern in kritischen Manifesten umfassende Schulreformen. Sie führen aber in der Regel nicht die Berliner Bildungsverwaltung - bis jetzt.

Zweifel an Busses Amtsführung

Ob die Wahl von Busse eine gute war, bezweifeln inzwischen allerdings nicht wenige in der Berliner Politik - und vor allem auch in der Regierungskoalition. Offen aussprechen will es bislang niemand, doch das Flüstern hinter vorgehaltenen Händen ist längst laut und deutlich zu hören: Worte wie "überfordert", "unkommunikativ" und "unvorbereitet" fallen, nach Auftritten der Senatorin im Bildungsausschuss zweifeln nicht wenige Mitglieder am Sachverstand der neuen Bildungsverwaltungschefin. Elementare Fragen blieben unbeantwortet, für Details müsse die Senatorin auffällig oft ihre Staatssekretäre bemühen, so die Kritik. Parteiübergreifend würden dann schon mal entsetzte Nachrichten übers Handy ausgetauscht, hinter den Kulissen habe es des Öfteren "geknallt". Bei Busses teilweise recht hemdsärmeligen Ausführungen fühle man sich in die eigene Grundschulzeit zurückversetzt, raunt man sich in Koalitionskreisen zu - in Anspielung auf Busses früheren Job. Von einem "immensen Cringe-Faktor" ist die Rede. Aktuellstes Beispiel: Eine völlig missglückte Abfrage von potentiell problematischen Tattoos bei Referendar:innen, die schließlich kassiert werden musste.

Giffey: "Ihnen muss man Schule nicht erklären"

Gleichzeitig aber verweisen viele ihrer Kritiker:innen auch auf die schier unlösbaren Probleme im Bildungsbereich - und auf die notorisch schwierige Verwaltung dahinter. Vom unbeweglichen "Tanker" ist dann öfter die Rede. Dem fehlen im kommenden Schuljahr voraussichtlich 900 Lehrkräfte und Schulplätze, für Siebtklässler an Oberschulen genauso wie für ukrainische Flüchtlingskinder. Dazu kommen ein gigantischer Sanierungsstau in den Schulen, fehlende Internetanbindung oder die Herausforderung der Lehrerverbeamtung. "Mit Sorge" beobachte man daher Busses Amtsführung, sagt ein hochrangiger Koalitionär, zumal auch die Zweifel an der Befähigung ihrer beiden verwaltungsunerfahrenen Staatssekretäre wächst. Manche gehen sogar weiter und vermuten, dass sie nicht mehr lange durchhält.

Dabei wurde Astrid-Sabine Busse gerade wegen ihrer Praxisnähe zur Senatorin berufen, handverlesen von Senatschefin Franziska Giffey persönlich. Die beiden Frauen kennen sich aus gemeinsamen Neuköllner Zeiten. Giffey lobte ganz ausdrücklich Busses Erfahrung in einem bekannten Berliner Brennpunkt. "Ihnen muss man nicht erklären, was Schule in Berlin bedeutet", hatte Giffey im Dezember 2021 bei der Vorstellung der SPD-Senatoren gesagt. "Sie wissen es." Die 63-Jährige spreche "die Sprache derjenigen, für die sie Politik macht", lobte Giffey damals.

Umstrittene Aussagen über Migrant:innen

Dass diese Sprache mitunter sehr robust klingt, lernte man zuletzt durch Aussagen, mit denen Busse bereits 2009 in der "Süddeutschen Zeitung" zitiert wurde. Über arabischstämmige Eltern sagte die damalige Schulleiterin, diese "bleiben einfach untereinander". Den Willen zur Integration sprach Busse diesen Familien ab. "Man nimmt das Viertel in Besitz, und man lässt sich pampern." Die Sätze fanden sich später in Thilo Sarrazins umstrittenen Buch "Deutschland schafft sich ab" wieder.

Neu war das freilich nicht: Bereits im Januar 2004 hatte Busse dem rbb gesagt, Berlin erlebe "einen schleichenden Prozess der Islamisierung", und den halte sie "für sehr gefährlich".

Ausgerechnet SPD-Parteigenoss:innen gruben diese Aussagen zuletzt wieder aus und machten sie bei Twitter publik. Was folgte, war ein Shitstorm. Busse entschuldigte sich schließlich dafür, zuletzt in einem Brief an den Landesschulbeirat. Sie habe mit ihren Aussagen von einst nur "wachrütteln" wollen, so Busse. Nie aber sei es darum gegangen, "Menschen abzuwerten, geringzuschätzen, über einen Kamm zu scheren oder pauschal in Gruppen einzuteilen". Sarrazzins Thesen seien hingegen "rassistisch, realitätsfern und menschenverachtend". Die ganze Sache tue ihr "aufrichtig leid".

Linke nennt Busses Aussagen "klar rassistisch"

"Klar rassistisch und abwertend gegenüber arabischstämmigen Menschen" seien diese Aussagen gewesen, sagt Elif Eralp, die migrationspolitische Sprecherin der Linken auf Nachfrage der rbb|24-Abendschau. Um dann zur Bewahrung des Koalitionsfriedens hinterherzuschieben: "Ich bin sehr froh, dass sich Frau Busse davon distanziert und entschuldigt hat." Mehr will man bei Linken und Grünen aus der Sache nicht machen - öffentlich zumindest.

Schwerer wiegt, dass Busse sich inzwischen auch Angriffen aus den eigenen SPD-Reihen erwehren muss - zuletzt von Fraktionschef Raed Saleh, wegen Versäumnissen in den Haushaltsverhandlungen. Dass Saleh mit Busse unzufrieden ist, gehört zu den offenen Geheimnissen in der Koalition. Den nun eingebrachten Missbilligungsantrag der CDU gegen Busse wird die Koalition dennoch abschmettern: Die darin aufgezählten Versäumnisse, vor allem die fehlenden Lehrkräfte und Schulplätze, richten sich allesamt gegen Probleme, die lange vor Busse entstanden sind - in einer Verwaltung, die seit 1996 durchgehend von der SPD geführt wurde.

Giffey verteidigt Busse

SPD-Chefin Giffey jedenfalls hat ein Machtwort an die Busse-Kritiker in den eigenen Reihen geschickt. "Meine Unterstützung gilt der Bildungssenatorin", sagte Giffey Ende Mai nach einer Senatssitzung, über Rücktrittsszenarien müsse man also gar nicht erst sprechen. "Jeder, der sich hinstellt, und andere Dinge behauptet, tut das nicht im Sinne des Senats." In der Koalition wird das auch als klares Signal von Giffey im Machtkampf mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh gedeutet.

Allerdings dauerte Giffeys Verteidigung von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse lediglich 30 Sekunden. Es folgte ein fast achtminütiger, detailreicher und emotionaler Vortrag über die Herausforderungen des Berliner Bildungssystems und wie man sie bewältigen kann, von mangelhafter Ausbildung über ungleiche Lehrkräfteverteilung bis zu den Chancen der Lehrerverbeamtung.

Den Namen von Astrid-Sabine Busse erwähnte Giffey dabei nur einmal, in einem Nebensatz.

Sendung: Abendschau, 02.06.2022, 19:30 Uhr

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46 Kommentare

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  1. 46.

    Und welchen Punkt der Nettiquette machen Sie bei Ihrer Einlassung jetzt geltend? Den Nettiquette Text abzuschreiben ist nicht zielführend.

  2. 45.

    So versteht man beim RBB also Meinungsfreiheit und seine eigene Nettiquette. Auszug aus der Nettiquette:

    Nicht erlaubt sind:

    Beleidigungen, Entwürdigungen und Diskriminierungen von Personen, insbesondere aufgrund Ihrer Religion, Herkunft, Nationalität, körperlichen Verfassung, Einkommensverhältnisse, sexuellen Identität, Alters oder Geschlechts

    Politischer und religiöser Extremismus, Rassismus und Hasspropaganda

    Unwahre Tatsachenbehauptungen

  3. 44.

    Jetzt ist es auch zu verstehen, dass sie von den vor Jahren wahren (und heute auch noch)getätigten Aussagen zurück rudert und sich dem allgemein gültigen Mainstream anbiedert.
    Was für ein durchschaubares Spiel. Das Zurückrudern zeugte schon von wenig Rückgrat, in diesem Zusammenhang gar charakterlos.
    @brausekopp
    Meinen Sie mit der "Hinterlassenschaft" von Buschkowski die ihrer Doktorarbeitkopierenden Parteichefin und jetztige Regierenden Bürgermeisterin?

  4. 43.

    Die Befunde der Bildungssenatorin Busse sind allfällig bekannt, da sie nicht dem offiziellen linksgrünen Dogmatismus entsprechen, will man Busse jetzt los werden. Inoffiziell hingegen sieht die Ampel bei den jetzigen Ukraine-Flüchtlinge durchaus eine Win-Win Situation, was die Ampel bewegt , den Teppich nur für diesen gut integrierbaren Personenkreis für sofortiges volles Hartz 4 auszurollen.

  5. 42.

    Können Sie Ihre Aussage begründen?
    Oder geht es Ihnen um die Aussage von Frau Busse vor 12 Jahren?

  6. 41.

    Diese Thema wird in allen Bereichen verschwiegen, dabei ist es in ganz Berlin zu erleben. Aber das 3 Affen Prinzip beim Blick auf die Realität wird bevorzugt.
    PS Steglitz Zehlendorf hat dieses Phänomen auch.

  7. 40.

    Klassische Fehlbesetzung. Es geht in wie vielen Bereichen in Berlin zu allererst die Verwaltung zu reformieren. Zuständigkeiten, Digitalisierung, Fachkräfte - da muss die Politik ran. Inhaltlich ist da zweitrangig.

    Kurz: die Grundschullehrerin ersetzen durch einen erfahrenen Verwaltungsbeamten mit reichlich Macht und Vertrauen.

  8. 39.

    Die Senatorin zu Maßriegeln sollten alle unterlassen, zu allererst die Lehrer, welche von ihrer Grundhaltung mit Pastoren vergleichbar sind. Was interessiert mich der Lehrplan? Zensuren lieber nicht, wir wollen ja niemanden diskriminierend und es schadet der jugendlichen Seele. Dann fahren Sie mal im ÖPNV, da haben Sie selbst Seelenqualen.

  9. 38.

    Gegenfrage:Warum können die Absolventen der Klasse 10 keinen Dreisatz, z. B. 2% von 100? Wissen nicht wer das Land, geschweige den die Bundesrepublik Deutschland regiert?

  10. 37.

    Das ist nicht ganz richtig. Bücher dürfen bestellt und somit gekauft werden, für alles andere gilt noch Haushaltssperre. Wenn die in den Sommerferien aufgehoben wird sind dann noch 3,5 Monate zum Geld ausgeben bis Rechnungsschluss. In den Ferien ist ja keiner da zum bestellen, beantragen und Geld ausgeben.

  11. 36.

    Geld gutes Stichwort.
    Warum wird eigentlich nicht darüber berichtet, dass die Berliner Schule bis heute kein frei verfügbares Geld bekommen haben. Selbst Briefmarken müssen umständlich beim Amt beantragt werden. Bücher fürs kommende Schuljahr können nicht bestellt werden....
    Warum geht das nicht durch die Presse?

  12. 35.

    Wo soll man bitte in 2 oder 3 Monaten 900 Lehrkräfte her nehmen? Hier suchen wohl die Kumpane der Vorgänger Haare in der Suppe.
    Wir brauchen weniger Berufspolitiker und mehr Leute mit Praxis. Dass die sich in dem unsinnigen Vorschriftendschungel weniger auskennen als in der Praxis ist verständlich und allemal sinnvoller als umgedreht.
    Die Mauler sollten lieber den Vorschriftenmüll aus dem Weg räumen statt noch zusätzlich Steine in den Weg zu legen.

  13. 34.

    Wofür ist eigentlich die Netiquette, wenn in den Kommentaren regelmäßig fremdenfeindliche Äußerungen als Tatsache und "Wir man ja wohl noch sagen dürfen"-Äußerungen betitelt werden, ohne dass entsprechende Artikel entfernt werden?

    Zur Info: Nein, es ist nicht ok sich fremdenfeindlich zu äußern - erst recht nicht für Politiker.

  14. 33.

    Richtig beschrieben. Warum sollte sich zum Beispiel Herr Buschkowski für die gleichen Wahrheiten, Frau Richterin Heisig aus dem Grab heraus, entschuldigen? Die dieses fordern betreiben Klientelpolitik wider besseres Wissen. Hier wird Diskriminierung und Rassismus falsch definiert.

  15. 32.

    Warum bekommt die Senatorin keine Chance?
    Einmal eine unbequeme Meinung gesagt, und schon mahlen die Diffamierungsmühlen auf Windstärke 10?

  16. 31.

    Es muss jemand auf unser Geld achten, sonst ... "Wie entstehen Pleiten?" Zum Glück kümmert sich da jemand drum...der es kann.

    P.S. Zunächst muss es dem Senat mehr Geld wert sein, so wie vor jeder Wahl versprochen. Messen Sie nach, vergleichen Sie und ziehen dann Ihre Schlüsse.

  17. 30.

    Wie sagte schon Friedrich Dürrenmatt in seiner Komödie 'Romulus der Große':
    „Wer einen großen Skandal verheimlichen will, inszeniert am besten einen kleinen.“
    Einziger Unterschied: In Berlin ist Bildungspolitik seit Jahrzehnten eine Tragödie. Leider!

  18. 29.

    Gerade im Zusammenhang mit Schule und Bildung sollte man als Fragender den richtige Plural verwenden. Vor allem dann, wenn die Gesprächspartner so richtig sprechen, wie es der dt. Rechtschreibrat festgelegt hat und es gelehrt wird.
    Mit Frau Busse scheinen diejenigen noch eine Rechnung begleichen zu müssen, die aus eigenen Reihen mit besonders fraglichen Charaktereigenschaften nun auffallen und Diskriminierung empört falsch einsetzen. Damit schadet man mehr als es nutzt.

  19. 28.

    Ich bin entschiedener Gegner rechten Gedankengutes, aber wenn sie recht haben, dann haben sie recht ! Das sollte man auch mal anerkennen, anstatt nur destruktiv dagegen zu sein.

  20. 27.

    Ich kann nur hoffen und Daumen drücken, dass Frau Busse der ungerechtfertigten Kritik standhält und das Berliner Bildungssystem endlich reformiert! Nichts ist wichtiger, als unseren Nachwuchs, die nächste Generation für die Zukunft fit zu machen! Das fängt bei kleineren Klassengrößen an und hört bei Zugang zu IT (Ausstattung, Verfügbarkeit, ausgebildete Lehrkräfte) längst nicht auf! Bildet unsere Kinder vernünftig und zukunftsfähig aus! Das fängt übrigens nicht erst in der Schule an!

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