Streit um Bildungssenatorin Busse - Die unbequeme Quereinsteigerin

Astrid-Sabine Busse kennt das Berliner Schulsystem besser als alle ihre Amtsvorgänger:innen. Doch ob die ehemalige Schulleiterin auch dem Job als Bildungssenatorin gewachsen ist, wird immer mehr bezweifelt - vor allem innerhalb der rot-grün-roten Koalition. Von Sebastian Schöbel
Eine politische Quereinsteigerin führt als Bildungssenatorin ein Schulsystem, das ohne quereinsteigende Lehrkräfte zusammenbrechen würde: Zumindest metaphorisch hätte es kaum eine passendere Bildungssenatorin als Astrid-Sabine Busse geben können. Fast vierzig Jahre lang unterrichtete sie an Berliner Schulen, gut dreißig Jahre lang leitete sie eine Grundschule in Berlin-Neukölln. "Brennpunkterfahrung" wurde ihr nachgesagt, besonders von SPD-Chefin Franziska Giffey. Alle Probleme des Berliner Bildungssystems hat sie unmittelbar kennengelernt. Pädagog:innen wie Astrid-Sabine Busse schreiben normalerweise für Lehrergewerkschaften Brandbriefe an die Politik oder fordern in kritischen Manifesten umfassende Schulreformen. Sie führen aber in der Regel nicht die Berliner Bildungsverwaltung - bis jetzt.
Zweifel an Busses Amtsführung
Ob die Wahl von Busse eine gute war, bezweifeln inzwischen allerdings nicht wenige in der Berliner Politik - und vor allem auch in der Regierungskoalition. Offen aussprechen will es bislang niemand, doch das Flüstern hinter vorgehaltenen Händen ist längst laut und deutlich zu hören: Worte wie "überfordert", "unkommunikativ" und "unvorbereitet" fallen, nach Auftritten der Senatorin im Bildungsausschuss zweifeln nicht wenige Mitglieder am Sachverstand der neuen Bildungsverwaltungschefin. Elementare Fragen blieben unbeantwortet, für Details müsse die Senatorin auffällig oft ihre Staatssekretäre bemühen, so die Kritik. Parteiübergreifend würden dann schon mal entsetzte Nachrichten übers Handy ausgetauscht, hinter den Kulissen habe es des Öfteren "geknallt". Bei Busses teilweise recht hemdsärmeligen Ausführungen fühle man sich in die eigene Grundschulzeit zurückversetzt, raunt man sich in Koalitionskreisen zu - in Anspielung auf Busses früheren Job. Von einem "immensen Cringe-Faktor" ist die Rede. Aktuellstes Beispiel: Eine völlig missglückte Abfrage von potentiell problematischen Tattoos bei Referendar:innen, die schließlich kassiert werden musste.
Giffey: "Ihnen muss man Schule nicht erklären"
Gleichzeitig aber verweisen viele ihrer Kritiker:innen auch auf die schier unlösbaren Probleme im Bildungsbereich - und auf die notorisch schwierige Verwaltung dahinter. Vom unbeweglichen "Tanker" ist dann öfter die Rede. Dem fehlen im kommenden Schuljahr voraussichtlich 900 Lehrkräfte und Schulplätze, für Siebtklässler an Oberschulen genauso wie für ukrainische Flüchtlingskinder. Dazu kommen ein gigantischer Sanierungsstau in den Schulen, fehlende Internetanbindung oder die Herausforderung der Lehrerverbeamtung. "Mit Sorge" beobachte man daher Busses Amtsführung, sagt ein hochrangiger Koalitionär, zumal auch die Zweifel an der Befähigung ihrer beiden verwaltungsunerfahrenen Staatssekretäre wächst. Manche gehen sogar weiter und vermuten, dass sie nicht mehr lange durchhält.
Dabei wurde Astrid-Sabine Busse gerade wegen ihrer Praxisnähe zur Senatorin berufen, handverlesen von Senatschefin Franziska Giffey persönlich. Die beiden Frauen kennen sich aus gemeinsamen Neuköllner Zeiten. Giffey lobte ganz ausdrücklich Busses Erfahrung in einem bekannten Berliner Brennpunkt. "Ihnen muss man nicht erklären, was Schule in Berlin bedeutet", hatte Giffey im Dezember 2021 bei der Vorstellung der SPD-Senatoren gesagt. "Sie wissen es." Die 63-Jährige spreche "die Sprache derjenigen, für die sie Politik macht", lobte Giffey damals.
Umstrittene Aussagen über Migrant:innen
Dass diese Sprache mitunter sehr robust klingt, lernte man zuletzt durch Aussagen, mit denen Busse bereits 2009 in der "Süddeutschen Zeitung" zitiert wurde. Über arabischstämmige Eltern sagte die damalige Schulleiterin, diese "bleiben einfach untereinander". Den Willen zur Integration sprach Busse diesen Familien ab. "Man nimmt das Viertel in Besitz, und man lässt sich pampern." Die Sätze fanden sich später in Thilo Sarrazins umstrittenen Buch "Deutschland schafft sich ab" wieder.
Neu war das freilich nicht: Bereits im Januar 2004 hatte Busse dem rbb gesagt, Berlin erlebe "einen schleichenden Prozess der Islamisierung", und den halte sie "für sehr gefährlich".
Ausgerechnet SPD-Parteigenoss:innen gruben diese Aussagen zuletzt wieder aus und machten sie bei Twitter publik. Was folgte, war ein Shitstorm. Busse entschuldigte sich schließlich dafür, zuletzt in einem Brief an den Landesschulbeirat. Sie habe mit ihren Aussagen von einst nur "wachrütteln" wollen, so Busse. Nie aber sei es darum gegangen, "Menschen abzuwerten, geringzuschätzen, über einen Kamm zu scheren oder pauschal in Gruppen einzuteilen". Sarrazzins Thesen seien hingegen "rassistisch, realitätsfern und menschenverachtend". Die ganze Sache tue ihr "aufrichtig leid".
Linke nennt Busses Aussagen "klar rassistisch"
"Klar rassistisch und abwertend gegenüber arabischstämmigen Menschen" seien diese Aussagen gewesen, sagt Elif Eralp, die migrationspolitische Sprecherin der Linken auf Nachfrage der rbb|24-Abendschau. Um dann zur Bewahrung des Koalitionsfriedens hinterherzuschieben: "Ich bin sehr froh, dass sich Frau Busse davon distanziert und entschuldigt hat." Mehr will man bei Linken und Grünen aus der Sache nicht machen - öffentlich zumindest.
Schwerer wiegt, dass Busse sich inzwischen auch Angriffen aus den eigenen SPD-Reihen erwehren muss - zuletzt von Fraktionschef Raed Saleh, wegen Versäumnissen in den Haushaltsverhandlungen. Dass Saleh mit Busse unzufrieden ist, gehört zu den offenen Geheimnissen in der Koalition. Den nun eingebrachten Missbilligungsantrag der CDU gegen Busse wird die Koalition dennoch abschmettern: Die darin aufgezählten Versäumnisse, vor allem die fehlenden Lehrkräfte und Schulplätze, richten sich allesamt gegen Probleme, die lange vor Busse entstanden sind - in einer Verwaltung, die seit 1996 durchgehend von der SPD geführt wurde.
Giffey verteidigt Busse
SPD-Chefin Giffey jedenfalls hat ein Machtwort an die Busse-Kritiker in den eigenen Reihen geschickt. "Meine Unterstützung gilt der Bildungssenatorin", sagte Giffey Ende Mai nach einer Senatssitzung, über Rücktrittsszenarien müsse man also gar nicht erst sprechen. "Jeder, der sich hinstellt, und andere Dinge behauptet, tut das nicht im Sinne des Senats." In der Koalition wird das auch als klares Signal von Giffey im Machtkampf mit SPD-Fraktionschef Raed Saleh gedeutet.
Allerdings dauerte Giffeys Verteidigung von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse lediglich 30 Sekunden. Es folgte ein fast achtminütiger, detailreicher und emotionaler Vortrag über die Herausforderungen des Berliner Bildungssystems und wie man sie bewältigen kann, von mangelhafter Ausbildung über ungleiche Lehrkräfteverteilung bis zu den Chancen der Lehrerverbeamtung.
Den Namen von Astrid-Sabine Busse erwähnte Giffey dabei nur einmal, in einem Nebensatz.
Sendung: Abendschau, 02.06.2022, 19:30 Uhr