Lehrkräftemangel - Berliner Verbeamtung könnte in Brandenburg zum Problem werden

Das Land Brandenburg muss neue Trumpfkarten ziehen, um Lehrkräfte zu gewinnen: Das Berliner Personal lässt sich nun nicht mehr so einfach mit einer Verbeamtung in die Mark locken, denn die gibt es künftig auch in Berlin. Von Andreas Hewel
Auch im kommenden Schuljahr müssen in Brandenburg weit über 1.000 Lehrerinnen und Lehrer neu eingestellt werden. Auch diesmal werden die Schulämter auf viele Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger zurückgreifen müssen, um den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern ausgleichen zu können.
In Berlin sieht es ähnlich aus. Hier beginnt man nun, um neue Lehrkräfte zu locken, diese wieder zu verbeamten, so wie in den anderen Bundesländern. In der Region gab es das bislang nur in Brandenburg. In der Mark legt man jetzt nach und will nun auch Quereinsteiger verbeamten, wenn diese das wollen. Der Ringen um Lehrerinnen und Lehrer in der gesamten Region geht damit in die nächste Runde.
Verbeamtung war die Brandenburger Trumpfkarte
Lange war die Verbeamtung die Trumpfkarte für die Brandenburger Schulämter, wenn sie um neue Lehrkräfte warben. Sicheres Geld, sicherer Job und später eine Pension, die es mit jeder Rente aufnehmen kann. Das lockte auch so manche Lehrerin oder Lehrer aus Berlin nach Brandenburg. Gerade im Speckgürtel um die Hauptstadt war das attraktiv, konnten und können dort doch viele von ihnen pendeln. Andere zogen und ziehen gern aufs Land. Gerade die Sicherheit einer Beamtenstelle beflügelt den Umzug ins Grüne.
Jetzt aber ist diese Brandenburger Trumpfkarte dahin. Berlin selbst will seine neuen Lehrerinnen und Lehrer wieder verbeamten. Brandenburg wird das zu spüren bekommen, fürchtet Günther Fuchs, der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Brandenburg. Er schätzt, dass die Zahl der Lehrkräfte, die neu aus Berlin kommen, um rund die Hälfte abnehmen wird.
Und ein weiteres Phänomen beobachtet er: Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer, die einst aus Berlin kamen, suchen eine Beratung bei der GEW. Sie wollen erfahren, wie sie als Beamte wieder nach Berlin zurückwechseln können. Noch sind dies überschaubare Dimensionen, aber die Zahlen steigen, zum Nachteil von Brandenburg. So haben 2019 noch 71 Lehrkräfte beantragt, von Berlin nach Brandenburg zu wechseln. Bei vielen, so Fuchs, sei die Verbeamtung in Brandenburg der Grund gewesen. Nur 23 Lehrkräfte wollten damals den umgekehrten Weg nach Berlin gehen. Dieses Jahr wollen zum Schuljahrwechsel bislang nur noch 48 Lehrerinnen und Lehrer von Berlin nach Brandenburg. Nach Berlin dagegen wollen 38.
Besonders große Lücken auf dem Land
Wie viele Lehrerinnen und Lehrer insgesamt aus Berlin kamen und nun in Brandenburg arbeiten, darüber gibt es keine genaue Statistik. Die Schulämter erfassen solche Daten nicht. Aber die Schätzungen der GEW liegen bei 1.000 bis 1.400 von rund 21.000 Lehrkräften überhaupt in öffentlichen Schulen. Auch über den Weg von Beamten zurück nach Berlin gibt es keine Zahlen.
Die Berliner Bildungsverwaltung erklärt auf rbb-Anfrage, dass eine "gesonderte statistische Erfassung des freigebenden Bundeslandes" der Datenschutzgrundverordnung widersprechen würde. Insofern könne keine belastbare Anzahl von Bewerbungen aus Brandenburg benannt werden.
Brandenburg setzt so auch im kommenden Schuljahr vor allem auf die Unterstützung von Quereinsteigern, um die schätzungsweise 1.200 freien Stellen im Sommer besetzen zu können.
Wie hoch die Zahlen wirklich sein werden, wird man erst im August sagen können. Doch schon jetzt rechnet Günther Fuchs von der GEW mit einem viel höheren Bedarf. 1.600 neue Lehrkräfte würde man brauchen, rechnet er vor, um die Lücken schließen zu können. Hinzu kommt, dass der Lehrkräftemangel nicht gleichmäßig über das Land verteilt ist. Besonders schnell tun sich diese Lücken in den ländlichen Bereichen auf. Sicher scheint allerdings, dass das Problem Lehrerknappheit noch lange andauern wird.
Landstipendien und mehr Schulpraxis
Das Land Brandenburg ringt unterdessen um jede Lehrerin und jeden Lehrer. Neben dem Lockvogel Verbeamtung geht man auch an die Uni Potsdam. 25 Landstipendien werden hier pro Jahr vergeben. Lehramtsstudierende bekommen Geld, wenn sie sich danach verpflichten, eine gewisse Zeitlang an einer Brandenburger Schule zu unterrichten.
Das ist gut, aber auch nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, klagt Ines Mühlhens-Hackbarth vom Landesschulbeirat Brandenburg. Sie ist Leiterin der Grundschule Fichtenwalde in Beelitz. Sie versteht nicht, warum es zum Beispiel für ein Lehramtsstudium an der Grundschule einen NC braucht. Besser sei es, Lehramtsstudierende frühzeitig an die Schulpraxis zu gewöhnen. Die Aushilfsprogramme, die es zu Corona-Zeiten an den Schulen gab, als Studierende in der Unterrichtsbegleitung eingesetzt wurden, seien eine gute Vorlage. Auch damit würde man Studierende binden. Und wer erstmal an einer Schule ist, der bleibt in der Regel auch erstmal dort. Wieder abwandernde Berlin-Zuzügler jedenfalls hat Mülhens-Hackbarth in ihrer Grundschule nicht. Kein einziger von ihnen sei wieder gegangen.
Günther Fuchs wiederum wünscht sich, dass das Stipendienprogramm für Lehramtsstudierende deutlich ausgebaut wird. Denn das Problem mit dem Lehrkräftemangel wird seiner Einschätzung nach noch lange bleiben. "10 bis 15 Jahre lang", sagt er. Das ist eine ganze Schülergeneration - von der ersten Klasse bis zum Abi.
Sendung: Fritz, 13.06.2022, 22 Uhr