Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche - "Ich habe noch niemanden erlebt, der damit unverantwortlich umgeht"

Frauenärzt:innen dürfen von Freitag an legal über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Nicht allen geht dieser Schritt weit genug. Ärzt:innen fordern das Ende der Pflichtberatungen und der Bedenkzeit für ungewollt schwangere Frauen. Von Anna Bordel
"Vereinbaren Sie einen Termin bei uns, wir lassen sie in dieser Situation nicht allein", so heißt es auf der Webseite der Frauenärztinnen Köpenick unter der Rubrik Schwangerschaftsabbruch. Der Satz richtet sich an Frauen, die ungewollt schwanger sind. Die auf der Suche nach Informationen dazu sind, wie sie ihre Schwangerschaft beenden können. Der Hinweis "nicht allein zu sein" ist alles, was sie auf den Homepages von Frauenärzt:innen finden können. Häufig fehlt selbst diese Anmerkung – bis jetzt.
Der Bundestag beschloss am Freitag mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Linken die Streichung des Paragrafen 219a, demzufolge die Werbung für Schwangerschaftsabbrüche für Frauenärzt:Innen verboten war. Das Vorhaben hatte die Ampelkoalition so in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Für Frauenrechtler:Innen ist die Umsetzung ein großer Erfolg. Ärzt:innen können von nun an legal auf ihrer Webseite und auf Veranstaltungen Details und Hinweise zum Schwangerschaftsabbruch geben.
100.000 abgebrochene Schwangerschaften pro Jahr
"Dann kann man über den Ablauf informieren, darüber wie die Medikamente wirken und was die Patientinnen mitbringen sollen. Die Frauen sind dadurch besser vorbereitet", sagt Christiane Tennhardt, eine von den Frauenärztinnen Köpenick und aktiv bei der Bewegung "Pro Choice", die sich für die Abschaffung des Paragrafen 219a einsetzte.
"Ein Schwangerschaftsabbruch ist keine seltene Erkrankung, wo ich eine Betroffene pro 100.000 habe, sondern ich habe 100.000 Betroffene pro Jahr. Das ist nichts Seltenes", so Tennhardt. Allein in Berlin wurden im Jahr 2020 dem Amt für Statistik Berlin und Brandenburg zufolge 9.790 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, etwa 1,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Brandenburg waren es mit 3.366 Abbrüchen etwa 0,4 Prozent mehr als noch 2019.
Die meisten Frauen, die in beiden Bundesländern ihre Schwangerschaften abgebrochen haben, waren laut Statistik zwischen 30 und 40 Jahre alt - in Berlin knapp 45, in Brandenburg knapp 50 Prozent. In ganz Deutschland wurden 2020 laut Statistischem Bundesamt 99.948 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt.
Für Informationen und Interviews angezeigt
Für die Frauen bedeutet die Streichung des Paragrafen mehr Orientierung in einer Situation, die ohnehin überfordernd ist. "Wann macht man einen Schwangerschaftstest? Man kommt nach der Arbeit nach Hause und denkt, jetzt bin ich ja schon drei, vier Tage überfällig. Dann holt man sich einen Schwangerschaftstest und sieht vielleicht abends um zehn: 'Oh, ich bin schwanger'", sagt Tennhardt. Von nun an könnten diese Frauen sich in Ruhe informieren, ohne sich ziellos im Internet die Informationen zusammen suchen zu müssen.
Auch Ärzt:Innen profitieren von der Streichung. Sie können sich von nun an legal zu der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen äußern, das bedeutet einigen von ihnen viel. Alicia Baier, Ärztin in der Weiterbildung zur Gynäkologin am Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg, wurde vor zwei Jahren angezeigt für ein Interview, das sie gab. "Ich habe über die unterschiedlichen Methoden zur Abtreibung informiert", so Baier, daraufhin wurde sie nach Paragraf 219a von dem Abtreibungsgegner Andreas Düren angezeigt. Die Anzeige wurde nach vier Monaten fallen gelassen. "Das war eine sehr anstrengende Zeit für mich", sagt Baier. Jetzt ist sie froh darüber, dass sie in Zukunft ohne Sorge vor einer Anzeige über Schwangerschaftsabbrüche informieren kann.
Chirurgische vs. medikamentöse Methode
Teil ihrer Ausbildung sind Schwangerschaftsabbrüche zunächst nicht gewesen und da ist Baier kein Einzelfall. Im Studium wird der Schwangerschaftsabbruch häufig eher im ethischen oder rechtlichen Zusammenhang erwähnt. Mit der Initiative "Medical Students for Choice Berlin" erwirkte Baier schließlich, dass an der Charité Schwangerschaftsabbrüche Teil des Medizinstudiums wurden. Die Regel sei das aber noch nicht.
"Während der Weiterbildung zur Gynäkologie werden Schwangerschaftsabbrüche oft nicht gelehrt, da viele Krankenhäuser keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen", so Baier. Dort sei höchstens die chirurgische Methode Teil der Ausbildung. Aber auch nur dann, wenn ein Absauggerät in der jeweiligen Klinik vorhanden sei, mithilfe dessen man bei Fehlgeburten die Gebärmutter aussaugt, ein operativer Eingriff. Viele Abbrüche werden derweil ambulant durch die Einnahme von Tabletten durchgeführt. "Die medikamentöse Methode ist für viele Frauen eine sehr gute Option und es ist in den meisten Fällen kein operativer Eingriff nötig", so Baier.
Paragraf 218 führt Abbruch als Straftatbestand
In vielen unterversorgten Regionen wie Bayern oder Brandenburg stehe die medikamentöse Methode allerdings eher selten zur Verfügung. Da werde in OP-Zentren eher die chirurgische Methode des Absaugens, in einzelnen Fällen sogar noch die veraltete Ausschabungsmethode angewandt. Baier wünscht sich deshalb, dass Schwangerschaftsabbrüche Teil der medizinischen Ausbildung werden und die Politik Schritte unternimmt, die Unterversorgung in einigen Regionen zu beheben.
Außerdem wäre da noch der Paragraf 218. "Der hat im Strafgesetzbuch gar nichts zu suchen", sagt Frauenärztin Tennhardt. "Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft", heißt es in dem Paragrafen. Solange der Schwangerschaftsabbruch noch als Straftatbestand im Gesetzbuch geführt werde, sei man nicht am Ziel. "Der Schwangerschaftsabbruch muss ein normaler medizinischer Eingriff sein, der zum öffentlichen Gesundheitssystem dazu gehört", sagt auch Baier. Die gesetzliche Verpflichtung sich beraten zu lassen und danach drei Tage nachzudenken, finden beide Ärztinnen ebenfalls nicht haltbar.
Generationenwechsel bei Ärzt:innen steht bevor
"Beratung ist ein schönes Angebot und für manche Frauen ist das super, aber eine Zwangsberatung sollte abgeschafft werden. Es gibt Frauen, die brauchen zehn Tage, um nachzudenken, andere wissen sofort, was sie möchten, nachdem sie den Schwangerschaftstest gesehen haben", so Tennhardt. Den Frauen müsse man die Entscheidung schon selbst überlassen, schließlich sei es ihr Körper und das Leben des Kindes könne nicht getrennt davon gesehen werden. "Ich habe auch noch niemanden erlebt, der damit unverantwortlich umgeht", so Tennhardt.
Zurzeit gibt es noch genug Ärzt:innen in Berlin, die den Eingriff durchführen, so Tennhardt. Die Liste mit den Praxen, in denen Abbrüche angeboten werden, ist schnell auf berlin.de auffindbar, auf den Praxis-Seiten selbst fehlt dann wiederum häufig ein Hinweis auf die angebotene Leistung.
Für Brandenburg ist eine solche Auflistung der Ärzt:innen hingegen im Netz nicht zu finden. Eine Mitarbeiterin von Pro Familia, einem bundesweiten Verbund von Beratungsstellen, gibt an, dass es eine solche Liste nur intern gebe. Zudem sei man mitten in einem Generationswechsel, so Tennhardt.
Viele Kolleg:Innen, die im Moment noch Schwangerschaftsabbrüche anbieten, würden in den nächsten Jahren in Rente gehen. Es ist fraglich, ob genügend Kolleg:innen nachkommen, die Abbrüche durchführen. In der Ausbildung gelernt haben sie darüber vermutlich nicht allzu viel.
Sendung: rbb24 Abendschau, 24.06.2022, 19:30 Uhr
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