Nach Todesfahrt am Tauentzien - Jarasch sieht in Verkehrsberuhigung keine Lösung für Sicherheitsfragen

Nach der Todesfahrt wird über das Verkehrskonzept in der City West diskutiert. Die SPD im Bezirk fordert tiefgreifende Änderungen. Verkehrssenatorin Jarasch sieht in baulichen Maßnahmen keine Lösung und die Regierende Bürgermeisterin spricht sich gegen eine Sperrung für Autos aus.
Berlins Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) sieht keine Lösung darin, die Debatte um die Verkehrsberuhigung des Tauentzien und Sicherheitsfragen miteinander zu vermischen. "So schrecklich es ist, solche Gewalttaten sind nicht durch bauliche Maßnahmen zu verhindern. Selbst wenn alle Sicherungsmaßnahmen, die in den vergangenen Jahren erdacht, erarbeitet und diskutiert worden sind, umgesetzt wären, hätte diese Tat, diese Amokfahrt vorgestern ganz genau so stattfinden können", sagte Jarasch am Freitag in einem rbb-Interview.
Am Mittwoch hatte ein 29-Jähriger am Tauentzien eine Frau mit einem Auto getötet und mehr als 30 Menschen verletzt. Der Tatverdächtige gilt als psychisch krank und wurde in eine Klinik eingewiesen.
Seit dem Attentat am Breitscheidplatz 2016 wird über Sicherheitskonzepte für den Platz diskutiert. Bis dato ist die Debatte nicht zu einem Abschluss gekommen, bestätigte die Verkehrssenatorin. Sie nehme das jetzt aber sehr gern zum Anlass, um gemeinsam mit Innenverwaltung und Bezirk zu schauen, ob man da voran komme. "Die Frage Verkehrsberuhigung und Aufenthaltsqualität Tauentzien und die Sicherheitsfrage Breitscheidplatz sollte man trennen. Und zur Wahrheit gehört eben auch: Wenn man ein Auto missbrauchen will, um damit willkürlich Menschen umzufahren, dass man das überall in der Stadt leider jederzeit tun kann. Außer wir wollten die ganze Stadt autofrei machen", betonte Jarasch im rbb-Interview.
Giffey stellt sich gegen Pläne der Genossen im Bezirk
Unterdessen hat sich Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gegen Vorschläge ausgesprochen, Teile des Kurfürstendamms und der Tauentzienstraße für den Autoverkehr zu sperren, um Anschläge und Amokfahrten zu verhindern. Dies werde nicht davor schützen, dass sich Menschen bewaffnen und dann zu Fuß auf den Weg machen, sagte Giffey am Freitag dem Sender Phoenix. "Wer so eine Tat begehen will, findet auch ohne Auto Wege", so Giffey.
Nach der tödlichen Autofahrt am Breitscheidplatz werde man gemeinsam mit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, das die Federführung habe, das Sicherheitskonzept überprüfen, sagte Giffey. Auch mit der Polizei werde man sich beraten, hinsichtlich des Tathergangs.
Klar sei aber, dass man nicht alle Stellen mit Pollern absichern könne. Es sei in einem Gebiet passiert, wo es nach dem Anschlag von 2016 bereits viele Absicherungen gebe.
Bezirks-SPD will schnelles und dauerhaftes Verkehrskonzept
Am Freitag hatte die Bezirks-SPD von Charlottenburg-Wilmersdorf einen Sicherheitsplan für die City West eingefordert. "Der Raum um den Zoo muss endlich sicherer gemacht werden", teilte der Fraktionsvorsitzende Alexander Sempf am Donnerstagabend mit.
Es sei ein "dauerhaftes Verkehrskonzept für den Kern der City West" nötig. Das müsse schnell umgesetzt werden. "Die Diskussionen ziehen sich seit Jahren hin, und wir müssen endlich Entscheidungen treffen", ergänzte Sempf.
"Die furchtbare Amoktat macht klar, dass jetzt wirklich was passieren muss", konkretisierte Sempf. Die Pläne der SPD-Fraktion sehen vor, dass der Breitscheidplatz und dessen nähere Umgebung dauerhaft abgesichert werden. Das Sicherheitskonzept solle auch die umliegenden Straßen wie die Budapester Straße, den Tauentzien, den Kurfürstendamm, die Hardenbergstraße, die Kantstraße sowie Nebenstraßen einbeziehen.
Bezirksamt will vorhandene Pläne schnell umsetzen
Auch das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf drängte nach dem Vorfall in der City West nun auf die schnelle Umsetzung der vorhandenen Sicherheits- und Verkehrskonzepte für den Breitscheidplatz. "Die Zeit des Abwägens ist vorbei. Die Konzepte für den Breitscheidplatz und die umliegenden Straßen müssen jetzt sofort umgesetzt werden", forderte Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch (Grüne). "Wir müssen die hohe Gefährdung des Breitscheidplatzes über die Verkehrslenkung in den Griff bekommen." Die derzeitigen schweren Absperrungen aus großen Betonklötzen zum Schutz des Platzes könnten dann wieder entfernt werden, fügte Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) hinzu.
Bisher liegt ein Konzept des Bezirksamts für den nördlichen Teil des Platzes und die Budapester Straße vor. Es sieht vor, die beiden südlichen Spuren der Budapester Straße dem Platz zuzuschlagen. Jenseits des Mittelstreifens bliebe dann noch Platz für jeweils eine Spur in jede Richtung. Die geradlinige Fahrt auf den Breitscheidplatz wäre dann aus keiner Richtung mehr möglich.
Bauch und Schruoffeneger räumten ein, dass sich natürlich sich nicht die ganze Stadt schützen lasse. Aufgabe der Politik sei es aber, auf den großen öffentlichen Plätzen für Sicherheit zu sorgen. Der Durchgangsverkehr müsse dann weiträumiger um den Innenstadtbereich umgeleitet werden, hieß es. Diskussionen über die grundsätzlich Sperrung der Tauentzienstraße für Autos sollten aber nicht jetzt geführt werden. Zunächst gehe es um das bereits vorhandene Sicherheitskonzept.
Sofern es aber einen entsprechenden Senatsbeschluss geben sollte, könnten die Pläne ab Herbst provisorisch umgesetzt werden, teilte Bezirksbürgermeisterin Bauch am Freitag bei der Vorstellung der Pläne mit. Im Zuge dessen würden dann auch die Poller auf dem Breitscheidplatz zurückgebaut werden, hieß es.
Die Senatsinnenverwaltung hat zudem ein Konzept für den Bereich südlich des Platzes vorgelegt. Geplant ist eine deutliche Veränderung der Einmündung der Rankestraße zum Kurfürstendamm hin. Durch einen Umbau des Mittelstreifens könnten Fahrzeuge auf dem Kurfürstendamm in Richtung Breitscheidplatz nicht mehr in gleichem Maße beschleunigen wie bisher.
Berliner CDU äußert deutliche Kritik
Kritik an den Plänen kommt von der Berliner CDU. Der tödliche Vorfall dürfe von den Grünen "nicht für ihre ideologische Verkehrspolitik missbraucht werden", heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Mitteilung. "Die Tränen der Opfer sind noch nicht getrocknet, da wollen die Grünen im Bezirk aus der entsetzlichen Amokfahrt politisches Kapital schlagen", konkretisierte der verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici. Das sei "respektlos".
"Mit dem Rückbau weiterer Straßen lassen sich psychisch Kranke nicht stoppen", ergänzte der CDU-Politiker. Daher sei der Vorschlag der Bezirksbürgermeisterin absurd. "Wir stehen vor der großen Herausforderung, den tödlichen Vorfall gemeinsam aufzuarbeiten. Dazu erwarten wir sachliche Beiträge auch der Grünen, keine Parteipolitik." Es müsse nun gemeinsam mit Sicherheitsexperten in Ruhe überlegt werden, welche Maßnahmen sinnvoll seien – am Breitscheidplatz und darüber hinaus. Friederici plädierte dafür, stattdessen Poller wie an der US-Botschaft oder der britischen Botschaft zu verwenden. Das könne ein Modell sein, um den Menschen auf den Gehwegen Sicherheit zu geben. Die Poller seien versenkbar, so dass Versorgungsfahrzeuge ebenso wie Feuerwehr und Polizei passieren könnten.
FDP beklagt Aktionismus
Jedes Jahr aufs Neue werde über alternative Ideen zur Sicherheitslage des Weihnachtsmarkts am Breitscheidplatz diskutiert. Leider passierte selbst im fünften Jahr nach dem Anschlag dort nichts, beklagte Felix Recke-Friedrich, FDP-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf. "Wenn jetzt sowohl Frau Bezirksbürgermeisterin Bauch als auch die SPD davon sprechen, dass 'schnell etwas passieren müsse', ist das leider nur Aktionismus - wünschenswert wäre es allemal", betonte Recke-Friedrich.
Breitscheidplatz und Umgebung:
Sendung: rbb24 Abendschau, 10.06.2022, 19:30 Uhr
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