Verwaltung - Berliner können nicht mal ein Viertel der Behördengänge online erledigen

Di 07.06.22 | 07:28 Uhr | Von Tobias Schmutzler, Sylvia Tiegs
  60
Symbolfoto: Eine Frau sitzt im Homeoffice auf einem Teppich und arbeitet an einem Laptop (gestellte Szene) (dpa / Sebastian Kahnert).
Video: rbb24 Abendschau | 07.06.2022 | T. Schmutzler | Bild: dpa-Zentralbild

Einen neuen Perso beantragen oder die Wohnung ummelden: In Berlin ist das bis heute nicht online möglich. Dabei hatten Bund und Länder fünf Jahre Zeit, ihre Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Von Tobias Schmutzler und Sylvia Tiegs

137 von 575: Diese Zahlen zeigen, wie schleppend die Digitalisierung der Verwaltung vorankommt. In Berlin können Bürgerinnen und Bürger bisher 137, also weniger als ein Viertel der insgesamt 575 möglichen Behördengänge online erledigen.

"Die Menschen müssen sich aktuell ans Bürgeramt anpassen, und nicht das Bürgeramt an die Menschen", sagt die Berlinerin Beneta Curri. Die 19-Jährige steht vor dem Bürgeramt Neukölln und holt gleich ihren neuen Personalausweis und Reisepass ab, beide hatte sie vor drei Wochen beantragt.

Das reine Abholen geht sogar ohne Termin, darüber zeigt sich Curri erleichtert. Denn mit Terminbuchungen beim Bürgeramt habe sie bisher nur negative Erfahrungen gemacht. "Vor einem Jahr, als ich meinen neuen Wohnort melden wollte, habe ich zweieinhalb Monate auf einen Termin gewartet. Dafür, dass ich am Ende nur zwei, drei Minuten im Amt drin war", sagt sie. Den Termin hatte sie zudem nicht in der Nähe ihres neuen Wohnorts in Reinickendorf, sondern in Marzahn bekommen.

Perso beantragen geht nicht, Elektrosmog melden schon

Fast jeder Mensch in Berlin kann Horrorgeschichten über Bürgeramtstermine erzählen. Abhilfe schaffen sollte eigentlich das sogenannte Onlinezugangsgesetz. Im August 2017 vom Bundestag beschlossen, war das Ziel, dass Bund, Länder und Kommunen alle 575 Verwaltungsdienstleistungen auch online anbieten.

Unter den in Berlin heute möglichen 137 [service.berlin.de] sind einerseits für viele Menschen nützliche Angebote wie der Antrag für einen Anwohnerparkausweis oder einen Mietzuschuss als Wohngeld. Andererseits finden sich auf der Liste auch eher spezielle Dienstleistungen wie eine Beschwerde über Elektrosmog oder der Antrag für eine Waffenbesitzkarte. Eins ist allerdings klar: Die absoluten Grundlagen wie Personalausweis beantragen oder Wohnung ummelden sind online bisher nicht möglich.

Ende dieses Jahres endet die ursprüngliche Frist des Onlinezugangsgesetzes, bis zu der alle Dienstleistungen digitalisiert sein sollten. Aber schon jetzt steht fest: Das Projekt wird scheitern. "Bund und Länder haben sich mittlerweile darauf verständigt, dass diese Leistungen im Jahr 2022 nicht mehr zu erreichen sind. Das war auch ehrlich gesagt schon ziemlich früh klar", sagt Ralf Kleindiek. Den SPD-Politiker hat die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als ersten "Chief Digital Officer" des Landes Berlin eingesetzt - der Staatssekretär für Digitales soll dem Ganzen mehr Schwung verleihen.

Staatssekretär: Die anderen Bundesländer haben es auch nicht geschafft

Kleindiek ist wichtig, zu betonen, dass Berlin nicht alleine gescheitert sei. "In keinem Bundesland sind die 575 Dienstleistungen auch nur annähernd online bereitgestellt", sagt er. Immerhin: In diesem Jahr sollen in Berlin noch 20 weitere Behördengänge digitalisiert werden, im kommenden Jahr 130, kündigt der Staatssekretär an. Dazu sollen die Wohnsitzanmeldung, die An- und Ummeldung von Kraftfahrzeugen und die Beantragung der Wohngeldberechtigung gehören. Doch weitere Beispiele können oder wollen weder Kleindiek noch die Pressestelle der Innenverwaltung dem rbb nennen.

Für die Zukunft verspricht der Politiker einen verbindlichen Zeitplan, der in der Berliner Landesregierung verabredet werden soll. "Ich werde dem Senat einen Vorschlag machen, in welcher Reihenfolge und in welchem Zeitrahmen welche Dienstleistungen durch die jeweiligen Senatsverwaltungen digital bereitgestellt werden müssen", sagt Kleindiek. Der Staatssekretär räumt ein, in der Vergangenheit habe es zu wenig klare Verabredungen innerhalb des Senats gegeben. "Es gab nach meinem Eindruck nicht immer den nötigen politischen Nachdruck, die Dinge voranzubringen", so Kleindiek. Indirekt ist das auch eine Kritik an der Dauerregierungspartei SPD, die seit 21 Jahren die Regierenden Bürgermeister sowie in der vergangenen Legislaturperiode den zuständigen Innensenator gestellt hat.

Es gab nach meinem Eindruck nicht immer den nötigen politischen Nachdruck, die Dinge voranzubringen.

Ralf Kleindiek, "Chief Digital Officer" des Landes Berlin und Staatssekretär für Digitales und Verwaltungsmodernisierung

FDP: Berlin gibt "peinliches Bild" ab

Ein Hindernis bei der Digitalisierung seien bisher die strengen bürokratischen Vorgaben des Bundes gewesen, sagt Kleindiek. Der Knackpunkt heißt "Schriftformerfordernisse": Damit ist die persönliche Unterschrift per Hand gemeint, die bei vielen Anträgen immer noch gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Hürde sei heutzutage in vielen Bereichen nicht mehr nötig, eine digitale Unterschrift würde genügen, sagt der SPD-Politiker. Dafür müssten aus seiner Sicht Bundesgesetze geändert werden.

Doch die oppositionelle FDP findet, der IT-Staatssekretär könne die Verantwortung nicht nur an andere abschieben. "Den Kopf da jetzt aus der Schlinge zu ziehen und zu sagen: Der Bund hat zu hohe Anforderungen an das Land – das ist ein bisschen einfach gedacht", sagt Roman-Francesco Rogat, der Sprecher für Verwaltungsmodernisierung bei den Liberalen. "Das Land Berlin hat sich ja auch noch damit gerühmt, Vorkämpfer zu sein, dass die Fristen für das Onlinezugangsgesetz verlängert werden – das ist eher ein peinliches Bild, das wir abgeben."

Fehlen dem "Chief Digital Officer" zentrale Durchgriffsrechte?

Grundsätzlich begrüße die FDP, dass die Digitalisierung der Verwaltung nicht mehr, wie in der Vergangenheit, auf drei Staatssekretäre aufgeteilt sei. Dennoch befürchtet Rogat, wie er sagt, dass Ralf Kleindiek als erster "Chief Digital Officer" am Ende von den Behörden ausgebremst werden könnte. "Das größte Problem ist, dass er zwar viel von den unterschiedlichen Verwaltungsebenen einfordern kann, aber selbst keine zentralen Durchgriffsrechte hat. Das blockiert massiv, da müsste er mehr Kompetenzen bekommen."

Aber nicht nur die eigenen Behörden muss Berlin digitalisieren, auch im Großprojekt des Onlinezugangsgesetzes spielt das Land eine wichtige Rolle. Denn Bund und Länder haben sich die Arbeit aufgeteilt. Berlin ist unter anderem für die Digitalisierung von vielem zuständig, was mit Nachweisen zu tun hat [onlinezugangsgesetz.de]: darunter die Ausstellung von Ehe- und Geburtsurkunden und von Führungszeugnissen. Außerdem soll Berlin Dienste rund um den Personalausweis digitalisieren – damit ist aber nicht die Beantragung gemeint, sondern beispielsweise die Meldung, wenn man einen Ausweis verloren hat.

Wer passt sich an: das Bürgeramt oder die Menschen?

Die Tür zum Bürgeramt Neukölln öffnet sich, Beneta Curri kommt aus dem Gebäude. Sie wirkt erleichtert, als sie ihren neuen Personalausweis und den Reisepass in der Hand hält. Aber auf den nächsten – aus ihrer Sicht unnötigen – Behördengang habe sie schon jetzt wenig Lust. "Es wäre schön, wenn das Gesetz durchgesetzt wird", sagt sie über die Vorgaben, mehr Behördengänge von zuhause aus zu ermöglichen. "Für die meisten Menschen wäre es einfacher, wenn sie nicht wegen Kleinigkeiten zum Bürgeramt müssen."

In der Vergangenheit habe sie manchmal schon ihrer Arbeitsstelle absagen müssen, um einen Termin beim Amt wahrnehmen zu können. Hoffentlich sei es eines Tages so weit, dass sich das Bürgeramt an die Menschen anpasse, und nicht umgekehrt, sagt Beneta Curri. Vielleicht kann sie ihren nächsten Personalausweis in sechs Jahren ja online beantragen.

Sendung: Inforadio, 07.06.2022, 06.11 Uhr

Beitrag von Tobias Schmutzler, Sylvia Tiegs

60 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 60.

    Wenn die gelebte Praxis anders ist als das was definiert ist, dann ist das doch super!

  2. 59.

    Ich glaube die Lebenszeit kann man sich sparen. Sind doch bewusst aufs Land gezogen. Da muss man halt Abstriche machen. Wozu dann auch noch darüber berichten?

  3. 58.

    Erst entscheidet man sich fürs Landleben und dann fordert man Großstadtstandard. Über so viel Naivität kann ich nur lachen. Wachen Sie doch bitte aus Ihrer Traumwelt auf oder sind Sie Realsatiriker?

  4. 57.

    Ja, die Plaketten waren dabei und ich habe sie selbst auf die Kennzeichen geklebt. Kein Problem. Ich brauchte auch keine extra App, kein Kartenlesegerät oder ähnliches. Meinen Personalausweis habe ich als Bild hochladen - Vorder- und Rückseite als JPEG. Also alles ziemlich easy. Ich verstehe nicht, warum Sie immer noch Gegenargumente liefern möchten. Es ist korrekt, dass es bestimmte Voraussetzungen für diesen Onlinevorgang gibt, diese waren aber äußerst niederschwellig.

  5. 56.

    Um genau zu sein: Um den Online-Service nutzen zu können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Für alle Vorgänge benötigt der Fahrzeug-Besitzer einen neuen Personalausweis mit aktivierter eID-Onlinefunktion sowie zugehöriger PIN. Außerdem ein Kartenlesegerät oder alternativ ein Smartphone mit einer kostenlosen Ausweis-App. Zweitens müssen die Zulassungsbescheinigungen (Fahrzeugschein und Fahrzeugbrief) über einen verdeckten Sicherheitscode* verfügen, der frei gerubbelt werden muss. Beim Teil I der Zulassungsbescheinigung ist das seit 2015 der Fall, beim Teil II seit 2018.

  6. 55.

    Das ist interessant und neu. Waren die Plaketten zum selbstkleben bei den Unterlagen dabei ???

  7. 54.

    Gilt beides auch für ich, da ich ebenfalls PayPal- und Postbank-Kunde bin.
    Und ich verstehe es einfach nicht:
    Geldgeschäfte per Internet sind kein Problem.
    Aber was den Umgang mit der Obrigkeit betrifft, tut man so als gäbe es da technisch noch keine Möglichkeiten?

  8. 53.

    Wie kommen Sie darauf, denn das ist so nicht korrekt. Das Fahrzeug war stillgelegt und davor in einem anderen Bundesland zugelassen. Es geht mir vorwiegend darum, dass viele Berliner*innen häufig pauschal meckern, was alles nicht funktioniert in dieser Stadt. Das mag vielfach auch berechtigt sein. Aber es nervt! Das Beispiel zeigt doch, dass es voran geht. Und das ist doch das Wichtigste!

  9. 52.

    HHör mal zu du Heinz. Ich habe mich nicht "für den ländlichen Bereich (entscheidet)" entschieden sondern ich lebe dort und habe ihn mitgeformt und das schon länger, als dich unser Planet ertragen musste.
    Aber du scheinst dich in der Platte bzw im Hinterhof wohl zu fühlen.
    19:00/21;10/07:45


  10. 51.

    Da viele kaum schreiben und lesen können, hat es auch mit der Digitaliserung keine Eile. Man sollte lieber erstmal Papier und Bleistifte anschaffen und die Grundlagen üben.

  11. 50.

    Velen Dank. Dann warten wir geduldig und hoffen dass das kein Flopp wird wie in den Fällen Neumann/Dominik, wo auch keine Antworten publiziert werden, auch heute wieder. Aber vielleicht schieben sie meine Antworten an diese beiden rbb-Liblinge noch in die geschlossenen Themen im Panorama rein?
    19:45/20;10/07:00

  12. 49.

    Dass der Bericht auf die geänderte Gesetzelage hinweist, ist sehr wichtig. Denn in sehr vielen Gesetzestexten zu Anträgen aller Art steht das persönliche Erscheinen ausdrücklich als vorgeschrieben fest. Das meist im BGB - ein besonders dicker Wälzer - oder auch im SGB I gebundene Recht umfassend digital zugänglich zu machen, ist grds. ein grunddemokratischer Auftrag: Es soll die Teilhabe besser ermöglichen. Und durchaus darf man sich fragen, ob die Präsenzkultur in Bezirksämtern immer so sein muss und womöglich der Effizienz schaden kann.

    Was rechtlich im Artikel unerwähnt bleibt, ist der allgemeine Datenschutz, aber hier noch wichtiger der Sozialdatenschutz, welcher noch einmal strenger ist. Da lässt sich im Analogen vieles besser schützen als bei Komplettvernetzung von allen Informationen und Anliegen. Größere technologische Abhängigkeit und zudem Gefährdung durch Datenmissbrauch machen angreifbarer, man erinnere sich an das bzw. die ein oder andere Gericht oder Universität.

  13. 48.

    Passiert andauernd mit der Fehlermeldung, schon seit Ewigkeiten.
    Kümmert den RBB - dessen Fehler es ja ist - aber anscheinend nicht die Bohne, denn es bleibt ja so.

  14. 47.

    Der Knackpunkt heißt "Schriftformerfordernisse"...
    Und das war allen Experten und Abgeordneten unbekannt, als "das sogenannte Onlinezugangsgesetz" "im August 2017 vom Bundestag beschlossen" wurde???????
    Mannomann...

  15. 46.

    "Bei mir funktioniert Paypal/Postbank usw. wirklich über lange Jahre perfekt. Zur Not dann mal eine Onlineabfrage per unabhängigem medium z.B. Handy."
    Kann bestimmt nur Teufelswerk sein. Alles ohne Papier usw.?
    Glaube ich nicht.

  16. 45.

    "Geldgeschäfte in sicher enormer Höhe sind per Internet kein Problem. Aber ein paar Kreuze zu machen und zu beweisen, das man ist, wer man vorgibt zu sein, ist unmöglich?"
    Ist scheinbar unmöglich. In Deutschland ist vieles unmöglich.
    Bei mir funktioniert Paypal/Postbank usw. wirklich über lange Jahre perfekt. Zur Not dann mal eine Onlineabfrage per unabhängigem medium z.B. Handy.



  17. 44.

    15 Monate auf einen Parkplatz für Behinderte gewartet, bis er endlich da war…

  18. 43.

    Kann man nicht? Echt schade.
    Was ich nicht verstehe: Warum kann man bei Dingen, die einen Nachweis der eigenen Person erfordern (wie den von mir erwähnten Wahlen), nicht einfach dieselben Sicherheitssysteme verwenden wie beim Onlinebanking?
    Ich meine: Geldgeschäfte in sicher enormer Höhe sind per Internet kein Problem. Aber ein paar Kreuze zu machen und zu beweisen, das man ist, wer man vorgibt zu sein, ist unmöglich?
    Stattdessen müssen ganze Städte oder Gemeinden an einem bestimmten Tag zu bestimmten Orten tigern und stoßen dort (und da fällt mir spontan sogar ein Beispiel ein) mitunter auf diverse Probleme.

  19. 42.

    Na, wer sich für den ländlichen Bereich entscheidet, bekommt halt auch nur ein ländliches Angebot. Digitalisierung in den Großstädten stiftet hier größeren Nutzen, weil mehr Menschen profitierten können.

  20. 41.

    "Berlin ist nur noch peinlich überhaupt nicht mehr sexy und völlig verarmt. " Mir geht dieses hirn- und subtanzlose Berlin Bashing nur noch auf den Keks. Dann machen sie doch Vorschläge wie es besser gehen soll. Und zwar in einer Großstadt, die über 20 Jahre lang kaputtgespart wurde und nicht in ihrer Kuhbläke.

Nächster Artikel