Verwaltung - Berliner können nicht mal ein Viertel der Behördengänge online erledigen

Einen neuen Perso beantragen oder die Wohnung ummelden: In Berlin ist das bis heute nicht online möglich. Dabei hatten Bund und Länder fünf Jahre Zeit, ihre Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren. Von Tobias Schmutzler und Sylvia Tiegs
137 von 575: Diese Zahlen zeigen, wie schleppend die Digitalisierung der Verwaltung vorankommt. In Berlin können Bürgerinnen und Bürger bisher 137, also weniger als ein Viertel der insgesamt 575 möglichen Behördengänge online erledigen.
"Die Menschen müssen sich aktuell ans Bürgeramt anpassen, und nicht das Bürgeramt an die Menschen", sagt die Berlinerin Beneta Curri. Die 19-Jährige steht vor dem Bürgeramt Neukölln und holt gleich ihren neuen Personalausweis und Reisepass ab, beide hatte sie vor drei Wochen beantragt.
Das reine Abholen geht sogar ohne Termin, darüber zeigt sich Curri erleichtert. Denn mit Terminbuchungen beim Bürgeramt habe sie bisher nur negative Erfahrungen gemacht. "Vor einem Jahr, als ich meinen neuen Wohnort melden wollte, habe ich zweieinhalb Monate auf einen Termin gewartet. Dafür, dass ich am Ende nur zwei, drei Minuten im Amt drin war", sagt sie. Den Termin hatte sie zudem nicht in der Nähe ihres neuen Wohnorts in Reinickendorf, sondern in Marzahn bekommen.
Perso beantragen geht nicht, Elektrosmog melden schon
Fast jeder Mensch in Berlin kann Horrorgeschichten über Bürgeramtstermine erzählen. Abhilfe schaffen sollte eigentlich das sogenannte Onlinezugangsgesetz. Im August 2017 vom Bundestag beschlossen, war das Ziel, dass Bund, Länder und Kommunen alle 575 Verwaltungsdienstleistungen auch online anbieten.
Unter den in Berlin heute möglichen 137 [service.berlin.de] sind einerseits für viele Menschen nützliche Angebote wie der Antrag für einen Anwohnerparkausweis oder einen Mietzuschuss als Wohngeld. Andererseits finden sich auf der Liste auch eher spezielle Dienstleistungen wie eine Beschwerde über Elektrosmog oder der Antrag für eine Waffenbesitzkarte. Eins ist allerdings klar: Die absoluten Grundlagen wie Personalausweis beantragen oder Wohnung ummelden sind online bisher nicht möglich.
Ende dieses Jahres endet die ursprüngliche Frist des Onlinezugangsgesetzes, bis zu der alle Dienstleistungen digitalisiert sein sollten. Aber schon jetzt steht fest: Das Projekt wird scheitern. "Bund und Länder haben sich mittlerweile darauf verständigt, dass diese Leistungen im Jahr 2022 nicht mehr zu erreichen sind. Das war auch ehrlich gesagt schon ziemlich früh klar", sagt Ralf Kleindiek. Den SPD-Politiker hat die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als ersten "Chief Digital Officer" des Landes Berlin eingesetzt - der Staatssekretär für Digitales soll dem Ganzen mehr Schwung verleihen.
Staatssekretär: Die anderen Bundesländer haben es auch nicht geschafft
Kleindiek ist wichtig, zu betonen, dass Berlin nicht alleine gescheitert sei. "In keinem Bundesland sind die 575 Dienstleistungen auch nur annähernd online bereitgestellt", sagt er. Immerhin: In diesem Jahr sollen in Berlin noch 20 weitere Behördengänge digitalisiert werden, im kommenden Jahr 130, kündigt der Staatssekretär an. Dazu sollen die Wohnsitzanmeldung, die An- und Ummeldung von Kraftfahrzeugen und die Beantragung der Wohngeldberechtigung gehören. Doch weitere Beispiele können oder wollen weder Kleindiek noch die Pressestelle der Innenverwaltung dem rbb nennen.
Für die Zukunft verspricht der Politiker einen verbindlichen Zeitplan, der in der Berliner Landesregierung verabredet werden soll. "Ich werde dem Senat einen Vorschlag machen, in welcher Reihenfolge und in welchem Zeitrahmen welche Dienstleistungen durch die jeweiligen Senatsverwaltungen digital bereitgestellt werden müssen", sagt Kleindiek. Der Staatssekretär räumt ein, in der Vergangenheit habe es zu wenig klare Verabredungen innerhalb des Senats gegeben. "Es gab nach meinem Eindruck nicht immer den nötigen politischen Nachdruck, die Dinge voranzubringen", so Kleindiek. Indirekt ist das auch eine Kritik an der Dauerregierungspartei SPD, die seit 21 Jahren die Regierenden Bürgermeister sowie in der vergangenen Legislaturperiode den zuständigen Innensenator gestellt hat.
FDP: Berlin gibt "peinliches Bild" ab
Ein Hindernis bei der Digitalisierung seien bisher die strengen bürokratischen Vorgaben des Bundes gewesen, sagt Kleindiek. Der Knackpunkt heißt "Schriftformerfordernisse": Damit ist die persönliche Unterschrift per Hand gemeint, die bei vielen Anträgen immer noch gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Hürde sei heutzutage in vielen Bereichen nicht mehr nötig, eine digitale Unterschrift würde genügen, sagt der SPD-Politiker. Dafür müssten aus seiner Sicht Bundesgesetze geändert werden.
Doch die oppositionelle FDP findet, der IT-Staatssekretär könne die Verantwortung nicht nur an andere abschieben. "Den Kopf da jetzt aus der Schlinge zu ziehen und zu sagen: Der Bund hat zu hohe Anforderungen an das Land – das ist ein bisschen einfach gedacht", sagt Roman-Francesco Rogat, der Sprecher für Verwaltungsmodernisierung bei den Liberalen. "Das Land Berlin hat sich ja auch noch damit gerühmt, Vorkämpfer zu sein, dass die Fristen für das Onlinezugangsgesetz verlängert werden – das ist eher ein peinliches Bild, das wir abgeben."
Fehlen dem "Chief Digital Officer" zentrale Durchgriffsrechte?
Grundsätzlich begrüße die FDP, dass die Digitalisierung der Verwaltung nicht mehr, wie in der Vergangenheit, auf drei Staatssekretäre aufgeteilt sei. Dennoch befürchtet Rogat, wie er sagt, dass Ralf Kleindiek als erster "Chief Digital Officer" am Ende von den Behörden ausgebremst werden könnte. "Das größte Problem ist, dass er zwar viel von den unterschiedlichen Verwaltungsebenen einfordern kann, aber selbst keine zentralen Durchgriffsrechte hat. Das blockiert massiv, da müsste er mehr Kompetenzen bekommen."
Aber nicht nur die eigenen Behörden muss Berlin digitalisieren, auch im Großprojekt des Onlinezugangsgesetzes spielt das Land eine wichtige Rolle. Denn Bund und Länder haben sich die Arbeit aufgeteilt. Berlin ist unter anderem für die Digitalisierung von vielem zuständig, was mit Nachweisen zu tun hat [onlinezugangsgesetz.de]: darunter die Ausstellung von Ehe- und Geburtsurkunden und von Führungszeugnissen. Außerdem soll Berlin Dienste rund um den Personalausweis digitalisieren – damit ist aber nicht die Beantragung gemeint, sondern beispielsweise die Meldung, wenn man einen Ausweis verloren hat.
Wer passt sich an: das Bürgeramt oder die Menschen?
Die Tür zum Bürgeramt Neukölln öffnet sich, Beneta Curri kommt aus dem Gebäude. Sie wirkt erleichtert, als sie ihren neuen Personalausweis und den Reisepass in der Hand hält. Aber auf den nächsten – aus ihrer Sicht unnötigen – Behördengang habe sie schon jetzt wenig Lust. "Es wäre schön, wenn das Gesetz durchgesetzt wird", sagt sie über die Vorgaben, mehr Behördengänge von zuhause aus zu ermöglichen. "Für die meisten Menschen wäre es einfacher, wenn sie nicht wegen Kleinigkeiten zum Bürgeramt müssen."
In der Vergangenheit habe sie manchmal schon ihrer Arbeitsstelle absagen müssen, um einen Termin beim Amt wahrnehmen zu können. Hoffentlich sei es eines Tages so weit, dass sich das Bürgeramt an die Menschen anpasse, und nicht umgekehrt, sagt Beneta Curri. Vielleicht kann sie ihren nächsten Personalausweis in sechs Jahren ja online beantragen.
Sendung: Inforadio, 07.06.2022, 06.11 Uhr