Warnstreik in Berlin - GEW fordert in Zeiten des Lehrermangels kleinere Klassen
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin hat für Mittwoch zum Warnstreik aufgerufen. Um die Lehrkräfte zu entlasten, will sie kleinere Klassen durchsetzen. Von Kirsten Buchmann
An der Fritz-Karsen-Schule in Berlin-Neukölln hat der Englisch- und Politikwissenschaftslehrer Ryan Plocher einen Stapel Schülerarbeiten vor sich liegen. Er wünscht sich Entlastung: "Wenn ich in einer kleinen Klasse unterrichte, habe ich weniger Vor- und Nachbereitung und so eine geringere Belastung insgesamt", sagt er.
Ihm geht es darum, dass in seiner Klasse mit verschiedenen Leistungsniveaus der Unterricht besser werden kann: "Ich unterrichte in einer Klasse mit 24 Schülern, davon haben vier oder fünf Förderbedarf. Das heißt, die lautesten bekommen Aufmerksamkeit, die leisesten Arbeitsblätter." Das sei anders nicht möglich, da er in der Regel allein vor der Klasse stehe. "In einer kleineren Gruppe könnte ich jedem Kind mehr Zeit widmen." Während der Corona-Pandemie habe sich, so Plocher, gezeigt, dass das Lernen in geteilten Gruppen sehr gut gelinge.
Auf alle individuell eingehen
Der Abiturient Jan Ole Schmiedecke hat gerade in Oberstufenkursen das Lernen in kleinen Gruppen erlebt, etwa in Geschichte: "Bei elf Leuten war es der Lehrkraft möglich, auf alle individuell einzugehen." Auch für die jüngeren Schüler findet er Klassen mit bis zu 15 Schülern unbedingt notwendig.
Sein früherer Lehrer Plocher, der auch im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin engagiert ist, lässt offen, wie klein eine Klasse sein sollte. Doch bräuchte es nicht insgesamt für eine Verkleinerung zusätzliche Lehrer – und wie soll das Land sie in Zeiten des Lehrermangels gewinnen? Gerade wegen des Lehrkräfteengpasses sind die Klassen voll.
Plocher sieht dennoch genau in kleineren Klassen eine Lösung. Er argumentiert, damit würden mehr Menschen den Beruf attraktiv finden. Dazu komme: "Sehr viele Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit, weil sie sonst den Job nicht schaffen würden. Wenn der Job zu schaffen wäre, gingen einige Kollegen aus der Teilzeit heraus."
Die Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW, Anne Albers, sieht bessere Arbeitsbedingungen als "das beste Mittel gegen Fachkräftemangel." Die Klassenverkleinerung müsse im Tarifvertrag festgeschrieben werden, fordert die Gewerkschaft.
Sache der Tarifgemeinschaft der Länder
Der Senat sieht dafür allerdings keinen Verhandlungsspielraum. Denn das Land darf laut der Finanzverwaltung nur mit Zustimmung des Arbeitgeberverbands der Länder (TdL) Tarifverhandlungen aufnehmen. Weil Mindestbesetzungen nach Auffassung der TdL nicht tarifvertraglich regelbar seien, lehne diese "Tarifverhandlungen zu diesem Thema ab", schreibt die Finanzverwaltung in einem Brief an die GEW Berlin.
Die oppositionelle FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus wiederum findet kleinere Klassen erstrebenswert. Dafür müsse aber erst einmal das Personal bereitgestellt werden. Da in Berlin fast 1.000 Lehrer fehlten, werde das Zeit in Anspruch nehmen. Die FDP sieht als Anreize, um mehr Lehrer zu gewinnen, unter anderem eine angemessene Bezahlung und einen angemessenen Arbeitsplatz in der Schule.
Der Abiturient Schmiedecke warnt allerdings, schon jetzt seien viele Lehrkräfte überfordert: "Zumindest die engagierten Lehrkräfte gehen teilweise daran kaputt." Er will daher am Mittwoch für kleinere Klassen mitdemonstrieren.
Sendung: rbb24, 29.06.2022, 13:00 Uhr