Warnstreik in Berlin - GEW fordert in Zeiten des Lehrermangels kleinere Klassen

Mi 29.06.22 | 06:25 Uhr | Von Kirsten Buchmann
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Teilnehmer der Demonstration der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) stehen bei der Abschlusskundgebung vor dem Roten Rathaus. (Quelle: dpa/Christophe Gateau)
dpa/Christophe Gateau
Video: rbb24 | 29.06.2022 | Franziska Wundtke | Bild: dpa/Christophe Gateau

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin hat für Mittwoch zum Warnstreik aufgerufen. Um die Lehrkräfte zu entlasten, will sie kleinere Klassen durchsetzen. Von Kirsten Buchmann

An der Fritz-Karsen-Schule in Berlin-Neukölln hat der Englisch- und Politikwissenschaftslehrer Ryan Plocher einen Stapel Schülerarbeiten vor sich liegen. Er wünscht sich Entlastung: "Wenn ich in einer kleinen Klasse unterrichte, habe ich weniger Vor- und Nachbereitung und so eine geringere Belastung insgesamt", sagt er.

Ihm geht es darum, dass in seiner Klasse mit verschiedenen Leistungsniveaus der Unterricht besser werden kann: "Ich unterrichte in einer Klasse mit 24 Schülern, davon haben vier oder fünf Förderbedarf. Das heißt, die lautesten bekommen Aufmerksamkeit, die leisesten Arbeitsblätter." Das sei anders nicht möglich, da er in der Regel allein vor der Klasse stehe. "In einer kleineren Gruppe könnte ich jedem Kind mehr Zeit widmen." Während der Corona-Pandemie habe sich, so Plocher, gezeigt, dass das Lernen in geteilten Gruppen sehr gut gelinge.

Auf alle individuell eingehen

Der Abiturient Jan Ole Schmiedecke hat gerade in Oberstufenkursen das Lernen in kleinen Gruppen erlebt, etwa in Geschichte: "Bei elf Leuten war es der Lehrkraft möglich, auf alle individuell einzugehen." Auch für die jüngeren Schüler findet er Klassen mit bis zu 15 Schülern unbedingt notwendig.

Sein früherer Lehrer Plocher, der auch im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin engagiert ist, lässt offen, wie klein eine Klasse sein sollte. Doch bräuchte es nicht insgesamt für eine Verkleinerung zusätzliche Lehrer – und wie soll das Land sie in Zeiten des Lehrermangels gewinnen? Gerade wegen des Lehrkräfteengpasses sind die Klassen voll.

Plocher sieht dennoch genau in kleineren Klassen eine Lösung. Er argumentiert, damit würden mehr Menschen den Beruf attraktiv finden. Dazu komme: "Sehr viele Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit, weil sie sonst den Job nicht schaffen würden. Wenn der Job zu schaffen wäre, gingen einige Kollegen aus der Teilzeit heraus."

Die Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW, Anne Albers, sieht bessere Arbeitsbedingungen als "das beste Mittel gegen Fachkräftemangel." Die Klassenverkleinerung müsse im Tarifvertrag festgeschrieben werden, fordert die Gewerkschaft.

Sache der Tarifgemeinschaft der Länder

Der Senat sieht dafür allerdings keinen Verhandlungsspielraum. Denn das Land darf laut der Finanzverwaltung nur mit Zustimmung des Arbeitgeberverbands der Länder (TdL) Tarifverhandlungen aufnehmen. Weil Mindestbesetzungen nach Auffassung der TdL nicht tarifvertraglich regelbar seien, lehne diese "Tarifverhandlungen zu diesem Thema ab", schreibt die Finanzverwaltung in einem Brief an die GEW Berlin.

Die oppositionelle FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus wiederum findet kleinere Klassen erstrebenswert. Dafür müsse aber erst einmal das Personal bereitgestellt werden. Da in Berlin fast 1.000 Lehrer fehlten, werde das Zeit in Anspruch nehmen. Die FDP sieht als Anreize, um mehr Lehrer zu gewinnen, unter anderem eine angemessene Bezahlung und einen angemessenen Arbeitsplatz in der Schule.

Der Abiturient Schmiedecke warnt allerdings, schon jetzt seien viele Lehrkräfte überfordert: "Zumindest die engagierten Lehrkräfte gehen teilweise daran kaputt." Er will daher am Mittwoch für kleinere Klassen mitdemonstrieren.

Sendung: rbb24, 29.06.2022, 13:00 Uhr

Beitrag von Kirsten Buchmann

33 Kommentare

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  1. 33.

    Ich war Lehrerin in einem anderen Bundesland. Im Gegensatz zu unserer alten Heimat fiel mir hier in Berlin auf, dass Eltern gerne anderen Menschen oder Gruppen (Kita, Ganztagsbetreuung an den Schulen, Sportverein, Instrumentalunterricht ...) die Erziehung ihrer Kinder überlassen. Trotz großen Engagements können diese Gruppen die elterliche Erziehung nicht ersetzen, weil die Gruppen zu groß sind. Unterricht wäre besser, wenn Eltern mehr Erziehungsarbeit leisten würden.

  2. 32.

    Was Ihr Post über Sie aussagt können Sie sich denken? Da hat wohl noch einer eine "Rechnung offen"?

  3. 31.

    Bitte denkt doch in Zusammenhängen und hört uns Lehrer/innen zu. Wer nicht an der Schule arbeitet, kennt nur einen Bruchteil der Wahrheit.
    Zum Lehrermangel: An meiner Schule arbeiten 95% der Lehrer/innen in Teilzeit. Ich auch, weil ich bei Vollzeit krank werden würde. Wären die Klassen kleiner, würde ich meine Stunden aufstocken. Bitte seht Zusammenhänge.
    Auch so sind schon viele deshalb krank, hören auf zu arbeiten.

    Arbeite ich wirklich Teilzeit? Nein! Ich arbeite mehr als 50 Stunden/Woche in Wirklichkeit. Die Arbeitsbelastung ist enorm. Ich liebe meinen Job, aber muss mir erst Gedanken um meine Gesundheit machen. Bitte seht die Zusammenhänge, die Medien kennen sie auch nicht!

  4. 30.

    Man kann die Welt auch mal ohne rosarote Brille sehen. Ein Versuch lohnt sich

  5. 29.

    Lehrer zu sein könnte so toll sein, wenn die Schüler nicht wären…. Die GEW ist weltfremd. Lehrer entlasten? Falsch, Lehrer müssen mehr leisten. Arbeitet einfach mehr, so dass mehr Unterricht erteilt werden kann. Wo anders nennt sich das Überstunden machen wenn der Kunde mehr Bedarf hat.

  6. 28.

    Und Sie haben sich intensiv mit verschiedenen pädagogischen Ansätzen beschäftigt? Oder wettern Sie nur, ohne wirklich Ahnung von Erziehung zu haben? Ich hätte da eine Vermutung...

  7. 27.

    Blödsinn. Der Bildungssektor ist in den letzten Jahrzehnten kaputt gespart worden und nun sehen wir das Ergebnis. Das hat nichts mit modernen pädagogischen Konzepten zu tun (die an sich gut sind, wenn sie richtig finanziert werden). Also bitte erst mit der Materie beschäftigen, bevor Quark geschrieben wird...

  8. 26.

    Einerseits wird über chronischen Lehrermangel diskutiert, kleinere Klassen seit Jahrzehnten gefordert, aber andererseits die Latte der Einstiegsvoraussetzungen für Quereinsteiger sehr hoch gelegt (Abitur, Studium). Warum reichen manchmal nicht gestandene Facharbeiter mit pädagogischen Zusatzlehrgängen? Aber auch bei einigen Lehrern ist es Zeit, dass sie mal selbst ein Praktikum in der freien Wirtschaft machen. Teilweise haben sie auch den Bezug zwischen Theorie, Schülern und Praxis verloren.

  9. 25.

    Wenn dadurch weniger Unterrichtsausfall ist und der Unterricht efezenter für die Schüler wird wo man mehr Lernstoff vermitteln kann ist ja ok damit unsere Schüler/innen besser auf das Leben vorbereitet werden.

  10. 24.

    Hä? Willste den Rohrstock zurück oder was? Ich will jetzt nicht die Ich-kann-meinen-Namen-Tanzen Schulen gut reden, aber heutzutage wird zumindest versucht (!) auf die Kinder einzugehen.
    Schule soll auch Spaß machen, ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen, Kinder auffangen, die es nicht so leicht haben im Leben, Bildungslücken schließen etc. Ich mag ja auch eher den strengen Ansatz aber ein bisschen Liebhaben muss schon drin sein.

  11. 23.

    Das sehe ich genauso. Mein erster Gedanke war "früher in meiner Schulzzeit in den 70er Jahren waren wir auch über 30 Schüler*innen". Aber, wie Sie schon sagten, ich glaube, Lehrer*innen müssen heute viel viel mehr leisten als damals. Was im Elternhaus oft versäumt wird, muss in der Schule nachgeholt werden - Respekt, Toleranz und tausend andere Tugenden, die früher selbstverständlich waren. Da mussten die Lehrer*innen auch keine Angst haben, dass erboste Schüler*innen sie schlagen und bedrohen. Die Schüler*innen von heute sind ganz anders als wir es waren. Wir waren damals ruhig und nett, hatten immensen Respekt vor den Lehrer*innen und haben uns möglichst unauffällig benommen. Die heutige Jugend ist eine ganz andere. Und da wären kleine Klassen sicherlich ein gute Idee - nur, wo holen wir die Lehrer*innen her?

  12. 22.

    Stimmt. 1949 wurde in der DDR die Prügelstrafe in der Schule verboten. 40 Jahre später zusammengebrochen. 1973 in der BRD verboten. Der Zusammenbruch steht bevor. Wir sind schon 10 Jahre über dem Zenit.

  13. 21.

    Stimmt. Früher hat man den Kindern, auch in weit volleren Klassen, noch Bildung vermittelt mit denen sie etwas anfangen konnten.

  14. 20.

    Kleinere Klassen, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Wertschätzung, weniger Bürokratie für selbstgefällige Statistiken, "an einem Strang ziehen" incl. Eltern und Schulhausmeistern (!) sind alles keine Geheimnisse für mehr Erfolg. In Pandemiezeiten gehört auch die Schaffung von Voraussetzungen für Wechselunterricht dazu, incl. eines zentralen Einkaufs für digitale Lehrinhalte.
    Und, was wurde von den Bildungsverwaltungen davon "abgearbeitet"? "Abwehr"-Formblätter erstellen und gönnerhafte "Restezuteilung" ist zwar ein schöner (?) Sachbearbeiterjob, aber nichts für Bildungserfolge, wie man sieht.
    Ach ja, und den Zensus lesen... (aber nur wenn man Lust hat)

  15. 19.

    In der Tat wären nicht einfach nur mehr Lehrer*innen die Lösung (was aber nötig ist!), sondern es muss eine Veränderung des Unterrichts damit einhergehen, um wirklich allen Schüler*innen gerecht zu werden. So ist das Lernen u.a. in der altersgemischten Projektarbeit den gegenwärtigen Herausforderungen angemessener. Beispiele von Schulen, die das tun, findet man z. B. unter den Nominierungen zum Deutschen Schulpreis.

  16. 18.

    Sie haben absolut recht!! Diese neumodschen Unterrichtsmethoden und diese antiatoritäre Erziehung hat in den letzten Jahrzehnten nur zu noch mehr unqualifizierten Schulabgängern geführt!

  17. 17.

    Wir hatten früher eine Lehrerin für ca. 30 Schüler.
    Hat sehr gut funktioniert.
    Allerdings geht dies nur, wenn man die Schüler mit schwierigen Aufgaben und Disziplin fordert.
    Die neuen linksgrünen Bildungsmethoden jedoch sind schlecht für Deutschland und seine Schüler.
    Dazu gibt es immer mehr Menschen ohne Schulabschluss, und die Politik hat als einzige Antwort noch mehr von der ideologischen Medizin parat.
    So kann das nichts werden.

  18. 16.

    So sieht's aus. Nebenbei braucht man bei kleineren Klassen neben mehr Lehrkräften auch mehr Klassenräume, die es ebenfalls nicht gibt.

  19. 15.

    Danke, endlich mal eine rational denkende Person.
    Viele vergessen, dass die Heterogenität um ein Vielfaches gewachsen ist, gleichzeitig sind die Anforderungen an gute Bildung ebenso stark angezogen worden und Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit umzusetzen viel Arbeit, Zeit und Personal kostet.
    Falls einige es noch nicht wussten: Guter Unterricht heißt nicht, frontal vor der Klasse zu stehen und Vorträge zu halten, sondern auch andere Arbeits- und Sozialformen zu berücksichtigen ;)

  20. 14.

    Ich staune, dass hier noch niemand vorgeschlagen hat, dass die Lehrerinnen lieber samstags streiken sollten. Dann würden ihre Ziele viel ernster genommen...

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