A100-Verlängerung, Enteignungen und Wahlen - Welche Ausfahrt nimmt die Berliner SPD?

Sa 18.06.22 | 07:10 Uhr | Von Jan Menzel
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SPD Berlin
Bild: imago/S.Zeitz

Die Berliner SPD wählt an diesem Sonntag ihr Führungsteam neu. Zittern müssen die beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh nicht. Beim Reizthema A100 könnte die Partei dem Führungsduo aber in die Parade fahren. Von Jan Menzel

Die A100 ist für die Berliner SPD ein Parteitagsklassiker. Natürlich ging und geht es dabei um moderne Verkehrspolitik und das "Auto" als liebstes Kind der Deutschen, aber auch ein bisschen um Macht. Es gab sogar mal einen Regierenden Bürgermeister, Klaus Wowereit, der sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen musste, um seine Partei auf Autobahnkurs zu bringen. 2010 war das und zwölf Jahre später sieht sich Wowereits Nach-Nachfolgerin Franziska Giffey wieder mit dem starken Wunsch ihrer Partei konfrontiert, eine weitere Verlängerung der A100 ein für alle Mal zu den Akten zu legen.

Giffeys Haltung zur A100 für viele Genossen zu halbherzig

Doch Giffey vermeidet - anders als Wowereit - klare Kante und legt sich nicht auf ein eindeutiges "Ja" oder "Nein" in der Autobahn-Frage fest. Stattdessen verweist sie darauf, was die SPD bei ihrem letzten Parteitag beschlossen hat. "Wir wollen zu dieser Frage noch mal in die Bürgerbeteiligung gehen und wir wollen die Stadtgesellschaft dazu befragen." In der nächsten Zeit stehe ohnehin keine Entscheidung an. Schließlich sehe der Koalitionsvertrag vor, dass Berlin in dieser Legislaturperiode nichts unternehme, um die A100 gen Friedrichshain zu verlängern.

Dem Parteinachwuchs Jusos ist das zu halbherzig und viele Sozialdemokarten besonders in der Innenstadt wollen da auch nicht mehr mitgehen. So stellen die Genossen aus Friedrichshain-Kreuzberg einen Antrag mit dem Titel "Keine weitere Planung für 17. Bauabschnitt der A 100" zur Abstimmung. Andere wie Mathias Schulz, stellvertretender SPD-Kreischef in Mitte, haben die zahlreichen Beispiele für Stau und Verkehrsprobleme vor Augen. "Der Bezirk Mitte kennt das Ende von Autobahnen", sagt Schulz mit Blick auf die A100, die mehr oder minder abrupt in der Seestraße endet. Diese Erfahrung zeige, dass "mehr Straßen nicht zu weniger sondern zu mehr Autoverkehr führen und keine Entlastung bringen".

A100 nicht das einzige Streitthema

Die Debatte um die A100 dürfte auch deshalb etwas robuster ausfallen, weil es nicht das einzige Verkehrsthema ist, bei dem Parteispitze und Basis in verschiedene Richtungen unterwegs sind. Die SPD in Mitte setzt sich aktuell dafür ein, testweise autofreie Kieze im Bezirk einzurichten. Darauf angesprochen rollt die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Landesvorsitzende die Augen: "Es reicht nicht zu sagen, den einen Kiez machen wir schön und was drumherum passiert, ist dann Kollateralschaden." Man müsse auch darauf achten, welche Auswirkungen das auf die Umgebung der autofreien Kieze habe, gibt Giffey zu bedenken. Dort lebten schließlich auch Menschen.

Ein anderes potentiell konfliktträchtiges Thema konnte die Parteitagsregie dagegen gerade noch rechtzeitig entschärfen. Die Jusos hatten zunächst ein sehr klares Bekenntnis zum Volksentscheid und zur Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne gefordert. Es gehe bei der Arbeit der dafür eingesetzten Senats-Kommission "nicht mehr um das Ob der Umsetzung, sondern um das Wie", so die Formulierung in einem Antrag des Parteinachwuchses. Der Mutterpartei SPD hielten die Jusos vor, den Volksentscheid zu verschleppen und damit dem Willen der Wählerinnen und Wähler nicht nachzukommen. "Das können wir so nicht akzeptieren und rügen die Landesregierung, und insbesondere die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus."

Wunsch nach Zusammenhalt

In der überarbeiteten Fassung der Antragskommission des Parteitags sind nun allerdings weder die harschen Worte an Senat und Fraktion noch überbordende Solidaritätsadressen in Richtung der Immobilien-Enteigner zu finden. Der neue Antrag fordert nur noch "eine transparente und verfassungskonforme Prüfung" des Volksentscheids. Das ähnelt dann noch schon sehr dem Wording der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Dennoch wissen Giffey und Saleh sehr genau um die Stimmung in der Partei. Dort gibt es einige, die sich eine ausgeprägtere linke Politik wünschen. Die Kritiker von Giffey und Saleh haben auch zur Kenntnis genommen, dass sie von den Landesvorsitzenden ausgebootet worden sind. Die Landesvorsitzenden haben ein neues Team aus Stellvertretern und einem Landeskassierer zusammengestellt, das ausschließlich aus Vertrauten und Getreuen besteht.

"Die SPD tritt sehr geschlossen auf", beschreibt Co-Landesvorsitzender Raed Saleh die Ausgangslage vor dem Parteitag. Franziska Giffey spricht von einem Zusammenspiel in der SPD wie "aus einem Guss." Der echte Stimmungstest steht dem Führungsduo mit ihrer Wiederwahl als Landesvorsitzende aber noch bevor. Auch wenn Giffey und Saleh keine Gegenkandidaten haben, werden die Ergebnisse wohl nicht so gut wie vor anderthalb Jahren ausfallen. Damals erhielt Franziska Giffey fast 90 Prozent der Stimmen. Ihr Co-Landesvorsitzender Raed Saleh kam auf knapp 69 Prozent.

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.06.22, 19:30 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

35 Kommentare

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  1. 35.

    Es gab soviel unsinnigen was in Berlin gebaut wurde. Ich erinnere an das Stadtschloss, die sogenannte "Kanzlerbahn", wo, nicht nur wie beim BER, die Kosten explodierten - von der Baulänge mal abgesehen. Da spielt die A1ü0 und dessen Weiterbau nicht ins Gewicht.
    Zumal ich ein absoluter Befürworter bin...
    Und den pathologischen Autohassern kann ich nur zurufen: sollte sich der Grüne Irrsinn weiter durch setzen, habt ihr dann eine hervorragende Fahrradstraße - dann nicht nur zu Sternfahrten. Aber, davor sollte uns der Götze bewahren.

  2. 34.

    Hallo Radfahrer,
    das ist IHRE Meinung!!
    Es ist eben Demokratie, wenn jeder seine eigene Meinung haben kann.

  3. 33.

    "Die Grünen dürfen den Bezirk momentan steuern, was sie sehr ungenügend tun." Das ist aber nur ihre Meinung, mit der sie in einer deutlichen Minderheit sind. Einde deutliche Mehrheit im Bezirk ist für die Politik der Grünen, deshalb sind sie dort so stark.

  4. 32.

    Hallo kozak,
    ein Berliner Bezirk gehört NIEMANDEM !!!
    Die Grünen dürfen den Bezirk momentan steuern, was sie sehr ungenügend tun.

  5. 31.

    Straßenausbau in der Stadt ist wie Tauben füttern. Es werden immer mehr. Statt den Wahnsinn auch noch weiter zu verfolgen sollte man lieber das Geld für dringende Projekte ausgeben.

    "Man könnte den ganzen Batzen Geld von dem Autobahnbau nehmen, große Immobilienfirmen enteignen (und somit gegen Verdrängung vorgehen) UND gleichzeitig neuen, bezahlbaren Wohnraum schaffen. Gleichzeitig hätte es den positiven Nebeneffekt, wie Klimaschutz etc. "

  6. 30.

    Wer über eine Autofreien Bezirk oder Stadt redet ist ein Träumer. Der vergisst das die Lebensmittel, Warensendungen und Handwerker oder Möbel und Material eben nicht mit Fahrrad oder ÖPNV, bewegt werden können. Ich fahre morgens über die A111 in die Stadt wo jedes 3 Fahrzeug ein Handwerk, LKW oder Botendienst ist. Wer sich gegen einen Weiterbau ausspricht vergisst die Logistik der Stadt

  7. 29.

    Wen fragen die Herrschaften eigentlich ob er/sie eine A100 will oder nicht? Nur Parteiwähler oder die gesamte Stadt? Das die Seestraße zur Staufalle wird ist kein Wunder. Von 80 auf 50 km/h Verzögerung und einer Ampel, die den Stau in Häppchen teilt, was will man Anderes erwarten? Wäre der Ring geschlossen, gäbe es in Mitte deutlich weniger Stau, weil sich die "Transitpendler" den nervigen "Ritt" durch die Innenstadt sparen können, durch Umfahrung. Die Innenstadt hätte längst ihre ruhigen Radstraßen, wäre der A100 Ring geschlossen. So geht jedoch das Hickhack, um die Verteilung des Straßenraumes in endlose Folgen von Diskussionsrunden. Passieren wird nichts, geht es so weiter, weder für die Radfreaks noch für die Autofreaks. Die Lösung ist der geschlossene Ring A100. VG von einem genervten "Transitpendler" durch die Innenstadt.

  8. 28.

    berlin mitte gehört den grünen und nicht der SPD

  9. 27.

    Die Geringverdiener, die z.B. in der Gürtelstraße um ihre Wohnung zittern müssen weil eine Autobahn gebaut werden soll. Mehrere Häuser abgerissen werden sollen. Die freuen sich bestimmt besonders über ihre Abfindung und eine neue bezahlbare Wohnung im Speckgürtel... Ach, Moment, da war ja was: keine bezahlbaren Wohnungen. Hoppla.

    Man könnte den ganzen Batzen Geld von dem Autobahnbau nehmen, große Immobilienfirmen enteignen (und somit gegen Verdrängung vorgehen) UND gleichzeitig neuen, bezahlbaren Wohnraum schaffen. Gleichzeitig hätte es den positiven Nebeneffekt, wie Klimaschutz etc.
    Wer soll eigentlich in ein paar Jahrzehnten auf der Autobahn fahren, wenn durch Naturkatastrophen alles zerstört wird, keiner mehr ausreichend Geld für Benzin, geschweige denn ein Auto, hat? Die super Reichen, die dann in den 4000€ Miete/Monat Wohnungen in der Stadt wohnen?

  10. 26.

    Hallo Leuchtturm,
    da kann die SPD vorsehen was sie will.
    Ein Glück ist, dass die Bundesregierung dafür zuständig ist.

  11. 25.

    Welche Ausfahrt diese Herrschaften nehmen ist eigentliche egal, sie sollten nur nicht die Linken und die Grünen vergessen mit zu nehmen.

  12. 24.

    Es gab soviel unsinnigen was in Berlin gebaut wurde. Ich erinnere an das Stadtschloss, die sogenannte "Kanzlerbahn", wo, nicht nur wie beim BER, die Kosten explodierten - von der Baulänge mal abgesehen. Da spielt die A1ü0 und dessen Weiterbau nicht ins Gewicht.
    Zumal ich ein absoluter Befürworter bin...
    Und den pathologischen Autohassern kann ich nur zurufen: sollte sich der Grüne Irrsinn weiter durch setzen, habt ihr dann eine hervorragende Fahrradstraße - dann nicht nur zu Sternfahrten. Aber, davor sollte uns der Götze bewahren.

  13. 23.

    @ Philipp
    Nach brauchen sollst du zu gebrauchen, sonst brauchst du brauchen überhaupt nicht zu gebrauchen.

  14. 22.

    Um Missverständnissen vorzubeugen:
    Ich bin ein klarer Befürworter der A 100. Die SPD hatte nur in ihrem Wahlprogramm eine Bürgerbefragung vorgesehen und mit ihrem zu erwartenden Parteitagsbeschluss ist davon keine Rede mehr. Eine Stimmungsbild der Bevölkerung einzuholen, halte ich dennoch für sinnvoll, da ich nicht glaube, dass die, die momentan am lautesten schreien und in der Verkehrspolitik wichtige Großprojekte verhindern wollen, tatsächlich den Mehrheitswillen repräsentieren.

  15. 21.

    Wer immer wieder in Berlin den Ausbau des ÖPNV fordert, der nutzt dies als faule Ausrede um weiter mit dem Auto zu fahren. Der ÖPNV in Berlin und auch in den Randbezirken ist bereits so gestaltet, dass es auch ohne Auto geht. Natürlich nicht so bequem wie das Auto. Aber das ist genau das Problem, dass viele Autofahrer nur umsteigen, wenn es eben so bequem wie das Eigene Auto ist. Dann sind natürlich immer die anderen Schuld, die Politik, die Verwaltung, die Radfahrer, die Busspuren und die Grünen sowieso. Die Bequemlichkeit der auf das Auto „angewiesenen“ Personen ist erschreckend! Der Platz auf den Straßen ist nun einmal begrenzt und muß gerecht für Auto, ÖPNV und Fahrrad aufgeteilt werden. Und das geht nur zu Lasten des Autoverkehrs.

  16. 20.

    Hallo Frank Wedekind,
    bezüglich Neuwahlen in Berlin bin ich ganz Ihrer Meinung, denn angesichts der vielen Wahlpannen hat der gewählte Berliner Senat ein "GESCHMÄCKLE".

  17. 19.

    Hallo Leuchtturm,
    bezüglich des Weiterbaus der A 100 nützt eine BÜRGERBEFRAGUNG - wie Sie es gerne hätten - nichts, weil der Weiterbau der A 100 in der Entscheidunggewalt der Bundesregierung liegt und nicht der Berliner Senats das Sagen hat.
    GOTT SEI DANK !!!!

  18. 18.

    Wie bauen Sie denn eine Tram und einen Radweg ohne dem Auto Platz wegzunehmen? Einfach eine Reihe Wohnhäuser abreissen, wie für die Autobahn?

  19. 17.

    Was oll das mit den ständigen Bürgebefragungen? Wir haben eine repräsentative Demokratie. Die Pateien haben vor der Wahl die Gelegenheit ihre Vorhaben zu erläutern. Die Wähler treffen dann eine Wahlentscheidung für oder gegen eine Partei bez. Regierungskoalition. Die gewählte Regierung hat dann die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Ständig Bürger zu befragen ist einfach nur feige.

  20. 16.

    "Dort lebten schließlich auch Menschen."

    Ach, plötzlich geht's um die dort lebenden Menschen. Wenn's um den Ausbau der A100 geht spielt das kaum eine bis gar keine Rolle.

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