AfD-Bundesparteitag in Riesa - Neuanfang mit Altlasten

Die AfD hat in Riesa eine neue Spitze gewählt und bleibt auf stramm rechten Kurs. Aus der Brandenburger AfD sitzen zwei Vertreter im neuen Vorstand. Beide stehen für den Konflikt um den Ex-Landesvorsitzenden Kalbitz. Von Stephanie Teistler
Auf ihrem Parteitag in Riesa hat die AfD an diesem Wochenende ihren rechten Kurs gefestigt. Deutschland steht – in der Anschauung der Partei – am Abgrund. Über die Problembeschreibung ist man sich einig: Das Land werde abgewickelt durch illegale Migration, eine EU, die Deutschland Souveränität raube und eine Corona-Politik, deren eigentliches Ziel die Beschneidung der Freiheitsrechte sei – ersponnen von einem Kartell aller übrigen Parteien.
Die einzige Rettung nach Ansicht der Partei ist die AfD selbst. Auch deshalb wird in Riesa wieder einmal die Einigkeit beschworen. Die neuen Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel sehen deshalb im neuen Bundesvorstand die Chance auf einen Neuanfang. Einfach wird dieser nicht werden: Nur einen Tag nach der Vorstandswahl wurde der Parteitag am Sonntag vorzeitig beendet – nach heftigem Streit um eine Resolution zu Europa, die auch von Partei-Rechtsaußen Björn Höcke eingebracht worden war.
Im neuen Bundesvorstand mitwirken werden zukünftig gleich zwei Brandenburger: Dennis Hohloch, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Landtag, ist seit Samstag nun auch Bundesschriftführer der AfD. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Roman Reusch, Wunschkandidat Chrupallas, wurde zum dritten Beisitzer gewählt. Beide könnten jedoch für einen alten Konflikt stehen, der auf den neuen Bundesvorstand nun zukommt: die Auseinandersetzung um den ehemaligen Brandenburger Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz.
Nachwehen im Kalbitz-Konflikt
Kalbitz‘ AfD-Parteimitgliedschaft war im Mai 2020 vom damaligen Bundesvorstand annulliert worden, die Entscheidung wurde später vom Bundesschiedsgericht bestätigt. Es geht dabei um dessen frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern, die Kalbitz beim Parteieintritt nicht angegeben habe. Ebenso geht es um eine verschwiegene Mitgliedschaft bei der inzwischen verbotenen rechtsextremistischen Heimattreuen Deutschen Jugend, die Kalbitz bestreitet.
Für die AfD folgte eine monatelange Belastungsprobe, Lagerbildung pro- und anti-Kalbitz. Dem Brandenburger Landesverband wurde zwischenzeitlich mit Ordnungsmaßnahmen gedroht, sollte er weiter an ihm festhalten. Die Landtagsfraktion änderte für den ehemaligen Vorsitzenden sogar ihre Geschäftsordnung, um ihn als parteiloses Fraktionsmitglied zu halten. Von der Fraktionsspitze verabschiedete Kalbitz sich erst nach der sogenannten Milzriss-Affäre, in der er seinen Fraktionskollegen Dennis Hohloch ins Krankenhaus geboxt hatte.
Auseinandersetzung mit Kalbitz kostet AfD sechsstelligen Betrag
Kalbitz geht gerichtlich gegen die Annullierung seiner Mitgliedschaft vor. Die Bundespartei kostete die Auseinandersetzung bis zum jetzigen Zeitpunkt eine sechsstellige Summe, wie auf dem Parteitag in Riesa öffentlich wurde.
Die Angelegenheit birgt also reichlich Zündstoff – für die Landes, vielleicht aber bald auch wieder für die Bundespartei. Kalbitz gilt nach wie vor als gut vernetzt, zuletzt setzte sich sein Lager an der Spitze der Brandenburger AfD deutlich durch.
Der Brandenburger Landesverband unternahm deshalb auch den Versuch, ihren alten Landes- und Fraktionsvorsitzenden in Riesa zu rehabilitieren. Mit einem Antrag wollten sie das vom alten Bundesvorstand ausgesprochene Auftrittsverbot gegen Andreas Kalbitz kippen lassen.
Kaum offene Grabenkämpfe um ehemaligen "Flügel"-Mann
Doch die Bundesdelegierten winkten ab, setzten das Thema nicht einmal auf die Tagesordnung. Ein Zeichen dafür, dass die Bedeutung des ehemaligen Landesvorsitzenden in der Partei nicht mehr groß genug ist, als dass sie riskiere für ihn Grabenkämpfe auf offener Bühne auszutragen.
Dennoch spielt Kalbitz auf dem Parteitag in Riesa immer noch eine Rolle, mal namentlich, mal indirekt als Beispiel für "Parteiausschluss-Orgien" des alten Bundesvorstands unter Jörg Meuthen (so formuliert es Roland Ulbrich, neues Mitglied des Bundesschiedsgerichts). Und in der Partei gibt es – je nach Lager – die Befürchtung oder Hoffnung, dass Kalbitz über einen einfachen Mitgliedsantrag einen Weg zurück in die AfD findet. Der neue Bundesvorstand müsste dann darüber entscheiden, wie er mit der rechtsextremistischen Vergangenheit von Kalbitz umgeht.
Fortsetzung der Causa Kalbitz?
Der neue Bundesschriftführer Dennis Hohloch stellt sich offen gegen eine Rückkehr von Andreas Kalbitz. Er hatte ihn im Vorfeld des Parteitags als Personalie mit Spaltpotenzial für die AfD bezeichnet. Der Brandenburger AfD-Mann Roman Reusch scheint das anders zu sehen. Er wurde auf dem Parteitag in Riesa zu seiner Haltung zu Kalbitz direkt befragt. Es sei kein Geheimnis, so Reusch, dass er die Entscheidung über Kalbitz‘ Parteimitgliedschaft für politisch und rechtlich falsch gehalten habe. Reusch gehe nach wie vor davon aus, dass Kalbitz gute Karten habe, den Rechtsstreit gegen die Partei zu gewinnen.
Unterdessen könnte sich auch das Blatt für eine Rückkehr Kalbitz‘ über eine Absolution des neuen Bundesvorstands gewendet haben. Der stellvertretende Sprecher Stephan Brandner bewarb sich auf dem Parteitag mit einer Warnung vor exzessiven Parteiordnungsmaßnahmen. Neben ihm finden sich im neuen Bundesvorstand etwa mit Martin Reichardt oder Christina Baum noch weitere AfDler, die dem "Flügel" nahestehen – der Parteiströmung also, die - inzwischen formell aufgelöst - um Björn Höcke und Andreas Kalbitz die Ultrarechten der Partei vernetzte.
Auch die neue Doppelspitze Tino Chrupalla und Alice Weidel hatten 2020 im alten Bundesvorstand gegen den Kalbitz-Rauswurf gestimmt. Ob sich das neue Führungs-Duo den Konflikt so schnell aber auf den Tisch ziehen will, ist fraglich. Klar ist, dass zumindest der Brandenburger Landesverband die Causa Kalbitz auch nach diesem Bundesparteitag wieder mit nach Hause nehmen wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.06.2022, 18:20 Uhr