Jahresbericht 2021 - Brandenburger Verfassungsschutz sieht Rechtsextreme als größte Gefahr

Die Zahl der Rechtsextremisten ist in Brandenburg weiter auf einem hohen Niveau. Eine starke Zunahme hat es laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr bei rechter Gewalt gegeben. Außerdem gibt es mehr "Reichsbürger" und Selbstverwalter.
Der Rechtsextremismus bleibt in Brandenburg nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die größte Gefahr im Bundesland. Die Zahl der als rechtsextrem eingestuften Personen sei zwar im vergangenen Jahr um 30 auf insgesamt 2.830 gesunken, hieß es am Montag bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichtes für 2021.
Zugleich stieg die Zahl rechter Gewaltstraftaten jedoch um 39 auf 108. Auch die Zahl sogenannter Reichsbürger und Selbstverwalter wuchs um 80 auf 650 an.
Stübgen: Rechtsextremes Personenpotential am zweithöchsten
Den größten Anteil der rechtsextremen Szene stelle die als Verdachtsfall beobachtete AfD, hieß es weiter. Ihr würden 790 Personen zugerechnet, zehn mehr als im Vorjahr.
Die Brandenburger AfD hat sich nach Einschätzung von Innenminister Michael Stübgen (CDU) seit ihrer Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall vor zwei Jahren weiter radikalisiert. "Besonderes Kennzeichen der brandenburgischen AfD ist dabei ihr ausgeprägtes völkisch-nationalistisches Lager", so der CDU-Politiker. Demnach wird mit 730 Personen mehr als jedes zweite der rund 1.400 AfD-Mitglieder als rechtsextremistisch eingestuft. Hinzu kommen 60 Mitglieder der Jugendorganisation Junge Alternative.
In der AfD-Landtagsfraktion werden nach Angaben von Verfassungsschutzchef Michael Müller neben Fraktionschef Christoph Berndt als Chef des rechtsextremen Vereins "Zukunft Heimat" weitere Fraktionsmitglieder wie Daniel Freiherr von Lützow und Lars Günther als Rechtsextreme eingestuft. Zur neuen AfD-Landeschefin Birgit Bessin, die dem ebenfalls als rechtsextrem eingestuften Ex-Landeschef Andreas Kalbitz nahesteht, wollte sich Müller noch nicht äußern. Dazu wolle er zunächst in der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags berichten, sagte der Verfassungsschutzchef.
Das rechtsextreme Personenpotenzial sei das zweithöchste seit Bestehen des Bundeslandes, betonte Stübgen. Hinzu kommen der starke Zuwachs bei "Reichsbürgern" und Selbstverwaltern.
Die Entwicklung sei im Wesentlichen auf die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zurückzuführen. Dass mit einem Abflauen der Pandemie auch die rechtsextremen Aktivitäten zurückgehen, sei jedoch eher nicht zu erwarten.
Mischszene in Südbrandenburg
Der Chef des Verfassungsschutzes sieht dabei klare lokale Unterschiede. "Insgesamt betrachtet treten rechtsextremistische Bestrebungen im Süden des Landes weiterhin stärker als in [anderen] Landesteilen in Erscheinung", sagte Müller bei der Vorstellung des Berichts am Montag. Diese Entwicklung gebe es seit Jahren. Der Verfassungsschutz setze zusammen "mit Polizei und zivilgesellschaftlichen Akteuren Schwerpunkte."
In Südbrandenburg gebe es eine über Jahrzehnte gewachsene, verdichtete und verzahnte Mischszene aus Neonationalsozialisten, Rockern, Kampfsportlern, Angehörigen des Bewachungsgewerbes, Hassmusikern, Parteimitgliedern, Bekleidungs- und Musiklabels sowie Hooligans, sagte Müller. "Hinzu kommen weitere extremistische Aktivitäten wie die vom Verein "Zukunft Heimat" und dem Verdachtsfall AfD", so der Verfassungsschutzchef.
NPD "praktisch nicht mehr handlungsfähig"
Bei der NPD sehen die Verfassungsschützer hingegen einen fortgesetzten Abwärtstrend. Die Partei sei mit ihrer um 40 auf 210 verringerten Mitgliederzahl "praktisch nicht mehr handlungsfähig".
Ein Großteil der Rechtsextremisten ist dem Bericht zufolge jedoch nicht fest in Parteien oder parteiunabhängige Strukturen eingebunden: Das sogenannte weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasste im Jahr 2021 insgesamt 1.600 Menschen. Als "gewaltorientiert" gelten insgesamt 1.245 und damit rund 43 Prozent aller dem Verfassungsschutz bekannten Rechtsextremisten.
Die rechtsextreme Szene versuche weiter, verfassungsfeindliche Inhalte gesellschaftsfähig zu machen, betonte Stübgen: "Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen." Demokratie und Freiheit seien Errungenschaften, die ständig gegen ihre Feinde verteidigt werden müssten. Dies zeige der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine "auf brutale Art und Weise".
Scientology wieder in den Bericht aufgenommen
Auch die Zahl der Linksextremisten ist trotz minimalen Rückgangs auf dem hohen Niveau der vergangenen Jahre geblieben. Die Zahl der als linksextrem eingestuften Personen sei um 10 auf 630 gesunken, hieß es. Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag unverändert bei 240. 18 entsprechende Gewaltstraftaten gab es im vergangenen Jahr.
Das Personenpotenzial im islamischen Extremismus steigt hingegen laut Verfassungsschutz seit dem Jahr 2013 kontinuierlich an und lag Ende 2021 bei 210. Dem Salafismus werden davon 160 Menschen zugerechnet. Dieser sei "der geistige Nährboden für den terroristischen Dschihadismus und sich schnell radikalisierende Einzeltäter", hieß es. Im vergangenen Jahr seien in Brandenburg zwei Vereine dieser Szene verboten worden.
Erstmals seit rund 20 Jahren wurde die "Scientology Organisation" (SO) wieder in den Jahresbericht aufgenommen. Grund dafür sei, dass deren Aktivitäten gestiegen seien, sagte Verfassungsschutzchef Müller. "Ausschlaggebend für die Beobachtung ist, dass die Scientology-Organisation eine Gesellschaft ohne Wahlen anstrebt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt", so Müller weiter. Auf ihrer Homepage erklärt die Organisation, sie sei unpolitisch und beschäftige sich mit keinerlei politischen Aktivitäten.
Stübgen sieht zahlreiche Gefahren für Demokratie
Stübgen nannte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für 2021 auch das in Werder/Havel (Potsdam-Mittelmark) herausgegebene Magazin "Compact", dass den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Hetze unterstütze und Regierungsvertreter als "Polit-Verbrecher" diffamiere, die eingesperrt werden sollten. Gleichzeitig verbreite das Magazin "wüste Verschwörungstheorien und verbindet diese mit wüstem Antisemitismus", sagte Stübgen.
In Brandenburg hätten sich zahlreiche Gefahren für die freiheitliche Demokratie "zusammengebraut", warnte der Innenminister. "In dieser Dichte ist das in Deutschland selten anzutreffen", meinte Stübgen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.06.2022, 11 Uhr
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