Bundesparteitag in Riesa - Es brodelt in der AfD

Nach einer Serie von Wahlniederlagen kommt die AfD in Riesa zum Bundesparteitag zusammen. Das Treffen gilt mal wieder als wegweisend für den Kurs. Auch ein Comeback des Rechtsextremisten Andreas Kalbitz steht im Raum. Von Hanno Christ und Oliver Soos
Ein Parteitag in Riesa - das ist Heimspiel für die AfD. Sachsen war bislang immer Kernland, wie überhaupt der ganze Osten Garant für stabile Wahlergebnisse war. Die Kommunalwahlen des vergangenen Wochenendes in Sachsen aber haben deutlich werden lassen, wie angeschlagen die AfD derzeit ist. Weder in größeren Städten noch in Landkreisen gelang ihr ein Wahlsieg. Stattdessen wird die AfD dort rechts von den Freien Sachsen überholt, einer Vereinigung von Neonazis und Querdenkern. Auch bei anderen Wahlen büßte sie Stimmen und Sitze ein, zuletzt zehnmal in Folge. In Schleswig-Holstein verpasste sie sogar den Einzug in den Landtag.
Gründe für den Sinkflug gibt es mehrere: Zum einen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die sich schlecht mit dem Ziel verträgt, bürgerliche Milieus erreichen zu wollen. Daneben fehlt der AfD ein Leitthema, mit dem sie punkten könnte. Die Migrationspolitik spielt für viele Bürger eine derzeit nachgeordnete Rolle. Die ablehnende Haltung der AfD gegenüber den Corona-Schutzmaßnahmen konnte am Ende keinen maßgeblichen Zugewinn bringen, auch bei diesem Thema ist die Luft raus. Zuletzt entblößte die Invasion Russlands einmal mehr den Putin-freundlichen Kurs der Partei.
Dazu fällt die AfD eher durch Zwist als durch Geschlossenheit auf. Im Frühjahr gab der langjährige Parteichef Jörg Meuthen nicht nur sein Amt auf, sondern verließ auch gleich die Partei, der er allenfalls eine Zukunft als ostdeutsche Regionalpartei bescheinigte.
Einer-, Zweier- oder Dreierteam?
Auf dem Parteitag in Riesa entscheidet sich, mit welchen Spitzenpolitikern die AfD nun weitermachen wird - und mit wievielen. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass der bisherige Parteichef Tino Chrupalla erneut antritt, auch wenn ihm maßgeblich Profilschwäche und der Abwärtstrend der AfD angelastet werden. Erwartet wird auch eine Kandidatur von Alice Weidel als Co-Vorsitzende. Derzeit ist allerdings offen, ob sich die Partei eine Solo-Spitze geben wird, eine Doppelbesetzung wie bisher oder sogar ein Dreier-Team, auch darüber soll auf dem Parteitag entschieden werden.
Chrupalla und Weidel gelten als die Kandidaten, die beim Richtungsstreit innerhalb der AfD zwischen den Stühlen sitzen. Offen ist, ob der völkische Flügel seine Hauptprotagonisten ins Rennen schicken wird, ob z.B. der Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke Ambitionen auf den Job des Bundessprechers hat oder Höckes Vertrauter Stephan Brandner.
Der 47-jährige Sachse Chrupalla hatte in den vergangenen Tagen bereits eine eigene Team-Liste vorgestellt, wohl nicht zufällig ausgerichtet an mitgliederstarken Landesverbänden. Auch wenn die AfD im Osten ihre größten Erfolge feiert: Taktgeber werden die Westverbände der Partei sein, die deutlich mehr Mitglieder haben und damit mehr Delegierte stellen. An ihnen führt kein Weg vorbei.

Brandenburger und Berliner kandidieren als Bundessprecher
Da sorgte es dann für einige Überraschung, dass Chrupalla und Weidel Konkurrenz ausgerechnet von einem Brandenburger und einem Berliner bekommen sollen, die beide in der Partei bislang keine große Rolle gespielt haben. Norbert Kleinwächter, Bundestagsabgeordneter und Vizefraktionsvorsitzender aus Wildau (Dahme-Spreewald) und Nicolaus Fest, Europa-Abgeordneter aus Berlin, streben eine gemeinsame Doppelspitze an. Kleinwächter rechnet sich dabei durchaus Chancen aus. "Wir haben in der AfD ein Stil- und ein Kommunikationsproblem und auch deshalb zehn Wahlen in Folge verloren. Wir müssen die Themen proaktiver aufgreifen und besser erklären und positiver gegenüber unseren Wählern auftreten, statt nur die Radikalen anzusprechen - und dafür stehe ich", sagt Kleinwächter.
Der 36-jährige Lehrer, der im fränkischen Bayreuth aufgewachsen ist, will vor allem das ehemalige Meuthen-Lager ansprechen, aber auch Flügelanhänger, denen die Personalien Höcke und Kalbitz zu extrem sind und die von Chrupalla und dessen Performance die Nase vollhaben. Davon gäbe es einige. Kleinwächter erzählt, dass er gerade jeden Tag stundenlang mit Mitgliedern aus verschiedenen Bundesländern telefoniert. Doch im eigenen Brandenburger Landesverband hatte Kleinwächter bislang wenig Rückhalt und galt als Außenseiter. Er wurde immer wieder hart angegangen. Kleinwächter hatte sich einst offen gegen Ex-Landeschef Andreas Kalbitz positioniert, seine Kritik an ihm aber später revidiert. Chrupalla hat auch schon gegen Kleinwächter ausgeteilt und sich darüber lustig gemacht, dass Kleinwächter von seinem Landesverband nicht als Delegierter für den Bundesparteitag aufgestellt wurde. "Wenn Sachsen mir die Gefolgschaft verweigern würde, würde ich mich mit Demut auf die Gästetribüne setzen und nicht kandidieren", sagte Chrupalla der "Welt".
Berliner Delegierte ausschließlich als Gäste zugelassen
Aktive Unterstützung von Parteikollege Fest kann Kleinwächter beim dreitägigen Bundesparteitag nicht erwarten, da die Delegierten des Berliner Landesverbands im Vorfeld ausgeschlossen wurden. Das Berliner Landgericht hat den Antrag des Landesverbands auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine entsprechenden Entscheidung des AfD-Bundesschiedsgerichts am Donnerstag zurückgewiesen. Das teilte ein Sprecher des Gerichts am Freitag auf Anfrage der dpa mit.
Das Bundesschiedsgericht hatte den Ausschluss mit Unregelmäßigkeiten bei der Delegiertenwahl im vergangenen Jahr begründet. "Die Berliner sind jetzt ausschließlich Gäste und dürfen nicht mit abstimmen und haben keine Beiträge", sagte die Vorsitzende des Berliner Landesverbands, Kristin Brinker, am Freitag. Als Bewerber um den Spitzenposten darf Nicolaus Fest allerdings eine Rede halten.
Das Bundesschiedsgericht hatte eine Entscheidung des Landesschiedsgerichts von Anfang Mai bestätigt, das die Berliner Delegiertenwahl kritisiert hatte. Im Kern ging es um die Frage, ob drei Bewerber rechtmäßig auf die Wahlliste aufgenommen wurden. Nach einer eidesstattlichen Versicherung eines der Versammlungsleitung angehörenden Parteimitglieds sollen diese erst auf die Liste gekommen sein, als die Aufnahme der Bewerbung schon beendet war.
Kommt Kalbitz zurück?
Und auch eine andere Personalie dürfte richtungsentscheidend für den Parteitag sein: die des ehemaligen Brandenburger Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz, einst gemeinsam mit Höcke Frontmann des Flügels. Im Mai 2020 hatte der Bundesvorstand unter Jörg Meuthen Kalbitz' Mitgliedschaft in der AfD annulliert, weil er bei Eintritt in die Partei Mitgliedschaften in einer rechtsextremen Partei und einer verfassungsfeindlichen Vereinigung verschwiegen haben soll. Kalbitz wehrt sich dagegen bislang erfolglos vor Gericht.
Trotz seines Ausschlusses ist Kalbitz weiterhin parteipolitisch aktiv, gilt in Ost- und Westverbänden als sehr gut vernetzt und kann auf einen nicht unerheblichen Kreis von Unterstützern zählen. Bei Brandenburger Landesparteitagen schafft es Kalbitz, seine Vertrauten in Stellung zu bringen, wie zuletzt in Prenzlau Birgit Bessin, die zur neuen AfD-Landesvorsitzenden gewählt wurde, in einer Kampfkandidatur gegen den Kalbitz-Gegner Rene Springer. Wie groß der Kalbitz-Anhängerkreis ist, wird sich auch beim Bundesparteitag in Riesa zeigen. Der Parteitag könnte dafür sorgen, dass sich der Wind dreht und Kalbitz Mehrheiten für sich im Bundesvorstand gewinnt. Mehrheiten, die ihm einen Weg zurück in die Partei ebnen. Ein überwiegend Kalbitz gewogener Vorstand könnte seine Neuaufnahme in die AfD durchwinken, inklusive Einzelfallprüfung wegen seiner ehemaligen Mitgliedschaften in extremistischen Parteien und Vereinigungen.
Schicksals-Parteitag auch für Dennis Hohloch
In diesem Falle prophezeien Beobachter der AfD ein Beben und einen massenhaften Austritt von eher gemäßigten Mitgliedern. Kalbitz ist vielen in der AfD zu radikal, sein rabiater, streng hierarchischer Führungsstil ist berüchtigt. Auch um Kalbitz zu verhindern, kandidiert dessen ehemaliger politischer Weggefährte, der parlamentarische Geschäftsführer der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion, Dennis Hohloch, für einen Sitz im Bundesvorstand. Kalbitz hatte Hohloch mit einem Schlag einst schwer an der Milz verletzt. Die sogenannte Milzriss-Affäre im Brandenburger Landtag führte letztlich auch zu Kalbitz' Rücktritt vom Fraktionsvorsitz – und zur weiteren Entfremdung der beiden. "Wenn ich in den Bundesvorstand kommen würde, würde ich ein Veto dagegen einlegen, dass Kalbitz in die AfD aufgenommen wird", sagt Hohloch.
Für den 33-jährigen Lehrer aus Potsdam könnte der Bundesparteitag auch entscheidend fürs eigene politische Schicksal werden. Denn Kalbitz ist bekannt dafür, dass er Vertraute, die sich von ihm entfremden, als Feinde ansieht. Wenn er zurück in die Partei käme, könnte er mit seiner organisatorischen Macht dafür sorgen, dass Hohloch und auch AfD-Landtagsfraktionschef und Widersacher Christoph Berndt auf der Liste für die kommende Landtagswahl von den guten Plätzen verdrängt werden.
Brandenburger AfD-Vorstand will Auftrittsverbot kippen
Dabei wird auf dem Parteitag nicht direkt über eine Wiederaufnahme von Kalbitz abgestimmt werden, sondern lediglich über die Aufhebung eines Auftrittsverbotes, das der Vorstand einst verhängt hatte. Der Antrag für die Aufhebung kommt aus Brandenburg, unter anderem unterstützt von Kalbitz' Nachfolgerin im Landesvorsitz, Birgit Bessin. Die Abstimmung über den Antrag gilt als Stimmungstest, wie es die Partei ihrer wohl extremsten Personalie hält und wie sich Parteichef Chrupalla dazu positioniert. Ein klares Bekenntnis in der Causa Kalbitz gab es bislang von ihm nicht.

Hilft die Teuerung der AfD aus der Krise?
Parteiinterne Beobachter wagen keine Prognose, wie dieser Parteitag ausgehen wird und ob die Veranstaltung in Zwist und Chaos enden könnte. Das Außenbild hat in den vergangenen Monaten gelitten, den Wahlergebnissen nach hat die AfD ihren Zenit überschritten. Es ist trotzdem möglich, dass sie all das schnell hinter sich lassen kann und einmal mehr von einer Krise profitieren wird. Noch ist unklar, wie anhaltend und tiefgreifend die Folgen des Ukraine-Krieges, der Energiekrise und der Teuerung sein werden. In der AfD sind sie bereits in Lauerstellung. Man warte, so heißt es, auf den Zeitpunkt, an dem die Menschen ihre Lohnzettel neben die Gasrechnung legen. In der öffentlichen Wahrnehmung könnten interne Machtkämpfe und Anfeindungen dann schnell vergessen sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.06.2022, 10:00 Uhr