Täuschung der Regierenden Bürgermeisterin - War der falsche Klitschko ein Deepfake oder Video-Schnittkunst?

Mo 27.06.22 | 20:48 Uhr
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Eine Videokonferenz mit Franziska Giffey und Vladimir Klitschko, welcher sich im Nachhinein als sog. "Deep Fake" herausstellte (Bild: Senatskanzlei Berlin)
Audio: rbb24 Inforadio | 27.06.2022 | Ann-Kristin Schenten | Bild: Senatskanzlei Berlin

Der spektakuläre Videoanruf eines Fake-Klitschkos bei Franziska Giffey sorgt immer noch für Verwunderung. Unklar ist vor allem, wie der falsche Klitschko erzeugt wurde und ob es sich tatsächlich um einen sogenannten "Deepfake" handelt. Von Anna Bordel

Politiker:innen sind vorbereitet auf unerwartete Ereignisse und ihr Team ist es auch. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einen Vorfall wie am vergangenen Freitag so noch nie erlebt hat.

In hoher Auflösung konnte sie eigenen Angaben zufolge das Gesicht von Vitali Klitschko, den Bürgermeister von Kiew auf dem Bildschirm vor sich sehen. Die Lippenbewegungen stimmten Giffey zufolge eins zu eins mit dem Gesagten überein, Gestik und Mimik wirkten normal. Aber es war nicht normal.

Senatskanzlei bringt Deepfake Theorie ins Spiel

Wirklich stutzig wurde Giffey bei der Frage, ob Berlin nicht bei der Organisation eines Christopher Street Days unterstützen könne. Da sagte sie zu ihren Leuten: Hier stimmt was nicht und in dem Moment wurde das Gespräch abgebrochen.

Giffey zufolge kontaktierte ihr Team umgehend die ukrainische Botschaft, nachdem das dubiose Videotelefonat beendet worden war. Schnell wurde klar: Das war nicht der echte Vitali Klitschko. Doch wem oder was sind Giffey und ihr Team da aufgesessen? Die Senatskanzlei sprach davon, dass es sich bei dem Fake-Anruf womöglich um ein Deepfake, also ein durch künstliche Intelligenz manipuliertes Video handele. Dazu ermittelt der Staatsschutz. Es gibt aber noch mehr Möglichkeiten, wie der falsche Klitschko auf dem Senats-Bildschirm erzeugt worden sein könnte.

Experten uneinig - Deepfake oder cleverer Videozusammenschnitt?

Martin Steinebach, Leiter der Abteilung Media Security und IT Forensics am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie, hält es durchaus für denkbar, dass es sich in diesem Fall um ein Deepfake handelt. Daniel Laufer, Redakteur beim ARD-Politmagazin Kontraste, ist hingegen der Meinung, dass die Technik noch nicht ausgereift genug ist, um ein derart überzeugendes Deepfake in Echtzeit zu erzeugen.

"Deepfakes waren bislang vor allem eine Art Gespenst, vor dem gewarnt wurde, dass es zu politischen Zwecken eingesetzt werden könnte. Und das ist natürlich eine dystopische Horrorvorstellung. Aber in konkreten Fällen war es meines Wissens bislang nie so, dass solche technisch anspruchsvollen Deepfakes überzeugend zum Einsatz kamen – die Erklärungen für Fakes waren einfacher", so Laufer.

So hat er auch für diesen Fall eine einfachere mögliche Erklärung gefunden: In einem Youtube-Video, das Klitschko Anfang April bei einem Interview mit einem ukrainischen Journalisten zeigt, trägt er die gleiche hellbraune Jacke und es ist der gleiche Hintergrund zu sehen, wie auf den Bildern, die es von dem Fake-Telefonat mit Giffey gibt. Laufer ist dieses Youtube-Video von Anfang April nun Bild für Bild durchgegangen und hat seiner Meinung nach alle fünf vorhandenen Screenshots des Giffey-Telefonats in diesem Video wieder gefunden.

Screenshots des Fake-Klitschkos gleichen einem Youtube-Video

"Das ist genau der Gesichtsausdruck wie im Originalmaterial, es ist genau der Ausschnitt des Hintergrunds. Das spricht meines Erachtens dafür, dass es sich um eine identische Aufnahme handelt. Und wenn es sich um eine identische Aufnahme handelt, dann ist doch die Frage, was an diesen Bildern computergeneriert sein soll", so Laufer weiter. Er könne also keine Hinweise auf ein Deepfake erkennen, wundere sich aber nicht, dass Giffey und ihr Team bereits davon sprechen, immerhin seien sie zunächst darauf "reingefallen".

Laufer mutmaßt, dass es sein könnte, dass das russische Komiker-Duo Vovan und Lexus hinter der Tat stecke, das zuletzt mit einem Fake-Anruf bei der Harry Potter-Autorin J. K. Rowling Schlagzeilen machte. Zur modernen Kriegsführung zähle der Anruf für Laufer auch in diesem Fall, denn natürlich habe die russische Regierung ein Interesse daran, europäische Bürgermeister:innen vorzuführen.

IT-Experte: "Die Echtzeitfähigkeit von Deepfakes ist gegeben"

Gegen Laufers Theorie eines vorab zusammengeschnittenen Videoclips spricht, dass die Senatskanzlei und auch Giffey selbst darauf hinwiesen, der Fake-Klitschko habe während des Gesprächs auf von Giffey Gesagtes spontan reagiert und sei auf Bemerkungen eingegangen. Das auf Russisch Gesprochene weiche außerdem nicht von dem ab, was der Übersetzer auf Deutsch gesagt habe, teilte die Senatskanzlei am Montag mit. Es hätten sich zum Zeitpunkt des Gesprächs zwei Personen im Raum befunden, die Russisch verstünden.

Auch IT-Experte Martin Steinbach hält es für möglich, dass es sich bei dem Anruf um ein Live-Deepfake gehandelt haben könnte. "Es spricht nichts dagegen, dass das, was da gemacht worden ist, ein Deepfake ist. Die Echtzeitfähigkeit von Deepfakes ist gegeben. Was man da an den Screenshots gesehen hat ist, dass der vermeintliche Klitschko etwas stärker weichgezeichnet ist, als im Originalvideo. Das ist so eine typische Folge davon, dass man das mit Deepfakelive macht", so Steinebach. Auch technisch halte er das für durchaus möglich. Live-Deepfakes seien kein Phänomen mehr, das besonders schwer zu realisieren wäre.

Wie der Fake gemacht sein könnte

Grundsätzlich gäbe es mehrere Möglichkeiten so etwas zu realisieren. Man könne entweder versuchen, die Szene aus dem auch von Laufer genannten Video nachzustellen und mithilfe einer Deepfake-Software Klitschkos Gesicht zu simulieren. "Den Hintergrund kann man aus dem Original extrahieren, der Anorak findet sich vielleicht irgendwo und man setzt eine Person damit vor die Kamera. Dann lässt sich in Echtzeit das Gesicht von Klitschko, dass man in dem Originalvideo gelernt hat, auf die Person, die da gerade spricht, projizieren", so Steinebach.

Ansonsten gebe es auch noch die Möglichkeit, dass man das Originalvideo nimmt und da die Mimik mit anderen Deepfake-Algorithmen steuert. "Man würde also ein Video aus der Vergangenheit ablaufen lassen, aber die Mimik des Sprechers Klitschkos fernsteuern", so Steinebach.

Solche Deepfake-Videos zu erkennen, sei allerdings extrem schwierig und nur für Fachleute machbar. "Wir sind nicht so weit, dass wir so ein Video mal eben mit einem Stoppschild oder einem grünen Daumen nach oben ganz einfach bewerten können", meint Steinebach. Dafür müssten sich Politiker:innen mit Experten umgeben.

Video: Aus diesem Interview könnten die Betrüger den falschen Klitschko gebaut haben

Den allerwichtigsten Schritt findet der IT-Experte zunächst, sich über die Vertrauenswürdigkeit von Kanälen Gedanken zu machen. Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist es nicht ungewöhnlich von Email-Adressen kontaktiert zu werden, die ohne institutionelle Email-Signatur oder Domain sind, teilte Senatssprecherin Lisa Frerichs dem rbb auf Nachfrage mit. "Das geschieht gerade vor dem Hintergrund etwaiger Attacken auf die Netze", so die Sprecherin.

An dieser Stelle äußert Steinebach Bedenken: "Wenn ich eine E-Mail über irgendeinen Kanal bekomme, dann ist das natürlich nicht vertrauenswürdig. Im ersten Schritt würde ich Video-Konferenzen auch nicht anders behandeln als eine E-Mail. Und einer E-Mail nur dann vertrauen, wenn sie von einer offiziellen Quelle ist und vielleicht auch nur dann, wenn es im Vorfeld ausgetauschte Signaturen". Es sei erforderlich sich durch einen zusätzlichen Anruf im Sekretariat oder im anderweitigen Umfeld zu vergewissern, dass es sich wirklich um eine verlässliche Quelle handele.

Giffey will künftig "noch misstrauischer" sein

Deepfakes könnten laut Steinebach versuchen, politische Aussagen platzieren, die so von der Originalperson, also in diesem Fall von Klitschko, nie gemeint waren. "Es kann aber auch übergeordnet der Versuch sein, Vertrauen in Kommunikation einzuschränken. Wenn ich keinem Gesprächspartner mehr vertraue, weil ich nie glaube, dass ich mit dem Original spreche, dann schwächt das natürlich Prozesse."

Spuren des Misstrauens und der zunehmenden Vorsicht hat diese Erfahrung im Team um die Regierende Bürgermeisterin mit Sicherheit hinterlassen. "Das bedeutet, dass wir künftig noch stärker in die Prüfung gehen, noch misstrauischer sein müssen", so Franziska Giffey am vergangenen Samstag.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.06.2022, 15.20 Uhr

16 Kommentare

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  1. 15.

    Gut, dass die Kommentarmöglichkeit nch nicht geschlossen ist.
    Nun wurde auch aus Warschau bekannt, dass dort der Bürgermeiter/OBM in eine Gespräch verwickelt wurde. Ich meine, ich schreibe, das mal hier, weil es auch in Spanien passierte. Jeder kann sich da seine Meinung bilden.
    Dennoch bleibt es dabei, dass das "Vorzimmer" von Frau Giffey echt wachsam sein muss. Die betr. BMs/OBMs wollen sich sogar austauschen, um besser "aufgestellt" zu sein. Den herzlichsten Kommentar hat dann, wer war es nun, fällt mit gerade nicht ein, ich sag mal,die Klitschkos selbst abgegeben, da man ja sich auf Deutsch melden bzw. kommunizieren würde.

  2. 14.

    Peinlich ist eher, dass (nicht nur) Sie offenbar davon ausgehen, ohne die Wahlpannen wäre die BVV Wahl vollkommen anders ausgegangen und Berlin würde nun anders regiert, Frank.

  3. 13.

    Um so peinlicher ist es ja, dass dieser Personenkreis durch eine Wahl, die noch vom Berliner Veffassungsgericht überprüft wird,in ihre Ämter gehievt wurden.

  4. 12.

    Bei allem:
    Immerhin ist Franziska Giffey klüger als Hans-Christian Strache in Österreich. Der hatte es bis zum Schluss nicht durchschaut und voller Überzeugung seine Mördergrube zur "Herzenssache" erklärt.

    ;-

  5. 11.

    So langsam könnte man sich aber wieder mal beruhigen. Die Kernaussage bleibt doch aber gleich. Dieser dümmlich/unfähige Senat hat sich schlicht und einfach verarschen lassen. Nicht weiter verwunderlich und leider pure Realität.

  6. 10.

    Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Insofern könnte es ggf. nur die Neuauflage medialer Getriebenheit sein, so wie seinerzeit den Namen der anonymen Spender aufgesessen zu sein.

    Gelöst ist hinsichtlich nichts und rein garnichts: Die Geschwindigkeiten bei der Artikelerstellung ist eher noch höher geworden und diese Abgehetztheit hat sogar seriöse Firmen und sogar Regierungen erreicht. Die Möglichkeiten der x-beliebigen Zusammenstellungen hingegen sind nahezu unendlich.

    Der zusammengeklaubte Klitschko würde sich da nur einreihen in die tägliche Zusammenstellung von Beispielbildern, weil die echten Fotos "zu aufwändig" wären und im Zweifelsfall eher unspektakulär aussehen.

  7. 9.

    Selbst wenn sich die Sache erklären läßt.
    Die Politiker fallen ja immer nach oben.
    Nach dem Mißgeschik bei der Doktorarbeit, mußte Frau G zwar ihr Ministeramt augeben.
    Auf Grund iher Reue,wurde diese jetzt Regierende Bürgermeisterin von Berlin.
    Ich habe vollstes "Vertrauen" in "unsere " Politiker.

  8. 8.

    Schiefgelaufen? Gar nichts. Wir stehen in Konflikt mit einer Supermacht, die wir selbst, da wir nicht merken wollten, wie stark die Sehnsucht nach alter Größe ist, seit 30 Jahren mit allem technischen Know-how hochgerüstet haben. Der neue Markt war zu verlockend. Nun wird das Gekaufte und Erlernte munter eingesetzt.

  9. 7.

    Frau Giffey und ihr Team hätten schon deswegen stutzig werden müssen, weil Klitschko sehr gut Deutsch spricht. Warum also hätte er mit der Berliner RegBgm Russisch sprechen sollen?

    Dass das niemandem aufgefallen ist, ist das eigentlich Unfassbare.

  10. 6.

    "Täuschung von Berliner Bürgermeistetin"

    Frau Giffey ist Regierende Bürgermeisterin von Berlin.

    Frau Jarasch ist Bürgermeisterin.

    Herr Dr. Lederer ist Bürgermeister.

  11. 5.

    Frau Giffey ist und bleibt ne Fehlbesetzung!
    Die IT des Senat von Berlin hät sich mal die Header der Anbahnungsmails ansehen sollen vielleicht wäre dann der Schwindel aufgefallen. Man kann vieles im Netz fälschen aber eben nicht alles

  12. 4.

    "die Geschichte alt und wird auch nicht besser, wenn sie nochmals aufgewärmt wird. " Was ist dann das Ziel nach Ihrer Meinung, die Geschichte mit immer neuen Meldungen (und seien sie noch zu dünn an Neuigkeitswert) am Köcheln zu halten?

  13. 3.

    Im verlinkten vorigen Artikel zu diesem Thema steht das:

    "Angebahnt worden sei das Gespräch Anfang Juni über einen E-Mail-Verkehr über die Senatskanzlei, der sich demnach als Fake herausgestellt habe. Die ukrainische Botschaft sei eingebunden gewesen."

    Was ist da schiefgelaufen?

  14. 2.

    " Solche Deepfake-Videos zu erkennen, sei allerdings extrem schwierig und nur für Fachleute machbar "

    also alles noch unklar und nicht sicher

  15. 1.

    Nun, der Drops ist gelutscht, die Geschichte alt und wird auch nicht besser, wenn sie nochmals aufgewärmt wird.
    Schuld ist der Russe und gut ist. Oder sollte es anders sein?
    "Stutzig wurde Giffey bei den Fragen, die gestellt wurden. Der Gesprächspartner habe gefragt, ob Ukrainer in Berlin Sozialleistungen erschleichen, und habe gebeten, ukrainische Männer zum Kämpfen zurückzuschicken." - hieß es bei "Giffey zu Deep-Fake: "Es ist ein Mittel der modernen Kriegsführung" - dann hätte Frau Giffey das durchschaut, denn mit Fälschungen kennt sie sich ja aus.
    Wobei" die Antwort auf die Fragen werden wir wohl nie erhalten.

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