Täuschung der Regierenden Bürgermeisterin - War der falsche Klitschko ein Deepfake oder Video-Schnittkunst?

Der spektakuläre Videoanruf eines Fake-Klitschkos bei Franziska Giffey sorgt immer noch für Verwunderung. Unklar ist vor allem, wie der falsche Klitschko erzeugt wurde und ob es sich tatsächlich um einen sogenannten "Deepfake" handelt. Von Anna Bordel
Politiker:innen sind vorbereitet auf unerwartete Ereignisse und ihr Team ist es auch. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey einen Vorfall wie am vergangenen Freitag so noch nie erlebt hat.
In hoher Auflösung konnte sie eigenen Angaben zufolge das Gesicht von Vitali Klitschko, den Bürgermeister von Kiew auf dem Bildschirm vor sich sehen. Die Lippenbewegungen stimmten Giffey zufolge eins zu eins mit dem Gesagten überein, Gestik und Mimik wirkten normal. Aber es war nicht normal.
Senatskanzlei bringt Deepfake Theorie ins Spiel
Wirklich stutzig wurde Giffey bei der Frage, ob Berlin nicht bei der Organisation eines Christopher Street Days unterstützen könne. Da sagte sie zu ihren Leuten: Hier stimmt was nicht und in dem Moment wurde das Gespräch abgebrochen.
Giffey zufolge kontaktierte ihr Team umgehend die ukrainische Botschaft, nachdem das dubiose Videotelefonat beendet worden war. Schnell wurde klar: Das war nicht der echte Vitali Klitschko. Doch wem oder was sind Giffey und ihr Team da aufgesessen? Die Senatskanzlei sprach davon, dass es sich bei dem Fake-Anruf womöglich um ein Deepfake, also ein durch künstliche Intelligenz manipuliertes Video handele. Dazu ermittelt der Staatsschutz. Es gibt aber noch mehr Möglichkeiten, wie der falsche Klitschko auf dem Senats-Bildschirm erzeugt worden sein könnte.
Experten uneinig - Deepfake oder cleverer Videozusammenschnitt?
Martin Steinebach, Leiter der Abteilung Media Security und IT Forensics am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie, hält es durchaus für denkbar, dass es sich in diesem Fall um ein Deepfake handelt. Daniel Laufer, Redakteur beim ARD-Politmagazin Kontraste, ist hingegen der Meinung, dass die Technik noch nicht ausgereift genug ist, um ein derart überzeugendes Deepfake in Echtzeit zu erzeugen.
"Deepfakes waren bislang vor allem eine Art Gespenst, vor dem gewarnt wurde, dass es zu politischen Zwecken eingesetzt werden könnte. Und das ist natürlich eine dystopische Horrorvorstellung. Aber in konkreten Fällen war es meines Wissens bislang nie so, dass solche technisch anspruchsvollen Deepfakes überzeugend zum Einsatz kamen – die Erklärungen für Fakes waren einfacher", so Laufer.
So hat er auch für diesen Fall eine einfachere mögliche Erklärung gefunden: In einem Youtube-Video, das Klitschko Anfang April bei einem Interview mit einem ukrainischen Journalisten zeigt, trägt er die gleiche hellbraune Jacke und es ist der gleiche Hintergrund zu sehen, wie auf den Bildern, die es von dem Fake-Telefonat mit Giffey gibt. Laufer ist dieses Youtube-Video von Anfang April nun Bild für Bild durchgegangen und hat seiner Meinung nach alle fünf vorhandenen Screenshots des Giffey-Telefonats in diesem Video wieder gefunden.
Screenshots des Fake-Klitschkos gleichen einem Youtube-Video
"Das ist genau der Gesichtsausdruck wie im Originalmaterial, es ist genau der Ausschnitt des Hintergrunds. Das spricht meines Erachtens dafür, dass es sich um eine identische Aufnahme handelt. Und wenn es sich um eine identische Aufnahme handelt, dann ist doch die Frage, was an diesen Bildern computergeneriert sein soll", so Laufer weiter. Er könne also keine Hinweise auf ein Deepfake erkennen, wundere sich aber nicht, dass Giffey und ihr Team bereits davon sprechen, immerhin seien sie zunächst darauf "reingefallen".
Laufer mutmaßt, dass es sein könnte, dass das russische Komiker-Duo Vovan und Lexus hinter der Tat stecke, das zuletzt mit einem Fake-Anruf bei der Harry Potter-Autorin J. K. Rowling Schlagzeilen machte. Zur modernen Kriegsführung zähle der Anruf für Laufer auch in diesem Fall, denn natürlich habe die russische Regierung ein Interesse daran, europäische Bürgermeister:innen vorzuführen.
IT-Experte: "Die Echtzeitfähigkeit von Deepfakes ist gegeben"
Gegen Laufers Theorie eines vorab zusammengeschnittenen Videoclips spricht, dass die Senatskanzlei und auch Giffey selbst darauf hinwiesen, der Fake-Klitschko habe während des Gesprächs auf von Giffey Gesagtes spontan reagiert und sei auf Bemerkungen eingegangen. Das auf Russisch Gesprochene weiche außerdem nicht von dem ab, was der Übersetzer auf Deutsch gesagt habe, teilte die Senatskanzlei am Montag mit. Es hätten sich zum Zeitpunkt des Gesprächs zwei Personen im Raum befunden, die Russisch verstünden.
Auch IT-Experte Martin Steinbach hält es für möglich, dass es sich bei dem Anruf um ein Live-Deepfake gehandelt haben könnte. "Es spricht nichts dagegen, dass das, was da gemacht worden ist, ein Deepfake ist. Die Echtzeitfähigkeit von Deepfakes ist gegeben. Was man da an den Screenshots gesehen hat ist, dass der vermeintliche Klitschko etwas stärker weichgezeichnet ist, als im Originalvideo. Das ist so eine typische Folge davon, dass man das mit Deepfakelive macht", so Steinebach. Auch technisch halte er das für durchaus möglich. Live-Deepfakes seien kein Phänomen mehr, das besonders schwer zu realisieren wäre.
Wie der Fake gemacht sein könnte
Grundsätzlich gäbe es mehrere Möglichkeiten so etwas zu realisieren. Man könne entweder versuchen, die Szene aus dem auch von Laufer genannten Video nachzustellen und mithilfe einer Deepfake-Software Klitschkos Gesicht zu simulieren. "Den Hintergrund kann man aus dem Original extrahieren, der Anorak findet sich vielleicht irgendwo und man setzt eine Person damit vor die Kamera. Dann lässt sich in Echtzeit das Gesicht von Klitschko, dass man in dem Originalvideo gelernt hat, auf die Person, die da gerade spricht, projizieren", so Steinebach.
Ansonsten gebe es auch noch die Möglichkeit, dass man das Originalvideo nimmt und da die Mimik mit anderen Deepfake-Algorithmen steuert. "Man würde also ein Video aus der Vergangenheit ablaufen lassen, aber die Mimik des Sprechers Klitschkos fernsteuern", so Steinebach.
Solche Deepfake-Videos zu erkennen, sei allerdings extrem schwierig und nur für Fachleute machbar. "Wir sind nicht so weit, dass wir so ein Video mal eben mit einem Stoppschild oder einem grünen Daumen nach oben ganz einfach bewerten können", meint Steinebach. Dafür müssten sich Politiker:innen mit Experten umgeben.
Video: Aus diesem Interview könnten die Betrüger den falschen Klitschko gebaut haben
Den allerwichtigsten Schritt findet der IT-Experte zunächst, sich über die Vertrauenswürdigkeit von Kanälen Gedanken zu machen. Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist es nicht ungewöhnlich von Email-Adressen kontaktiert zu werden, die ohne institutionelle Email-Signatur oder Domain sind, teilte Senatssprecherin Lisa Frerichs dem rbb auf Nachfrage mit. "Das geschieht gerade vor dem Hintergrund etwaiger Attacken auf die Netze", so die Sprecherin.
An dieser Stelle äußert Steinebach Bedenken: "Wenn ich eine E-Mail über irgendeinen Kanal bekomme, dann ist das natürlich nicht vertrauenswürdig. Im ersten Schritt würde ich Video-Konferenzen auch nicht anders behandeln als eine E-Mail. Und einer E-Mail nur dann vertrauen, wenn sie von einer offiziellen Quelle ist und vielleicht auch nur dann, wenn es im Vorfeld ausgetauschte Signaturen". Es sei erforderlich sich durch einen zusätzlichen Anruf im Sekretariat oder im anderweitigen Umfeld zu vergewissern, dass es sich wirklich um eine verlässliche Quelle handele.
Giffey will künftig "noch misstrauischer" sein
Deepfakes könnten laut Steinebach versuchen, politische Aussagen platzieren, die so von der Originalperson, also in diesem Fall von Klitschko, nie gemeint waren. "Es kann aber auch übergeordnet der Versuch sein, Vertrauen in Kommunikation einzuschränken. Wenn ich keinem Gesprächspartner mehr vertraue, weil ich nie glaube, dass ich mit dem Original spreche, dann schwächt das natürlich Prozesse."
Spuren des Misstrauens und der zunehmenden Vorsicht hat diese Erfahrung im Team um die Regierende Bürgermeisterin mit Sicherheit hinterlassen. "Das bedeutet, dass wir künftig noch stärker in die Prüfung gehen, noch misstrauischer sein müssen", so Franziska Giffey am vergangenen Samstag.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.06.2022, 15.20 Uhr