Landesparteitag am 19. Juni - Wie Giffey und Saleh die Berliner SPD auf Linie bringen

Nach einer langen Corona-Pause treffen sich die Berliner Sozialdemokraten am nächsten Wochenende wieder zu einem Parteitag in Präsenz. Das Führungsduo Giffey und Saleh muss nicht um seine Wiederwahl fürchten. Offen ist, wer mehr Rückhalt hat. Von Dorit Knieling und Jan Menzel
Es fängt schon mit der Anreise an. Ein Großteil der Parteitags-Delegierten kommt nicht alleine mit dem Auto oder mit der S-Bahn zum Parteitag ins Neuköllner Hotel Estrel. Stattdessen werden viele gemeinsam in einem Reisebus vorfahren. Sie kommen direkt von der SPD-Fraktionsklausur in Potsdam, die dieses Mal ganz hinter verschlossenen Türen und ohne Pressebegleitung stattfindet. Nach Klausur und kollektiver Busfahrt ist der Parteitag am 19. Juni quasi die nächste Station auf einer parteiinternen Klassenfahrt. Für die Berliner SPD ist das auffällig viel Gemeinschaftsaktivität an einem Wochenende.
Sinn macht das aber allemal. Corona hat in den vergangenen beiden Jahren die Parteiarbeit, ganz normale Kontakte und Parteitage massiv erschwert. Außerdem ist die Abgeordnetenhausfraktion seit der Wahl eine völlig andere. Zahlreiche jüngere Abgeordnete sind dazugekommen, während langjährige Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die den Laden zusammengehalten haben und in ihren Bereichen Experten waren, nicht mehr dabei sind. Sogar die einst so mächtigen Parteiflügel, vor allem die Linke in der SPD, wirken merkwürdig gestutzt.
Partei aus einem Guss
Letzteres liegt auch an den beiden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh. Vor allem Saleh beackert das Feld der Partei bis hinein in den kleinsten Ortsverein. Auf jeder Ebene, im hintersten Winkel und in jeder Arbeitsgemeinschaft hat der Fraktionschef Vertraute. Saleh pflegt ein Netz aus Kontakten, greift zum Handy und schaut auch mal persönlich vorbei. "Wir wollen gerne die Partei aus einem Guss gestalten. Partei, Fraktion und Senat müssen und werden in Zukunft weiter zusammenarbeiten", umreißt die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, wie sie sich das Zusammenspiel vorstellt.
Was das machttechnisch bedeutet, war kürzlich bei den Wahlen der Kreisvorsitzenden zu beobachten. Charlottenburg-Wilmersdorf als einer der großen SPD-Kreisverbände war in der Vergangenheit stets im Lager um den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Michael Müller und den langjährigen Kreischef Christian Gaebler zu verorten und damit so ganz und gar nicht auf Saleh-Linie. Dort hat sich nun ein Führungs-Team um den Kreisvorsitzenden Kian Niroomand gebildet, auf das Fraktions- und Landeschef Saleh zählen kann.
Linker Flügel hat kaum noch etwas zu melden
Einen regelrechten Coup landeten die beiden Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey im April, als sie der überraschten Partei ihr Personalpaket für den geschäftsführenden Landesvorstand präsentierten. Männer und Frauen, Ost und West sowie Politikerinnen und Politiker, die eine Zuwanderungsgeschichte mitbringen, sind dabei. "Die neuen Gesichter stehen für die Vielfalt Berlins", lobt Saleh seine handverlesene Führungsmannschaft, zu der neben Charlottenburgs Kreischef Niroomand auch die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesbauministerium Cansel Kiziltepe und die Pankower Stadträtin Rona Tietje gehören.
Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass die einst mächtige Parteilinke kaum noch etwas zu melden hat. Mit dem bisher noch stellvertretenden Landesvorsitzenden Julian Zado geht der letzte einflussreiche Vertreter dieser Gruppierung von Bord. Im Falle Zados hat das vor allem berufliche Gründe. Der Jurist ist durch seine Tätigkeit im Bundesverteidigungsministerium zeitlich extrem gefordert.
Warnung vor "Spandauisierung"
Dass aber niemand anderes aus Zados Kreisverband Mitte für ihn nachrückt, überhaupt, dass dieser größte Kreisverband der Berliner SPD außen vor bleibt, zeigt, wie sehr sich die Gewichte verschoben haben. "Natürlich haben wir als Kreisverband den Anspruch, das wir entsprechend repräsentiert werden", meldet der Abgeordnete Mathias Schulz aus Mitte nur zaghaft Ansprüche an und schiebt gleich hinterher, dass es auch darum gehe, welche Themen man setzen könne.
Manche, die dem immer mächtiger werdenden Fraktionschef Saleh kritisch gegenüberstehen, warnen angesichts der Entwicklung vor einer "Spandauisierung" der Berliner SPD. Eine Anspielung auf die Verhältnisse in Salehs Heimatkreis Spandau, in dem praktisch nichts ohne dessen Wissen und Zustimmung läuft.
Wahlergebnis von 2020 auf dem Prüfstand
Gespannt blicken viele in der SPD insbesondere darauf, wie sich die Dinge innerhalb des Vorsitzenden-Duos Giffey-Saleh künftig entwickeln. Bislang war die Arbeitsteilung recht klar: Sie ist die Nummer 1. Sie regiert und repräsentiert die Stadt vom Roten Rathaus aus, während er mehr im Hintergrund wirkt, die Fäden spinnt und Mehrheiten organisiert. Bei ihrer ersten Wahl als Landesvorsitzende vor anderthalb Jahren kam Giffey auf knapp 90 Prozent der Stimmen. Saleh erreichte rund 69 Prozent.
Und dieses Mal? "Das kann man in Zahlen nicht ausdrücken. Ich bin sehr erfreut, wenn es weiter eine gute Unterstützung gibt", antwortet die Regierende Bürgermeisterin vorsichtig und lächelt dabei fein. Tatsächlich gehen die meisten Sozialdemokraten von schlechteren Ergebnissen für die beiden Landesvorsitzenden als 2020 aus. Manche spekulieren sogar, dass sich da etwas drehen könnte und der Fraktionsvorsitzende am Ende vor der Bürgermeisterin liegen könnte.
Klare Ansagen vor dem Parteitag
Darauf zu wetten, wäre aber genauso verfrüht, wie darauf zu vertrauen, dass aufwendiges Teambuilding und kollektives Busfahren aus einem SPD-Landesparteitag eine Harmonie-Veranstaltung macht. Das dürften schon ein "Ehemaliger" und der aufmüpfige Parteinachwuchs verhindern. Ex-Finanzsenator Matthias Kollatz hatte seinen beiden Landesvorsitzenden schriftlich mitgeteilt, dass er wenig Lust auf salbungsvolle Danksagungen verspürt und Saleh und Giffey gebeten, von Parteitags-Belobigungen Abstand zu nehmen.
Die Jusos wiederum setzen Giffey und Saleh mit einer Reihe von inhaltlichen Anträgen unter Druck. So verlangen sie, dass sich die Partei klipp und klar zur Enteignung großer Wohnungskonzerne bekennt. Er gehe nicht mehr um das "Ob", sondern um das "Wie" einer verfassungskonformen Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids, findet der Parteinachwuchs und widerspricht damit allem, was die Regierende Bürgermeisterin zu dem Thema erklärt hat.
A100-Ausbau als Parteitags-Dauerbrenner
Als Parteitags-Dauerbrenner erweist sich einmal mehr die A100, wobei die Jusos sich hier im Verbund mit einigen Kreisverbänden Chancen auf einen Erfolg ausrechnen können. Sie wollen erreichen, dass Berlin den Planungen für einen Weiterbau der Autobahn jenseits des Treptower Parks eine Absage erteilt. Die Landesvorsitzenden wollen lediglich die Planungen für eine Verlängerung für die Zeit bis zur nächsten Wahl ausschließen. Aber auch für den Fall, dass der Parteitag seinen beiden Spitzenleuten an dieser Stelle die Richtung vorgegeben sollte, gibt sich Raed Saleh gelassen. "Ich hab in meinem Leben schon so viele Anträge zur A100 kommen und gehen sehen", sagt er und das klingt nicht, so als wolle er sich von seiner Linie abbringen lassen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 11.06.2022, 19:30 Uhr