Kommentar | Wohnungsbündnis - Schlüsselfigur Giffey

Das Berliner Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen ist besiegelt. Doch die Strahlkraft des Prestigeprojekts dürfte sich in Grenzen halten. Die Regierende Bürgermeisterin ist auch Opfer ihres eigenen Ehrgeizes geworden, kommentiert Thorsten Gabriel.
Wer lernen will, wie man auch qualitativ mittelmäßige Produkte als Meisterwerke verkauft, sollte bei Franziska Giffey einen Workshop buchen. Die SPD-Politikerin gehört seit je her zu den Verpackungskünstlern im politischen Geschäft.
Als Bundesfamilienministerin erfand sie das "Gute-KiTa-Gesetz", das mit bürgerlichem Namen eigentlich "Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege" heißt. Warum kompliziert, wenn’s auch einfach geht, lautet nicht erst seitdem Giffeys Credo.
Berliner Bär mit Pappschlüsseln
Auch ihr jüngstes Lehrstück der politischen Kommunikation ist in diesem Sinne ein Meisterwerk: das Bündnis für Wohnungsbau und bezahlbares Wohnen. Wer das zähe Ringen von Senat, Bezirken, Immobilienwirtschaft und Verbänden verfolgt hatte, erlebte die Unterzeichnung der finalen Bündnisvereinbarung als geradezu atemberaubende Inszenierung: Auftritt Franziska Giffey mit großformatigen Requisiten.
Um zu verdeutlichen, dass der geschlossene Pakt aus drei wesentlichen "Schlüsseln" zum Erfolg besteht – nämlich schnellem Neubau, fairer Neuvermietung und Mieterschutz – präsentierte die Regierende Bürgermeisterin drei gitarrengroße Pappschlüssel, die sie einem Berliner-Bären-Modell über den ausgestreckten Arm hängte. Hätte nur noch gefehlt, dass sie die Schlüssel zum Anfassen auch mal ins Publikum reicht.
Viele Fragen bleiben unbeantwortet
Eigentlich waren auch Fragen der Medien vorgesehen. Doch dann war – leider, leider – die Zeit rum und die Regierende musste runter in den Wappensaal, Alba Berlin zur Meisterschaft gratulieren. Dabei hätte es an Fragen nicht gemangelt. Denn einige Bündnispartner hatten sich entschieden, das Papier nicht zu unterzeichnen, wie etwa der Berliner Mieterverein. Dessen Geschäftsführer Reiner Wild glaubt nicht, dass die Vereinbarungen zur Mietendämpfung nennenswerte Wirkung entfalten werden. Auch der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA verzichtete aufs Unterschreiben. Ihm gingen dieselben Textpassagen, die Wild für Worte ohne Wert hält, wiederum zu weit.
Ein halbes Dutzend fehlende Unterschriften von Bündnispartnern – das ist nicht das "Gemeinsam sind wir stark"-Bild, das Franziska Giffey noch im Januar propagiert hatte. Insbesondere die Absage des Mietervereins bringt das Bündnis in eine Schieflage. Danach wäre Giffey von der Presse sicher gefragt worden. Und wahrscheinlich hätte es auch Nachfragen zu ihren Koalitionspartner:innen gegeben. Die werten das ganze Projekt allenfalls als ersten Schritt, keinesfalls aber als großen Wurf.
Beschlüsse werden Vonovia kaum wehtun
Fairerweise muss man festhalten, dass es mietenpolitisch nicht der große Wurf hätte werden können, denn dafür braucht man den Bund als Gesetzgeber. Doch Giffey ist hier auch Opfer ihres eigenen Ehrgeizes geworden. Sie wollte unbedingt zeigen, dass man binnen kürzester Zeit im Schulterschluss mit der Immobilienwirtschaft etwas bewegen kann – und ist damit gegen die Wand gerannt. Denn die Zugeständnisse zur freiwilligen Mietbegrenzung sind unterm Strich marginal und werden gerade den großen Konzernen wie Vonovia nicht mal ansatzweise so weh tun, wie Vorstandschef Rolf Buch es bei seinem Statement behauptete. Die Vereinbarung lässt auch weiterhin weiten Spielraum für Mieterhöhungen.
Umgekehrt sind es beim Kapitel Neubau eher Senat und Bezirke, die Hausaufgaben zu erledigen haben. Weniger Bürokratie und schnellere Sachbearbeitung erwartet die Bauwirtschaft – und man kann sich eigentlich nur wundern, wie viel Vertrauen die Verbände hier dem Staat mit ihrer Unterschrift entgegenbringen, dass der seine Beschleunigungszusagen auch einhält. Dass er das kann, hat er schließlich noch nicht allzu oft unter Beweis gestellt.
"Haben viel mehr geschafft als null Prozent!"
Aber, sei’s drum, Giffey hat erreicht, was sie wollte: schöne Bilder. Bär mit Schlüsseln. Wichtige Leute, die Papiere unterschreiben und dabei in Kameras lächeln. Das Gruppenfoto in der Anmutung Schulklasse mit Klassenlehrerin. Das ist es, was bleibt – nicht die Kritik.
Einen sehr ehrlichen Moment aber gab es dann doch, ganz am Schluss in Giffeys Rede: "Keiner wird 100 Prozent seiner Wünsche erfüllt bekommen", sagte sie in Richtung der Bündnispartner und fuhr fort: "Aber wir haben viel, viel mehr geschafft als …" – Achtung, anschnallen! – "… null Prozent!" Man kann die Erfolgslatte auch tief hängen. Oder gleich auf den Boden legen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 20. Juni 2022, 19:30 Uhr
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