Wut-Brief gegen Landesvorsitzenden - SPD-Mitglied wirft Raed Saleh "Oligarchie" vor

In Spandau tritt ein Bezirksverordneter enttäuscht und frustriert aus der SPD-Fraktion aus. In einem offenen Brief beklagt er "mafiöse Strukturen". Der Brief ist vor allem eine Abrechnung mit dem mächtigsten Mann der Berliner SPD. Von Jan Menzel
Gerade erst ist Raed Saleh als SPD-Landesvorsitzender wiedergewählt worden. Das Ergebnis war mit 57 Prozent zwar recht dürftig. Aber es reicht, um die Zügel in der Berliner SPD fest in der Hand zu halten. Zumal Saleh auch Chef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist und als Vorsitzender den Kreisverband Spandau anführt.
Genau hier im Westen der Stadt liegt das Zentrum seiner Macht. Spandau ist Saleh-Land. Wer mit ihm in der Altstadt oder zwischen den Wohnhochhäusern in der Heerstraße unterwegs ist, könnte auf die Idee kommen, Saleh kennt jeden und jede persönlich - so viele Hände muss er schütteln. In der Spandauer SPD ist der 45-Jährige seit Jahren unbestritten die Nummer eins. Ohne sein Wissen oder gegen seinen Willen geht gar nichts.
"Gruppe von meinungsschwachen Ja-Sagern"
Für Jens Hofmann ist genau das das Problem. Innerparteiliche Demokratie bleibe in der Spandauer SPD auf der Strecke und Entscheidungen würden völlig intransparent gefällt, prangert der Bezirksverordnete an. Sichtbarstes Zeichen sei, dass es bei Parteiwahlen kaum noch Gegenkandidaturen gebe. Hofmans Fazit: "Er (Saleh) hat in den letzten zwei Jahrzehnten ein Netz geknüpft, das mittlerweile nicht nur weit über Spandau hinaus reicht, sondern geradezu mafiöse Strukturen aufweist und die innerparteiliche Demokratie unterläuft."
Der 49-Jährige Beamte hat schon Ende Mai die Konsequenzen gezogen und ist aus der SPD-Fraktion in der Spandauer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ausgetreten. Seitdem nimmt er sein Mandat als Parteiloser wahr. In seinem offenen Brief geht Hofmann auch mit anderen Funktionsträgern der Spandauer SPD hart in Gericht. Saleh habe es geschafft, eine "große Gruppe von meinungsschwachen Ja-Sagern um sich zu scharen" und alle Kritiker beiseitezuräumen, kritisiert er.
"Dass ein Politiker so gründlich 'aufräumt', habe ich noch nie erlebt"
Zwar werde auch anderen Politikern wie Angela Merkel oder der Grünen Annalena Baerbock nachgesagt, dass sie mit innerparteilichen Kontrahenten nicht gerade zimperlich umgehen bzw. umgegangen sind. "Dass ein Politiker wie Raed Saleh eine Partei allerdings so dominiert, Ämter häuft und personell so gründlich 'aufräumt', habe ich noch nirgends erlebt", schreibt Hofmann.
Als ein Beispiel führt er den langjährigen Abgeordneten Daniel Buchholz an, der zu den 14 Abgeordneten gehörte, die 2017 Salehs Führungsstil öffentlich kritisiert und dessen Position in Frage gestellt hatten. Die Karriere des Spandauer Abgeordneten Buchholz war danach beendet.
Ist die Kritik an Saleh nur eine Retourkutsche?
Mit seiner öffentlichen Generalabrechnung sorgt Hofmann nun im sonst eher betulichen Spandauer Kreisverband für helle Aufregung. Insbesondere den Vorwurf "mafiöser Strukturen" weist der ehemalige Bezirksbürgermeister und jetzige SPD- Bundestagsabgeordnete Helmut Kleebank als "absolute Unverschämtheit" zurück. "Hier wird bewusst mit Stereotypen gearbeitet, die ganz offensichtlich jeglicher Grundlage entbehren", verteidigt Kleebank seinen Kreischef.
Raed Saleh wiederum zweifelt die Motive seines Kritikers Hofmann an - ohne diesen beim Namen zu nennen: "Das ehemalige Fraktionsmitglied hat sich für politische Wahlpositionen ins Spiel gebracht und konnte nicht berücksichtigt werden. Ich nehme diese persönliche Enttäuschung zur Kenntnis." Hinter vorgehaltener Hand heißt es von Spandauer Sozialdemokraten, Hofmann habe sich Hoffnungen auf ein Amt als Bezirksstadtrat oder BVV-Vorsteher ausgerechnet, was dieser aber zurückweist. "Mir geht es überhaupt nicht um Posten sondern um die Systematik."
Traum vom Bürgermeister-Amt
Für den Saleh-Kritiker ist die Dimension, die er mit seinem Brief aufmachen will, ohnehin eine größere: Mit Blick auf den Landesverband der SPD sieht er die Gefahr einer "Spandauisierung Berlins". Saleh habe es verstanden, sich Mehrheiten bis in den kleinsten Ortsverein hinein zu organisieren und sei inzwischen auch in der Landespartei in einer Position, in der er “immer weiter zum Oligarchen” geworden sei.
Der Landesvorsitzende verfolge noch immer seinen großen Traum, eines Tages Regierender Bürgermeister zu werden, ist sich Hofmann sicher. "Franziska Giffey ist dabei lediglich sein Zugpferd. Sie wird früher oder später über einen Skandal stolpern." Dann schlage die große Stunde Salehs, mutmaßt Hofmann, weil weit und breit niemand mehr da sei, der ihm etwas entgegensetze könne.
Sendung: rbb 24 Inforadio, 05.07.2022, 12:05 Uhr