Kritik auch von der Opposition - Wahlpannen-Kommission wirft Berliner Senat schwere Versäumnisse vor

Mi 06.07.22 | 14:10 Uhr
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Symbolbild: Wahlhelfer und Wahlhelferinnen zählen in einem Wahllokal (Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)
Video: rbb24 Abendschau | 06.07.2022 | Sabrina Wendling | Bild: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Bundesweit haben die Berliner Wahlpannen im September 2021 Aufsehen erregt. Am Mittwoch präsentierte eine eigens zur Aufarbeitung eingesetzte Kommission ihre Ergebnisse – und sparte dabei nicht mit Kritik am seinerzeit amtierenden Senat.

Die Vertreter der 21-köpfigen Expertenkommission zu den Berliner Wahlpannen haben am Mittwoch ungewöhnlich offen Kritik am damals zuständigen Senat und vor allem an der Innenverwaltung geübt. Diese habe die Aufsicht bei Wahlen und hätte viele der Probleme antizipieren müssen, hieß es bei der Vorstellung des Abschlussberichts des Gremiums.

So sei zum Beispiel früh klar gewesen, dass die Zahl der Wahlkabinen in vielen Wahllokalen zu gering sein würde, was zu Warteschlangen führte. Außerdem sei schon lange vor der Wahl im September 2021 aufgefallen, dass Wahlbezirke zum Teil falsche Stimmzettel erhalten hatten. Auch darauf sei jedoch nicht angemessen reagiert worden, so die Kommission. Am Wahltag habe sich dieser Fehler dann in vielen Wahllokalen wiederholt.

Kommission fordert stärkere Landeswahlleitung

Die Expertenkommission fordert nun umfassende Reformen, wie der rbb bereits am Dienstag berichtet hat. Künftig müsse die Vorbereitung von Wahlen berlinweit einheitlich organisiert und dazu unter anderem die Landeswahlleitung in ihren Kompetenzen gestärkt werden, heißt es in dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Bericht. Die aufgetretenen Probleme wie lange Wartezeiten vor den Wahllokalen, fehlende Wahlzettel und eine zu geringe Anzahl von Wahlkabinen seien rückblickend die Folge vermeidbarer Fehler gewesen.

Die amtierende Landeswahlleiterin Ulrike Rockmann sprach am Mittwoch von "wertvollen Vorschlägen" der Kommission. Das jetzige Verfahren sei verbesserungswürdig, sagte sie am Mittwoch im rbb24 Inforadio. Die Experten hätten gut herausgearbeitet, "dass ein Stück rechtlicher Rahmen" fehle. Allerdings habe es ihrer Meinung nach eine gute Zusammenarbeit zwischen Landeswahlleitung und Bezirken gegeben. Das von der Kommission geforderte Weisungsrecht gegenüber den Bezirken sehe sie kritisch, sie setze weiter auf eine konstruktive Kooperation und Gespräche.

CDU und FDP attackieren Ex-Innensenator

Auch die Berliner Opposition übt scharfe Kritik am damaligen Senat und am 2021 zuständigen Innensenator Andreas Geisel (SPD). "Fast alle Probleme waren hausgemacht und vorhersehbar", sagte CDU-Generalsekretär Stefan Evers, und schloss sich damit dem fast wortgleichen Fazit der Kommission an. "Umso schlimmer, dass die SPD und der seinerzeit zuständige Innensenator bis heute jede Verantwortung für das Wahlchaos von sich weisen."

Nun sei Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in der Pflicht, die Vorschläge der Kommission umzusetzen, so Evers. "Das Organisationsversagen des Senats darf sich niemals wiederholen."

Kritik kommt auch von der FDP. "Die Wahlen in Berlin waren eine Blamage für die ganze Stadt", sagte ihr Sprecher für Verwaltungsmodernisierung, Roman-Francesco Rogat. Er unterstützte die zentrale Forderung der Kommission nach einer stärkeren Landeswahlleitung. Für die unmittelbare und schnelle Umsetzung der Kommissionsvorschläge sei nun vor allem Innensenatorin Iris Spranger (SPD), Geisels Amtsnachfolgerin, verantwortlich.

Spranger begrüßt Forderungen der Kommission

Derweil unterstützt die amtierende Innensenatorin Iris Spranger (SPD) den Vorschlag der Kommision für die Einrichtung eines neuen Landeswahlamtes. Die unabhängige Kommission habe lange und gut gearbeitet, sagte Spranger am Mittwoch dem rbb. Sie werde den mehr als 60 Seiten starken Bericht nun prüfen, teile aber schon jetzt die Ansicht, dass ein zentrales Landeswahlamt notwendig sei.

"Wir brauchen einheitliche Strukturen", sagte Spranger. Das neue Amt soll vor allem der Landeswahlleitung helfen: Diese muss, so die Expertenkommission, in Zukunft mehr durchgriffs- und Kontrollbefugnisse gegenüber den Bezirken haben. Spranger kündigte an, das Abgeordnetenhaus nach der Sommerpause informieren und in Gespräche eintreten zu wollen. Für viele Vorschläge der Kommission müssen die aktuellen Wahlgesetze geändert werden.

Der rechtspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg, kündigte bereits an, dass die rot-grün-rote Koalition einen entsprechenden Gesetzentwurf ausarbeiten werde. "Der Bericht verdeutlicht, dass Berlin dringend ein Update für die Organisation, Standardisierung und bei den rechtlichen Grundlagen für zukünftige Wahlen benötigt", so Schlüsselburg.

Ende September fällt Entscheidung über Neuwahlen

Die vom Berliner Senat beauftragte unabhängige Kommission bestand aus rund 20 Fachleuten. Sie sollten die Vorgänge am Wahltag, dem 26. September 2021, analysieren und Verbesserungsvorschläge erarbeiten. An diesem Tag fanden in Berlin Bundestags-, Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen sowie die Abstimmung über den sogenannten Enteignungsvolksentscheid statt. Zudem gab es umfangreiche Verkehrsbeeinträchtigungen durch eine Sportgroßveranstaltung, den Berlin-Marathon.

Ende September will der Berliner Verfassungsgerichtshof über zahlreiche Einsprüche gegen die Wahlen verhandeln. Dann fällt die Entscheidung, ob die Abgeordnetenhauswahl in Teilen oder komplett wiederholt werden muss.

Sendung: rbb24 Inforadio, 6. Juli 2022, 13 Uhr

51 Kommentare

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  1. 51.

    Betrug? Eventuell sogar vorsätzlich? Also mit Absicht? Upps, und ich dachte, Vorsatz wäre eine Voraussetzung, um von Betrug reden zu können. Aber Sie wissen ja, wovon Sie reden...
    Und es wurde auch nicht geschätzt, was die endgültigen Ergebnisse betrifft. Mir scheint, Sie sind es, der keine Ahnung hat. Davon aber 'ne Menge...

  2. 50.

    Ich sagte schon immer: wäre Berlin überdacht, wäre es eine geschlossene Anstalt.

  3. 49.

    Sie differenzieren mit Ihren letzten Sätzen und beschreiben das Szenario, was auch absolut in Ordnung ist.

    Kritisiert wird hier die undifferenzierte Forderung nach kompletten Neuwahlen und die unbelegten Betrugsvorwürfe. Und das m.E. zu Recht.

  4. 48.

    Sehr sachlicher und inhaltlich absolut korrekter Kommentar zum Thema. Danke!

  5. 47.

    Wie kommen Sie denn auf den Unfug, dass eine Forderung nach Neuwahlen antidemokratisch und gegen bestehende Gesetze wäre? Kann es sein, dass Sie keine Ahnung von Demokratie haben bzw. nur das dafür halten, was Ihrer Meinung entspricht? Neuwahlen darf jeder zu jeder Zeit fordern. Ob diese tatsächlich stattfinden entscheidet entweder das Parlament selbst oder der Berliner Verfassungsgerichtshof, der diese Angelegenheit im Übrigen gerade prüft. Eine zumindest teilweise Wiederholung der Wahl oder zumindest eine zeitliche Vorgabe für Neuwahlen halte ich angesichts der massiven Wahlpannen nicht mal für unwahrscheinlich.

  6. 46.

    Es ist auffallend dass ausgerechnet die rechtsextremen Wähler der AfD nach Neuwahlen krähen. Oder enttäuschte Wähler, die auf Giffey gesetzt haben, in der Hoffnung ihre Vorstellungen würden sich durchsetzen obwohl das von Anfang an aussichtslos war.

    Gestern SED, heute AgD.

  7. 45.

    Das Thema Schätzungen betraf m.W. nur vorläufige, nicht endgültige Zahlen. Insofern erübrigt sich auch Ihre weitere Kausalkette mit Betrugsvorwurf an die derzeit regierenden Parteien. Differenzierung ist bei diesem Thema schon wichtig.

  8. 44.

    Neuwahlen ,seit wann ist es legitim das in einigen Wahlbezirken geschätzt wird? Und das natürlich zu Gunsten von RRG. Und das in mind.10 Wahlbezirken oder mehr. Das stinkt für mich nach Betrug oder vorsätzlichen Betrug.
    Menschen konnten nicht ihre Stimme abgeben ,was möglicherweise eine leichte Verschiebung der BVV-Sitze bedeutet. Sorry aber das hat die DDR besser hin bekommen. Ich weiß von was ich rede .

  9. 43.

    "Das neu gewählt werden muss? Ja muss es." Na, wenn SIE es sagen.....

  10. 42.

    Da irren Sie gewaltig, denn die Meinung der Anderen wird hier bereits im Vorfeld geopfert.
    Und eine Landesregierung deren Wahl auf Schätzungen und Wahrirrtümern beruht, hat betrogen! Dazu können Sie gern das Strafgesetzbuch einlesen und die Forderung nach Neuwahlen ergibt sich nicht aus der Verfassung. Vielleicht lesen Sie da nochmal nach!

  11. 41.

    Lorenzo:
    "3. Niemanden wird ein Mandat entzogen. Erst wenn ein Gericht die Wahl für ungültig erklärt bzw. das Abgeordnetenhaus seine Selbstauflösung beschließt, wird neu gewählt. Daran ist rein gar nichts undemokratisch! Im Gegenteil!"

    Das zuständige Gericht wird nicht die gesamten Wahlen für ungültig erklären, wenn es nur in einigen Wahlbezirken mandatsrelevante Fehler gab.

    Lorenzo:
    "4. Eine Neuwahl ist dann ein höchst demokratischer Vorgang. Deren Diskreditierung undemokratisch."

    Aber die Voraussetzungen für eine komplette Neuwahl von Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksämtern sind nicht gegeben, da es keine Fehler gab, die für ALLE Wahlbezirke mandatsrelevant waren. Es gab Wahlbezirke, wo die Menschen demokratisch ohne mandatsrelevante Fehler ihre Abgeordneten gewählt haben, und es gibt keinen Grund, diesen demokratischen Wahlvolkswillen zu ignorieren und diesen Abgeordneten das Mandat wieder zu entziehen.

  12. 40.

    Lorenzo:
    "2. Selbst wenn es nur in einigen Bezirken Unregelmäßigkeiten gegeben hat, könnte je nach Schwere eine komplette Wahl für ungültig erklärt werden - denn diese soll ja immer "gleich" sein. Also unter gleichen Voraussetzungen für alle Wähler stattfinden."

    "Gleich" bedeutet nicht das, was Sie meinen, sondern, dass die Wahlregeln überall gleich sind - inkl. der Regeln, wann eine Wahl wiederholt werden muss, dass alle Kandidaten den gleichen Zugang zur Kandidatur haben und dass alle Wähler die gleiche Möglichkeit zur Teilnahme an der Wahl haben. Es bedeutet aber nicht, dass alle Wähler gleichzeitig wählen müssen (s. Briefwahl vor dem Wahltag).

  13. 39.

    Der Hinweis auf verfassungswidrige Forderungen tut dem Anschein nach manchem weh; wer solche stellt, muss die Kritik daran aushalten. Das ist kein Unterbinden von Meinung. Da ist einfach nur Widerspruch.

  14. 38.

    Sich selbst den Mantel von Demokratie und Toleranz umhängen, aber jeglichen demokratischen Meinungsaustausch versuchen zu unterbinden!
    Nur zu Ihrem Verständnis: Wer den Artikel gelesen hat, gibt hier seine Meinung dazu ab und wirklich NIEMAND muss Ihnen etwas erklären.....auch wenn der Bedarf hoch wäre.
    Einen schönen Restabend nach Berlin!

  15. 36.

    Aber das sind sie nicht. Also was wollen sie mit dieser Gesetzpassage ausdrücken? Das neu gewählt werden muss?
    Ja muss es.

  16. 35.

    Leider schreiben Sie falsche Sachverhalte und diskreditieren eine legitime Neuwahl-Forderung.
    1. Das Abgeordnetenhaus könnte sich z. B. selbst auflösen - wenn die Fraktionen dies beschließen. Ein Gesetz "Gewählt ist gewählt" (ohne jegliche Prüfung) gibt es nicht.
    2. Selbst wenn es nur in einigen Bezirken Unregelmäßigkeiten gegeben hat, könnte je nach Schwere eine komplette Wahl für ungültig erklärt werden - denn diese soll ja immer "gleich" sein. Also unter gleichen Voraussetzungen für alle Wähler stattfinden.
    In Hamburg 1993 hätte man ja sonst einfach auch nur die CDU-Kandidatenreihenfolge neu festlegen müssen.
    3. Niemanden wird ein Mandat entzogen. Erst wenn ein Gericht die Wahl für ungültig erklärt bzw. das Abgeordnetenhaus seine Selbstauflösung beschließt, wird neu gewählt. Daran ist rein gar nichts undemokratisch! Im Gegenteil!
    4. Eine Neuwahl ist dann ein höchst demokratischer Vorgang. Deren Diskreditierung undemokratisch.

  17. 34.

    Nun hier beziehe ich „vorprogrammiert“ darauf, dass als der Marathon geplant wurde bekannt war, dass BT-Wahlen im selben Zeitraum stattfanden. Die Organisatoren der Wahl hätte schon im Vorfeld dafür Sorge tragen können, dass ausreichend Wahlzettel im richtigen Wahlbüro bereitlagen und ggf. die zweite stattfindende Wahl auf einen anderen Termin verlegen können. Oder ausreichend Übergänge an der Marathonstrecke schaffen können.

  18. 33.

    Marion:
    "Berlin beugt jeden Tag demokratische Vorgaben, teils aus Unwissenheit, aber auch aus Bequemlichkeit. Einfach mal hier leben. Dann erklärt der Rest sich von selbst."

    Belegen Sie bitte Ihre undifferenzierte Pauschalbehauptung! Bitte konkret!

  19. 32.

    Lausitzer:
    "Man kann nur hoffen, daß in Berlin zu Neuwahlen kommt! Wehret den Anfängen kann man da nur sagen! Auf andere Länder braucht man wirklich den Finger dann nicht mehr zeigen!"

    DOCH! Denn es ist ein Unterschied, ob es - wie bei uns - nur fahrlässige Fehler gab, oder ob absichtlich manipuliert wird (wie z.B. in der Diktatur Russland)!

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