Bauarbeiten am Grenzfluss - So weit ist der Oder-Ausbau vorangeschritten

Mo 29.08.22 | 17:32 Uhr
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Sehr wenig Wasser fließt den deutsch-polnischen Grenzfluss Oder hinab. (Quelle: dpa/Patrick Pleul)
Video: rbb24 Abendschau | Mo 29.08.22 | Bild: dpa/Patrick Pleul

Nach dem massiven Fischsterben in der Oder wird auch wieder über den Ausbau des Grenzflusses diskutiert. Wie ist der Stand der Dinge in Polen und Deutschland? Ein Kollegengespräch mit rbb-Reporter Fred Pilarski aus Frankfurt (Oder).

rbb|24: Warum soll die Oder ausgebaut werden – und auf welcher Strecke?

Fred Pilarski: Auf der polnischen Seite geht es aktuell um fünf Abschnitte, insgesamt 54 Kilometer, grob gesagt, auf der Höhe zwischen Frankfurt und Hohensaaten. Dabei werden Hunderte Buhnen saniert oder völlig neu aufgebaut. Diese Steinschüttungen, die wie Stachel in die Oder ragen, sollen den Hauptstrom des Flusses in die Mitte lenken und vertiefen. Der offizielle Begriff heißt Stromregelung. Damit sollen enge und flache Stellen entschärft werden, die der Schifffahrt Schwierigkeiten machen.

2015 wurde das im Prinzip zwischen den Verkehrsministern Deutschlands und Polens so vereinbart. Begründet wurde das mit dem Schutz vor Eishochwässern. Dahinter steckt die Annahme, dass die deutsch-polnische Eisbrecherflotte im Frühjahr möglicherweise nicht genügend Fahrtiefe hat, um stromauf an Eisbarrieren heranzukommen, hinter denen sich dann wiederum Hochwässer aufbauen. Kritiker sehen das als Vorwand, um auf diese Art so einen Ausbau für die Schifffahrt durchzusetzen.

Karte mit Ausbaggerungsorten der Oder.(Quelle:rbb)
| Bild: rbb

Wie weit ist der Ausbau auf deutscher Seite vorangeschritten?

Auf der deutschen Seite ist noch gar nichts passiert. Es gibt nach meiner Kenntnis lediglich Vorbereitungen für eine Strategische Umweltprüfung. Es ist wohl noch nicht einmal klar, wie weit das Untersuchungsgebiet überhaupt gefasst werden muss.

Es gibt ein paar Problemstellen, die schon in den vergangenen Jahren saniert wurden. Etwa bei Reitwein, wo sich immer wieder Schiffe festfuhren. Dort hatte das Militär im Kalten Krieg Flussüberquerungen trainiert und alles zerfahren. Dort wurde in den letzten Jahren mit einer Art Leitplanke für das Wasser eine Buhnenform geschaffen, die eine Art Schutzhafen für eine besonders seltene Fischpopulation bildet.

Wie sieht es auf der polnischen Seite mit den Arbeiten aus?

Auf der polnischen Seite waren die Ausbauarbeiten bis vor kurzem noch in vollem Gange. Seit Mitte August scheinen sie unterbrochen zu sein. Gegenüber von Reitwein sind die Arbeiten nach meinem Eindruck fertig, auf Höhe von Frankfurt (Oder) wurde der Ausbau mit Beginn der Umweltkatastrophe unterbrochen. Weiter nördlich haben wir noch nicht viel entdecken können.

Die Arbeiten hatten im März begonnen, obwohl die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) auf polnischer Seite noch nicht abgeschlossen war. Es gab 2020 einen Bescheid der Stettiner Regionaldirektion für Umweltschutz. Mit dem Bescheid wurde der Baubeginn gestattet – obwohl die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen war und eine Reihe Widersprüche anhängig waren. Unter anderem vom Brandenburger Umweltminister und von mehreren Naturschutzverbänden. Erst Mitte August 2022 – mitten in der Umweltkatastrophe – gab es den abschließenden Bescheid durch die Warschauer Generaldirektion für Umweltschutz. Ein Bündnis deutscher Naturschutzverbände erwägt zu klagen. Allerdings ist ein Teil des von ihnen vermuteten Schadens wohl schon angerichtet.

Wie lautet die Kritik am Oder-Ausbau?

Laut Abkommen soll für die meiste Zeit des Jahres eine Fahrtiefe von 1,80 Meter erreicht werden. Das ist wirklich eine drastische Veränderung gegenüber dem jetzigen Zustand. Im Moment gibt es im Sommer so gut wie keinen Güterverkehr auf der mittleren und unteren Oder. Durch den Buhnenbau soll der Hauptstrom der Oder in die Mitte geleitet werden, dadurch würde die Fließgeschwindigkeit steigen und sich die Oder vertiefen. Naturschützer und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) fürchten, dass sich der Fluss in so einem Fall nach einiger Zeit tiefer in sein Bett gräbt. Das wiederum würde dazu führen, dass angrenzende Uferbereiche trockenfallen. Die gesamte Ufervegetation und die darin lebenden Tiere wären davon betroffen. Außerdem würde die Fischfauna durch den veränderten Bau des Flusses gestört. Es gibt in der Oder flache und tiefe Bereiche, Unterwasserdünen, hinter denen sich Fische ausruhen. Dazu kommen zwischen Ufer und Deich an vielen Stellen breite Feuchtgebiete. Die große Befürchtung der Naturschützer und Wissenschaftler ist, dass die Artenvielfalt verschwindet.

Diese Schäden stehen nach Ansicht der Naturschützer und Gewässerökologen in keinem Verhältnis zum angenommenen Szenario der steckenbleibenden Eisbrecher. Eisbarrieren ließen sich nach ihrer Meinung im Ernstfall auch anders zerstören, etwa durch amphibische Schwimmbagger.

rbb Doku: "Die Oder - Wasserstraße oder Naturparadies"

Inwiefern wirkt sich die Umweltkatastrophe an der Oder auf den geplanten Ausbau aus?

Dazu kann man noch nicht wirklich etwas sagen. Es gibt von polnischer Seite aus keinen offiziellen Hinweis darauf, dass die Arbeiten gestoppt wurden. Wir sehen in Frankfurt (Oder), dass sich die Bagger nicht drehen, wir überblicken aber auch nicht alle Flussabschnitte. Umgekehrt stellt sich die Frage, wie der Umbau zur Umweltkatastrophe beiträgt. Wissenschaftler des IGB und des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) meinen, dass genau diese Baggerei an den Buhnen dafür sorgt, dass mit den aufgewirbelten Sedimenten alte Schadstoffe freigesetzt werden. Zum Beispiel Quecksilber, das früher in der Landwirtschaft eingesetzt wurde um Getreide zu beizen.

Wie realistisch ist es, dass der Ausbau komplett gestoppt wird?

Das hängt sicher davon ab, wie erfolgreich die deutsch-polnischen Regierungsgespräche werden. Bislang sieht es jedenfalls nicht nach einem Umdenken auf der polnischen Seite aus. Im Gegenteil: Der Oderausbau-Beschluss kam ja sogar mitten in der Umweltkatastrophe. Die polnische Regierung verfolgt ja noch viel weitreichendere Pläne: Es geht dabei um eine generelle Kanalisation der Oder mithilfe von Staustufen.

Dadurch würde die Oder in den Augen der Kritiker zu einer Art Stauseenkette werden. Das würde noch in einer ganz anderen Weise das Auftreten von Algenblüten begünstigen. Giftige Substanzen hätten dann noch mal in einer ganz anderen Intensität die Möglichkeit, Schaden anzurichten. Der Verdacht einiger Wissenschaftler ist ja, dass sich die Goldalgen und die Giftstoffe, in den stauregulierten Bereichen am Oberlauf gebildet haben könnten. Viele polnische Naturschützer melden sich nun wieder stärker gegen den Oder-Ausbau zu Wort. In letzter Zeit hat sich auf polnischer der Natur- und Angeltourismus stark entwickelt. Darauf wird man in Polen reagieren müssen. Auch das ist die Wirtschaft, nicht nur die Binnenschifffahrt und die Baulobby.

Das Gespräch führte Anna Bordel. Fred Pilarski beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Oder und hat unter anderem einen Dokumentarfilm über den Grenzfluss gedreht.

Sendung: rbb24 Abendschau, 29.08.2022, 19:30 Uhr

14 Kommentare

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  1. 14.

    Dann sollten Sie genau das "anmahnen" machen und nicht andere Kommentatoren oder die Journalisten als "lächerlich" darstellen.
    Offensichtlich sind Sie genau so wenig wie die meisten anderen im Detail informiert, was da eigentlich genau diskutiert wird.
    "Der Ausbau ist beschlossen und angefangen" ist dabei aber etwas flach gedacht.
    Laut den Beschwerden des LfU ist die UvP nicht abgeschloßen, aber der Bau hat begonnen.
    Das ist, wenn auch verfahrensrechtlich nicht vergleichbar, aber trotzdem noch einiges offensiver als die Tesla Methode.
    Rechtlich sauber?
    Sie wissen sicher auch das Polen unter dem Druck der Fristeinhaltung der Förderung der Weltbank agiert.

  2. 13.

    "Eine konkrete Untersuchung und verständliche Darstellung aller fachlichen Ansichten wäre sicher hilfreich, um das ganze Thema korrekt und objektiv zu bewerten."
    Und genau das wird immer wieder angemahnt und die reine Polemik widerlegt, unabhängig davon ob man Befürworter oder Gegner sein will. Eine Meinung kann man sich nur durch Wissen bilden, was vor lauter Ideologie unterzugehen scheint. Aber der Ausbau ist beschlossen und angefangen. Gestalten ist besser als reagieren...

  3. 12.

    Dieses Gespräch wurde sicher nicht unter dem Anspruch auf wissenschaftliche Bewandnis geführt. Sondern dient nur der Information was derzeit läuft. Die meisten von uns werden das nicht wissen oder mitbekommen.
    Also reine Informationspflicht vielleicht in der Fragestellung etwas suggestiv angehaucht was mündige Bürger mit normalen Deutschkenntnissen auch unter dem Gesichtspunkt Pressefreiheit durchaus korrekt interpretieren sollten.
    Deshalb das Gespräch als "lächerlich" darzustellen passt nicht, weil der höhere Anspruch gar nicht da ist.
    Bzgl. Fachleute wäre die Frage ob Sie die fachliche Eignung von im Gespräch genannten Institutionen wie IGB und UFZ anzweifeln möchten oder nur die Fachleute akzeptieren die die eigene Vorstellung repräsentieren.
    Eine konkrete Untersuchung und verständliche Darstellung aller fachlichen Ansichten wäre sicher hiflreich, um das ganze Thema korrekt und objektiv zu bewerten.
    Das fehlt Ihnen als quasi Fürsprecher aber auch den meisten Gegnern.

  4. 11.

    @ Immer noch besser als das, was ich im Kommentarbereich lese, Herr Wossi.

  5. 10.

    Ich glaube nicht, das der Ausbau wirklich noch gestoppt werden kann. Es wäre aber schön, wenn dabei die Fehler, die andernorts gemacht und jetzt häppchenweise zurückgebaut werden, vermieden werden. Sicher kann man einen Fluß schifffahrtsgerecht, also industriekonform, gestalten - nur wenn die Beteiligten so weitermachen wie bisher, werden sich die Schiffe den verbleibenden Rinnsälen anpassen müssen - irgendwann.

  6. 8.

    Nein, Dobrindt hat sich nicht über das Ohr hauen lassen, sondern er hat den Interessenausgleich gesucht. Nicht von ungefähr gibt es von offizieller deutscher Regierungsseite keinen Vorstoß, das Abkommen von 2015 aufzukündigen. Wie hier gesagt wurde, ist der Oder-Ausbau aus verschiedenen Gründen seit dem Alten Fritz erforderlich. Die Dinge werden in den hiesigen Medien etwas einseitig dargestellt. In Schwedt transportiert die große Papierfabrik Leipa ihre Ware übers Wasser. Das ginge einfacher, wenn die sogenannte Klützer Querfahrt, eine Art Durchbruch zwischen zwei Oderarmen, breiter und tiefer würde. Auch die aus Westen über den hier einmündenden Oder-Havel-Kanal kommenden Schiffe würden profitieren. Die Klützer Querfahrt liegt auf polnischem Terrain. Die Regierung in Warschau muss dem Ausbau zustimmen.

  7. 7.

    Sie sind auf einen Journalisten hereingefallen... Kein Wort zum ökologischem Ausbau der Oder, wie die Polen das verstehen. Wenn es zwei Meinungen gibt, reicht Polemik und Wikipedia eben nicht mehr aus. Ganz schwach der Artikel, weil nichts belegt oder widerlegt wird. Es ist sogar so, dass wenn der ökologische Wasserbau das Gegenteil bewirkt als angenommen, dann braucht es wissenschaftliche Argumente und nicht "lächerliche" Kollegengespräche. Was meinen Sie wohl, was echte Fachleute dazu sagen?

  8. 6.

    Nicht alles vermengen, wie es die gelernte Briefträgerin und Grüne Ministerin Lemke tut. Es gibt keinen Hinweis, dass die Fischkatastrophe und die Verwirklichung des deutsch-polnischen Abkommens zur Regulierung der Oder in einem Zusammenhang stehen könnten. Schon deshalb, weil zur Fischkatastrophe aktuell keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen.

  9. 5.

    Also unser „Olle Fritze“ hat bereits Mitte des 18.Jhds Buhnen in die „Neue Oder“ bauen lassen. Aus Kopfsteinpflaster, später hat das DDR-Regime längere Buhnen aus Beton daneben gesetzt in Höhe Hohenwutzen.
    Wir haben noch gelernt, dass Buhnen die Uferkante schützen, sowohl vor Abtrieb als auch vor Treibeis, weil die Strömung in den Buhnenfeldern entschleunigt wird und sich die Fischlein dort ausruhen und laichen können. Mich entfremdet die schiefe Diskussion hierum. Auch die Elbe hat Buhnen.

  10. 4.

    Jenseits aller Reden kann man sagen, dass die deutsche Seite das 2015 geschlossene Abkommen hintertreibt. Auf der polnischen Seite waren die Ausbauarbeiten bis vor kurzem noch in vollem Gange. Auf der deutschen Seite ist noch gar nichts passiert.

  11. 3.

    "Ein Kollegengespräch mit Fred Pilarski"
    Also ein Journalist würde ich vermuten.
    Die sprachlichen Mittel im Text zeigen aber auch eindeutig, dass er keine eigene Meinung oder eigenes fachliches Wissen darstellt, also auch nicht als Experte auftritt, sondern als Berichter oder Reporter der vielleicht in Polen oder zur Sache besser informiert ist als Anna Borden.
    Also ist seine Expertise, die eines informierten Journalisten.

  12. 2.

    Kündigen! Sofort kündigen und den Wahnsinn stoppen! Dobrindt hat sich bewusst über's Ohr hauen lassen - aus Rache an den Grünen!

  13. 1.

    „ Fred Pilarski“. Wer ist das und welche Expertise hat er?

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