Nachfolge für Neun-Euro-Ticket - Was Berlin Brandenburg für das 29-Euro-Ticket versprechen musste

Fr 16.09.22 | 06:05 Uhr | Von Sebastian Schöbel
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Menschen laufen am Morgen über den Hauptbahnhof. (Quelle: dpa/Fabian Sommer)
Audio: Antenne Brandenburg | 16.09.2022 | O-Ton Landrat Oberhavel | Bild: dpa/Fabian Sommer

Für das 29-Euro-Ticket im Tarifbereich AB musste Berlin lange mit Brandenburg ringen. Am Ende steht eine Liste von Zusagen der Bundeshauptstadt. Die Kostenübernahme ist dabei längst nicht der wichtigste Kompromiss. Von Sebastian Schöbel

Eigentlich schien das Berliner 29-Euro-Ticket schon fast verloren: Zu entschieden wies Brandenburg den Vorstoß der Bundeshauptstadt zurück, im Alleingang ein vergünstigtes ÖPNV-Angebot nur für Berlinerinnen und Berliner zu schaffen. Die Sorgen auf märkischer Seite um Einnahmeausfälle und verärgerte Pendler waren groß. Mancher witterte auch ein kostspieliges Wahlkampfgeschenk der rot-grün-roten Berliner Regierung, nur wenige Monate vor möglichen Nachwahlen. Entsprechend nervös war die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am Donnerstagmorgen. "Das muss heute klappen", sagte sie auf Nachfrage des rbb, und ballte die Fäuste.

Unsicher bis zur letzten Minute

Ihre Anspannung war nicht gespielt: Ein Brandenburger Landrat - ausgerechnet mit SPD-Parteibuch - drohte gar, die eilig einberufene Aufsichtsratssitzung des VBB platzen zu lassen. Nur mit viel Telefon-Diplomatie konnte der Märkisch-Oderländer wieder beruhigt werden. Die Sitzung fand statt.

"Sie sehen uns lächeln", sagte einige Stunden später eine sichtlich erleichterte Franziska Giffey. Der VBB hatte gerade das von ihr versprochene 29-Euro-Ticket abgesegnet, einstimmig. "Das ist ein guter Tag für die Berliner Mobilität", jubelte Giffey.

"Vollständiger Ausgleich für wirtschaftlichen Schaden"

Brandenburg wiederum hat sich zusichern lassen, dass die Hauptstädter die Kosten für den ganzen Spaß allein tragen. "Das Land Berlin leistet einen vollständigen Ausgleich für den entstehenden wirtschaftlichen Schaden", heißt es klar auf dem Stimmzettel, der den VBB-Aufsichtsratsmitgliedern vorlag.

Das betrifft einerseits die Differenz zum Normalpreis des AB-Abonnements. Hier hat man sich auf 34 Euro pro Abo geeinigt - der Unterschied zwischen 29 Euro und dem Preis, der normalerweise fällig wird, wenn monatlich abgebucht wird.

Berlin muss Kosten allein tragen

Viel wichtiger für Brandenburg aber ist dieser Punkt: Berlin muss den Brandenburger Verkehrsunternehmen alle Mindereinnahmen ersetzen, die durch das neue Ticket entstehen. Denn das stellt auch eine Konkurrenz dar: Pendler könnten auf das günstigere AB-Ticket wechseln, und den Weg bis zum ersten Bahnhof hinter der Berliner Landesgrenze ohne Brandenburger ÖPNV zurücklegen. Damit die märkischen Unternehmen trotzdem auf ihre Einnahmen kommen, soll zum Ende des Aktionszeitraums spitz abgerechnet werden - also auf Heller und Pfennig, die wirklich angefallenen Einnahmen und Ausgaben. Dann bekommt Berlin eine Rechnung präsentiert. Um die zu begleichen, sollen über einen Nachtragshaushalt rund 105 Millionen Euro bereitgestellt werden.

Denn Berlin zahlt auch die gesamten Mehrkosten, die den Verkehrsunternehmen durch die Einführung des Tickets anfallen - also zum Beispiel Ausgaben für die Umstellung von Fahrkartenautomaten und App-Angeboten. Geeinigt hat man sich auf einen pauschalen Betrag von 1,55 Euro "je Abonnement und Monat".

Tariferhöhung kann kommen

Doch all das allein dürfte Brandenburg wohl nicht umgestimmt haben. Den Ausschlag gemacht hat wohl, was auf dem VBB-Stimmzettel fast ganz unten steht: "Das Land Berlin erkennt an, dass die Einführung eines 29-Euro-Tickets in Berlin AB nicht die zum 1.1.2023 geplante Tarifmaßnahme mit einer Anpassung von 5,62 Prozent ersetzt." Heißt im Klartext: Berlin sendet das Signal, einer Tariferhöhung Anfang des kommenden Jahres um mehr als 5 Prozent wohl nicht im Wege zu stehen. In der rot-grün-roten Koalition wurde das zuletzt noch abgelehnt, weil es den ÖPNV als Alternative zum Auto unattraktiv mache. In Brandenburg wiederum drängt man schon länger auf die Erhöhung, um den ÖPNV weiter finanzieren zu können.

Sozialticket nur zwei Euro günstiger

Diesen Umstand werden Giffey und Jarasch, die "Mütter des 29-Euro-Tickets" den Berliner Wählerinnen und Wählern noch erklären müssen. Genauso wie den Umstand, dass Menschen mit normalen und hohen Einkommen für 29 Euro im Monat Bus, Bahn und Tram fahren dürfen - und arme Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, mit dem Sozialticket für 27 Euro fahren, also nur 2 Euro weniger.

Dennoch lobte Berlins Verkehrs-Staatssekretärin Meike Niedbal den Abschluss im rbb24 Inforadio: "Dieses 29-Euro-Ticket sorgt dafür, dass die Entlastung bei den Berlinerinnen und Berlinern auch wirklich eins zu eins ankommt." Jetzt sei der Bund gefragt, eine eigene Nachfolgelösung für das beliebte 9-Euro-Ticket zu finden. Mit seinem Sonderweg, so die Regierende Bürgermeisterin Giffey, wolle Berlin dafür ein Signal senden.

Sendung: rbb24 Abendschau, 17.09.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

86 Kommentare

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  1. 86.

    Und was will Brandenburg nun konkret tun, um den ÖPNV auszubauen? Lassen Sie mich raten: Gar nichts! Stattdessen wird weiterhin der Straßenverkehr mit Geschenken und Neubauten bedacht. Wenn man mehr Menschen den Zugang zum ÖPNV erleichtern will, dann muss es politisch auch gewollt sein. Hier habe ich bei der Brandenburger Landesregierung starke Zweifel.

  2. 85.

    und verprellt diejenigen, die den günstigen nur einen Monat oder zwei Monate nutzen wollen, denn diese Wähler weden nu nicht gepudert. Die wahren Absichten dürften dürftige Volksberuhigung und die Aussichtm im Januar zielsicher behaupten zu können "rechnet sich nicht". Dass es vor einer Woche noch hieß, Berlin brauche Zeit um u.a. die Automaten umzustellen ist wohl Schnee von gestern - super Verarsche.

  3. 84.

    Ich persönlich, hätte mir auch ein preiswertes Gesamtticket für unsere Hauptstadtregion gewünscht. Nach dem 9 Euro Ticket, hatte Ich eigentlich viel mehr erwartet. Oder sollte nur der Tourismus in den Sommermonaten angekurbelt werden ???

  4. 83.

    Sie haben Recht, aber auch nicht ganz. Nach dem ersten, zweifellos Schnellschuss der Fr. Giffey, 9-EUR-Ticket für die Region, kam ja dann ein halberwegs realistischer Preis, der aber auch große Unterstützung finden dürfte(Verbraucherzentrale, eine Institution, die ja auf geltendem Recht arbeitet!)von 29 EUR für die Region zur Sprache. Dann ging das ganze Trara los. Wobei mich erzürnt, dass die toughe CDU in persona v. Herrn Beermann O-Ton, von sich gibt, "das brauchen wir nicht..." wir "warten auf den Bund..." etc!!! Die Reichweite des nunmehr auf AB zusammengeschmolz.Tickets schwand mit der immer lauteren empörten Ablehnung aus Bbg. Nun haben wir ein AB-Ticket, das ein nichts Halbes u. nichts Ganzes ist. Ich erwarte, dass sich beide BL schleunigst hinsetzen, ihren "Sch.."-parteipololit. "Mist" vergessen und eine "Bestellung" bei der kleinen, feinen Eisenbahnunternehmung mit Sitz in Parchim auslösen! Dann hätten wir wenigstens 3 Linien gerettet! In PR/OPR; BAR/UM!

  5. 82.

    Sie fragen sich woher Berlin das Geld hernimmt?
    Berlin ist einer der größten Profiteure des Länderfinanzausgleichs und der Rest ist die höhere VERSCHULDUNG Berlins.
    Falls es zu baldigen Wahlen kommen sollte, hoffe ich, dass die Berliner schlauer geworden sind und ihr Kreuz an anderer Stelle machen.
    Wenn Sie diese Koalition wieder wählen sollten - DANN HABEN SIE NICHTS ANDERES VERDIENT.

  6. 81.

    In vielen Regionen Brandenburgs ist der ÖPNV so mangelhaft, langsam und marode( fehlende Bahnanbindung, maximal stündliche Busse )dafür wollen Brandenburger:innen, noch nicht mal einen Euro im Monat zahlen- da ist der eigene Pkw das einzigste Verkehrsmittel - da hilft auch kein 29 oder auch kein 9 Euro Ticket, da hilft nur massiver Bahnausbau - weg von langsamen Bussen auf schlechten Landesstrassen.

  7. 80.

    Na, auf jeden Fall haben die Recht, die zu Anbeginn sagten, ´nen schönen Sommer werden wir haben, aber dann kommen die Preiserhöhungen!
    Und richtig! 5,9 %, das ist dann die "Wucht" , von dem Herr Lindner sprach. Also außer den künftigen Bürgergeldempfängern (für Alleinstehende belaufen sich die Segnungen auf knapp o. um 1000 EUR) werden die Werktätigen zumindest in den unteren Bezahlkategorien dann die Po-Backen zusammenkneifen müssen. Die dann das Glück haben, gerechter oder einfach nur besser entlohnt zu werden, können dann die Ohren anklappen, denn den Spruch der dann folgt, den kennen sie auch schon. -- Bleibt die Hoffnung, dass sich der Bund, die jetztige Regierung, durchringt, die nötige Wende im Verbrauch von Sprit-/sonst. Antriebsstoffen, auf die Schenen zu bringen. Der Klima-Kipp-Punkt wartet nicht...

  8. 79.

    Das Land Brandenburg besteht nicht nur aus dem C Bereich: nur knapp 1 Million Einwohner im C Bereich- mehr als 1,5 Millionen ausserhalb vom ABC Bereich. Mehrheit der Brandenburger:innen lebt ausserhalb vom C Bereich : Beelitz, Nauen, Eberswalde, Brandenburg an der Havel, Frankfurt(Oder), Cottbus, Rathenow, Luckenwalde, Jüterbog, Neuruppin, uva. liegen Alle, ausserhalb vom Brandenburger C Bereich. Daher wäre eine gemeinsame Lösung, wahrscheinlich sinnvoller- als Alleingänge.

  9. 78.

    Das ist Kleinstaaterei at it's worst. Der eine (Berlin) will den Bürgern mit einem günstigen Ticket in schweren Zeiten unter die Arme greifen. Der andere (Brandenburg) will es möglichst teuer haben. Das zeigt ja schon, wie dringend wir ein bundesweites, einheitliches Nahverkehrsticket brauchen. Diese ganzen Landesgrenzen, Tarifzonen und Befindlichkeiten einzelner Lokalpolitiker machen das System völlig kompliziert und unbenutzbar. Sowas muss einheitlich geregelt werden. Mit einer Monatskarte für den gesamten ÖPNV in Deutschland. So wie das 9-Euro-Ticket war. Einfach einsteigen und losfahren. Ohne sich Gedanken machen zu müssen, dass man beispielsweise ab der Zone C schon wieder einen neuen Fahrschein braucht.

  10. 77.

    Wieder einmal die Bestätigung, dass die SPDler nicht mit Geld umgehen können.

  11. 76.

    Ich würde mir gerne in Berlin einen Job suchen, aufgrund des Ost-West-Gefälle, aber die Kosten für die Monatskarte sind mir zu viel. Da ich nicht mehr im C Tarif liege zahle ich 140€ nach Berlin. Zu meiner Arbeit müsste ich 100€ zahlen, dafür das der Bus nur 1x die Stunde kommt. Für das Fahrrad ist zu weit und es gibt teils auch keine Radwege. 30€ - 50€ für ein Ticket wären eine kleine Entlastung, auch für mich. Mir wird schlecht, wenn ich an den nächsten Monat denke, was die Benzinkosten angeht. Ich überlege schon wieder aus Brandenburg wegzuziehen. Die Mieten sind genauso hoch, wie in Berlin. Ich finde es eine Frechheit von Brandenburg, dass nicht zumindest der C-Bereich miteinbezogen wurde. Viele Pendler könnten jetzt entlastet werden. Eigentlich müsste der AG die Kosten übernehmen, wenn er kein Homeoffice anbieten kann. Ist ja nicht mein Freizeitvergnügen.

  12. 74.

    War das eigentlich bei Forrest Gump : Lauf Junge, Lauf ... ? Gewinnt beim Erreichen der nächsten AB Haltestelle, aber wieder an Aktualität. Und wenn erstmal wieder Klopapier und Essen rationalisiert werden, kommt zum Rennen noch das Schlange stehen dazu.

  13. 73.

    Was machen Sie denn für eine Rechnung auf?
    Von den paar Kröten steckt sich niemand etwas ein. Die Ticketeinnahmen reichen so oder so nicht für den Betrieb des ÖPNV aus.
    Einige Berliner bekommen den jetzt noch günstiger. Die Differenz bezahlen wir alle, in diesem Sinne auch Sie aber nicht als ABC Abonnent sondern als Steuerzahler. Hoffentlich nur die Berliner Steuerzahler. Dann sind Sie wieder raus.

  14. 72.

    Es geht nicht um Bedenkenträgerei. In diesen Zeiten mit Steuergeldern etwas zu finanzieren was vielleicht dem einen oder anderen echt Bedürftigen etwas entlastet aber grundsätzlich an den eigentlichen Problemen vollkommen vorbeischießt, darf schon deutlich kritisiert werden.
    Das akute Problem hohe Energiekosten für Bürger und Verkehrsunternehmen wird damit nicht gelöst oder entspannt.
    Vom Investitionsstau der öffentlichen Hand mal ganz abgesehen.
    Geschenke helfen nicht, aber Investitionen in die Zukunft und Beseitigung der Ursachen der Krise.

  15. 71.

    Die werden leider komplett ignoriert. Ob man sich dafür nun bei der BVG oder bei Frau G. und dem Senat "bedanken" kann, geht nicht daraus hervor.
    Die BVG schreibt auf ihrer offiziellen Seite jedenfalls:
    "Die 29-Euro-Aktion gilt nur für Abonnements des Tarifbereiches Berlin AB.
    Inbegriffen sind folgende VBB-Abonnements:
    - VBB-Umweltkarten mit monatlicher und jährlicher Abbuchung
    - 10-Uhr-Karten mit monatlicher und jährlicher Abbuchung
    - VBB-Firmentickets mit monatlicher und jährlicher Abbuchung
    - Ausbildung mit monatlicher Abbuchung "
    Quelle: https://www.bvg.de/de/tickets-und-tarife/29-euro-aktion

  16. 70.

    Ja natürlich geht das.
    Fahren Sie mit dem Auto, Moped, Fahrrad oder laufen Sie bis zum Berliner Stadtrand und steigen da in Bus, U-Bahn was auch immer ein, können Sie das AB-Abo nutzen.
    Ob das sinnvoll ist, muss jeder selbst entscheiden.
    Sie können das Abo sogar kaufen, ohne es zu nutzen.

  17. 69.

    was für eine Mogelpackung, hinter vorgehaltener Hand, Versprechen geben, nur um in seinem Bundesland gut darzustellen und ich frage mich wo Berlin das Geld auf einmal hernimmt. Prestige ist halt alles. Ich profitiere davon auch, aber ich fühle mich nicht wohl dabei. Mir wäre wichtiger das Geld würde in die Infrastruktur des ÖPNV gesteckt, damit dieser wieder reibungsloser funktioniert

  18. 68.

    Woher nimmt Berlin das Geld? Und den Ausgleich für Brandenburg?

  19. 67.

    Und wenn in ein paar Jahren gar nichts mehr läuft, geben Wir eben, Corona und dem Krieg die Schuld - ,, aber Hauptsache das Ticket ist billig,,.

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